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14. Der Schleier der Beatrice
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Berlin, 29. März 1903.
No. 6.
III. Jahrg.
Theater - Revue.
rühlings-Anfang — Saison-Ende. Vor einer
Woche bereits jubelten wir ihr zu, von keinem
zischlustigen Kumpan gestört, ihr, der köstlichsten
— aller Premièren, die alle anderen verdrängt, dass
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sie mühselig nur ein kärglich Dasein fristen, ihr,
der Frühlings-Première.
Die kontraktmässig aufzuführenden Bühnenwerke erblicken das
Licht der Rampen vor einem immer grösser werdenden Korps
von Freibilletlern und einem immer mehr zusammenschrumpfenden
Häuflein von zahlenden Besuchern, um nach einer Woche glatt in der
Versenkung zu verschwinden. Der Bühnenleiter ahnungstrüber Sinn¬
weiss es im Voraus schon, aber weicher Dircktor zahlt gern die böse
Konventionalstrafe, die Satanus extra erfunden hat, den armen
Direktor zu peinigen.
Was hat uns das Theaterjahr 1903 bisher gebracht? Rückschauend,
vermag ich als getreuer Chronist nur von zwei Bühnenwerken zu be¬
richten, welche die flüchtige Saison überdauern werden.
Zwei hohe Gipfel, ragen sie empor über all’ das andere Krupp¬
zeug: der Renaissance-Roman eines Vlämen, die Wirklichkeitsskizzen
eines Russen. Also nix Deutsches. Maeterlincks „Monna Vanna“
Gorkis „Nachtasyl“ — wenn man abgrundtiefe, nicht zu überbrückende
Gegensätze bezeichnen wollte — es gäbe nichts Treffenderes, als die
Gegenüberstellung dieser beiden Dichtwerke. Dort die leuchtenden
Tinten der italienischen Renaissance mit ihren farbigen Stimmungs¬
bildern, hier das düstere Grau des russischen Gegenwartslebens. Die
bunte Tracht des Cinquecento, der schmutzige Kittel des moskowiti¬
schen Landstreichers beherrschen das Berliner Theaterleben. Doch
während Gorki in dem genialen Kleeblatt Bertens-Reicher-Reinhardt
einen meisterhaften Interpreten gefunden, muss sich Maeterlinck mit
dem guten Willen seiner Darsteller begnügen. Wer sich Jahre hin¬
durch mit der getreuen Wiedergabe der Alltagssprache im Allgemeinen
und des lieblichen schlesischen Dialektes im Besonderen redlich und mit