Faksimile

Text

14. Der Schleiender Beatriee
Klos ver= Fäden ffest, übersichtlich und zweckdienlich knüpft. Aber der Grund¬
terungen ton, dies berauschte Hingegebensein an die Schönheit des Lebens,
daß alle erklingt doch klar und voll aus der Ueberfülle der Bilder und Ge¬
Schleier stalten, die der Dichter mit seinem Temperament und seiner
Phantasie beschenkt hat. In dieser historischen Märchenwelt, die
eliebten
mit jähen Gegensätzen, mit Prunk und Sinnenglut, mit Nadel, Gift
ihn mit
und Seidenschleier an uns vorüberjagt, sollen sich tragische Geschicke
—— diese
Lentfalten, und Schnitzler brauchte nur, alles überpompösen Schmucks
begreif¬
entratend, seine poctische Natur still und intensiv wirken zu lassen,
um seiner Sehnsucht nach einer märchenhaften Tragödie des Lebens
Hert hat,
die reinste Erfüllung zu schaffen.
Bühne
ls, ob es
Für Schnitzlers Beatrice wäre bis vor einigen Jahren Frau
Zwei
Agnes Sorma die gegebene Darstellerin gewesen; für Shale¬
wollen,
nd Tat#speares Beatrice ist sie es heute jedenfalls nicht mehr. Sie ver¬
plumpt noch dazu am Geist der ganzen Aufführung, die das Berliner
pfen um
Schleier Theater dreist und gottesfürchtig für eine Aufführung von „Viel
Enenwelt Lärm Im Nichts“ ausgibt. Armer Shakespeare! Wie in einem
dere ge¬großen Zaubergarten mit duftenden Sträuchern und heimlichen
ialischen Lauben wandelt deine stolze und närrische Menschheit dahin; aus
kergischen Maskenscherzen keimt Neigung auf, zwischen das liebliche Paar der
krückt er Reinen treten die Bösen, und die schmerzlichste Prüfung scheucht es
Dekadent auseinander; die Toren lösen, worin sich die Klugen verstrickt, und
ist, dem festlich endet, was festlich begann. Aus dieser nachdenklich=heiteren
und ver= Reiaissance=Komödie, die uns am nördlichen Ende der Charlotten¬
absicht=straße entzückt und gefesselt hat, wird am südlichen Ende eine
zeichnen ungesalzene Rüpelei, der wir unmutig den Rücken kehren. Frau
aran zuSorma hält uns nicht zurück. Sie tämpft mit schmerzhaftem Eifer
oLoschirgegen eine Aufgabe, der ihre äußeren und ihre inneren Mittel
gissance= nicht entsprechen. In Beatrices unberührtem Herzen wehrt sich
Tasso eine erste Neigung eigensiunig dagegen, ins Bewußtsein zu treten
ß seines und verschanzt sich hinter Witz und Spott. Das macht Leonatos
an allzu Nichte spröde wie die braunen Dolden, die im frühen Lenz den
n, einer skeimenden Blätterschmuck verkapseln. Dazu will von vornherein
ver= eine Schauspielgrin nicht passen, die in ihrem ganzen frauenhaften
ereifer Gebahren spätsommerliche Reife zeigt. Beatrice ist vornehmer
ergrund=Abkunft. Diese Abkunft aber sollte nicht durch Kostümprunk, sondern
Motive durch eine zarte jungfräuliche Erscheinung bezeugt werden, die einen
Nur daßkomödierhaften Kontraft zu Beatrices schlagfertiger Scharfzüngig¬
der allekeit ergäbe. Denn wenn die Zähmung der Widerspenstigen nicht
box 20/4

vor sich geht, ohne daß es Ohrfeigen setzt und Rücken sich bläuen,
so ist hier alles auf einen geistigen Kampf gestellt, auf anmutvolle
Kraft und schalthafte Ueberlegenheit. Frau Sorma fehlt auch heut
noch nicht die Anmut und die Schelmerei, obschon diese beiden guten
Gaben Routine und Manier erkältet haben, allein es fehlt ihr heut
wie früher an Geist und Kraft. Sie war nie besser, als wenn sie
schön und herzensklug die anschmiegsame Frau ohne Geist — auf
welcher Altersstufe und in welcher Verkleidung immer — darzu¬
stellen hatte. Beatrice aber sprüht von Esprit, ist der hellste Geist
in Shakespeares Lustspiel und hat den Teufel im Leibe. Darum
also werden wir betrogen. Frau Sorma räumt entschlossen alle
Dornen, Stacheln und Spitzen aus dem Wege, um auf den reinen
Grund von Beatricens Herzen zu gelangen. Auf diesem Grunde
hätten ihr in Zeiten, die vergangen sind, die holdesten Knospen
aufsprießen und aufspringen können. Herrlich wäre offenbar ge¬
worden, daß unter all dem Scherz und Tand Liebe zagend sich
sehnt, daß all der Uebermuth oft nur ein Verbergen inniger Ge¬
fühle, all die Bosheit oft nur ein Verstecken zärtlicher Gedanken
ist. Allein auch das scheint nun dahin. Der Duft ist verflogen,
welk und traurig hängen verkümmerte Blättchen herab. Die Ge¬
fahr droht, sie ganz sich verlieren zu sehen, die so köstlich war.
Das „Gastspiel Agnes Sorma“ im Berliner Theater kann ihr
wieder nur schaden. Die Dimensionen dieses stimmenmordenden
Hauses verleiten sie zum Unterstreichen, zwingen ihr Organ zu
übertriebener Anspannung. Schon kreischt es im Affekt, wie wenn
man auf Schiefer kratzt. Man möchte ihr, eh' es zu spät ist, zu¬
armem Heinrich: „Sucht ein Oboach!
rufen wie Hauptmanns
Sucht ein Obdach!“
Siegfried Jacobsohn.

LüniglicOueee