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14. Der Schleier der eatrice
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Der Schleier der Beatrice.
und zaudert nicht, mit der Lüge, des Schwachen stärkster Waffe, um ihr
Dasein zu kämpfen. Natur in uns zittert vor dem Tod, in Jedem, mag Ek¬
stase oder Heldenpose auch den Betrachter täuschen. Beatrice schämt sich der
Todesfurcht nicht, die sie im kosenden Arm wohl vergessen hätte. Erst als
alle Gitter brechen, an die sie sich lehnt, als die drei Männer, denen sie gut
war, der Freund, der Herzog, der Bruder, sie hart, unbarmherzig verdam¬
men, ist sie so matt, so wund, so abgehetzt, daß die Lebenssucht keinen Flügel
mehr regt. Beatrice wäre im engen Handwerkerhaus, als Mutter eines
Blondkopfes, vielleicht glücklich geworden. Doch es riß sie ins Weite, in
großes Erleben; und die Männer, die um sie warben, wollten nur nehmen,
nicht geben. Keinemsann sie Böses; sie sehnte sich nach sicherer Leitung, hätte
Jeden gern mit einer Lüge beglückt und fand mit unbeirrtem Trieb auch
immer die Stufen zur Lügenbrücke. Aber die Strengen wollten, sie solle ihr
Ebenbild sein und den Frauenreiz dennoch bewahren, forderten, was sie nicht
geben konnte, und hatten für die dem Ansturm Erliegende kaum einen Blick.
Siehe: das Weib!
Nach Abenteuern tauchte Nardis Tochter hinab und von Abenteuern
träumten die beiden Männer, die ihr Schicksal wurden: der Dichter, der Fürst.
Filippos Wunsch langt in den festen Pflichtenkreis männlichen Handelns,
wo die That nicht in der Tropenhitze einbildnerischer Kräfte verkümmert; und
in Bentivoglio ist die Lust an der Sensation des Neuen, Unbekannten sostark,
daß er im Tod noch ein letztes Abenteuer sieht, „von allen das gewaltigste.“
Beide bewundern, Beide verkennen einander. Dem Fürsten ist der Dichter
„ein Bote, ausgesandt, das Grüßen einer hingeschwundnen Welt lebendig
jeder neuen zu bestellen und hinzuwandeln über allen Tod“; und Loschi war
gewiß nur Einer aus der Schaar. der Nietzsche die Epigonenaufgabe zuwies,
„erloschene, verblichene Vorstellungen ein Wenig wieder aufzufärben“, ein
Postumus, ein schmaler Byron höchstens, kein Dante. Und dem Dichter
wiederum ist der Herzog ein strotzender Held, der über Menschen hinschreitet
wie über feuchtes Gras, „daß ihm der Fuß vom Thau des Lebens dampft, das
er zertrat“; und dieser Herzog Lionardo, der sich selbst neben Borgia winzig
fühlt, ist doch ein Dilettant, ein Sucher verfeinerter Freuden, der, während der
Feind sich zum Sturm auf die Stadtmauer rüstet, die Absage eines Poeten
nicht verwinden kann. Er wird tapfer sterben, nicht, wie Filippo, mit einer
Märtyrergrimasse, sondern im Bewußtsein goethischer Entelechie, auch er in
der Zuversicht, „die Natur werde verpflichtet sein, ihm eine andere Form des
Daseins anzuweisen, wenn die jetzige seinen Geist nicht ferner auszuhalten