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Beatrice Nardi, die liebliche Tochter eines wahnstunigen Wappen¬
schneiders. Ihr Schicksal hat sie anfangs in die Arme des Dichters
Filippo Lost# geführt. Noch nicht die Seine und doch schon innig mit
ihm verbunden, treibt ein wunderlicher Traum sie von der Seite des
Geliebten fort. Ihr war im Schlafe, als sei sie die Gemahlin des
jungen Herzogs Bentivoglio geworden, und dieser „Treubruch“ im
tiefsten Traum begangen, verscherzt ihr die Gunst des Ge¬
liebten. Gleich einer Nachtwandlerin, nicht fählg zu verstehen,
warum sie verstoßen wurde, kehrt sie in das Elternhaus und
damit in die Nähe eines früheren, um Filippos willen aufgegebenen
Freiers zurück. Da tritt das Schicksal von neuem an sie heran. Der
junge Herzog hat die Holde gesehen und begehrt sie zur Geliebten.
Beatrice will seine Schweile nur als Herzogin betreten. Der Herzog
willigt ein, und während draußen an den Toren Bologngs Cesare
Borgia mit schweren Fäusten rüttelt, feiert der leidenschaftliche Fürst
seine Hochzeit mit dem Bürgermädchen. Das Renaissance=Blut fiebert!
aber auch in diesem Kinde. Statt des erfüllten Traumes sich nun zu
freuen, verläßt sie heimlich den Hof des ihr eben angetrauten Gatten
und eilt, von tiefem Heimweh getrieben, zu dem Dichter, um,
wie sie beim Abschiednehmen ihm gelobt hat, gemeinsam mit ihm
sterben. Filippo geht ihr im Tode voraus, Beatrice
zu
aber, zu lebenshungrig, um gleich ihm den=Gistbecher zu leeren,
versucht es noch einmal mit der Herzoglunenwürde. Nun aber geht es
schnell dem Abgrund zu. Der Herzog ist mißtranisch, als ihr Ver¬
schwinden bekannt geworden, und forscht nach dem Schleier", den
Beatrice in Filippos Wohnung zurückgelassen hat. In äußerster Be¬
dräuguis entschließt sie sich, den Gatten, wie er es verlangt, an die
Stätte des Grauens zu führen. Der Schleier und der Tote werden
gesunden, Beatrices Doppelspiel wird offenbar, die Strafe an ihr voll¬
zieht ihr eigener Bruder, der sie durch einen Dolchstoß von ihrer
„Schande“ befreit. Vor diesem letzten, harten Ausklang richtet der
Fürst noch ein mildes, zartes Wort an die Schöne:
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschenkt war?
So nannten wir Dein Tun
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!“
Und Beatrice, die sündlose Sünderin, hat auf diese Fragen die
Antwort:
Und warum war ich ausersehn vor Allen,
So vielen Leid zu bringen, und weiß doch:
Ich wollte keinem Böses. ..“
Ueberblickt man das krause, vielgestaltige Werk im ganzen, so wird
man erkennen, daß das hohe künstlerische Wollen vom Dichter nicht er¬
reicht worden ist, seine Schöpferkraft uns nicht in ihren Bann zu
zwingen vermag. Wir hören viele edle, schöne und geistreiche Worte
und sehen mannigsache Schicksale in wildem Schattenspiel an iig
vorübertreiben. Etwas wahrhaft Lebendiges aber bietet die Dichtung
nicht. Das ganze Schauspiel erscheint wie ein Spielen mit den Drama,
kein Drama selbst. Diese seltsamen Menschen handeln, wohin
man auch blicken mag, nur aus Laie. Ihre letzten Beweggründe
bleiben uns verschlossen; rätselhaft bleibt uns auch ihr Tod, der nichts
zur Folge hat. Am stärksten lehnt
Befreiendes und Klärendes
nach den
sich unser Inneres gegen Beatrice auf. Ist
ernste
Worten Bentivoglios, nur ein Kind, dann solle
Männer sie nicht ernst nehmen; ist sie aber ein dämonisches Weib, das
alle in ihre Netze zieht, dann slößt uns ihre Kindlichkeit nur doppelt##
ab. Nicht viel besser ergeht es uns mit dem Dichter Loszi. Daß er ein
liebes Mädchen, dem er Braut und Freunde geopfert hat, eines
Traumes wegen verstößt, kann allenfalls verstanden werden, denns
Dichter sind launsch; nicht begreifbar aber ist sein Selbstmord, den ers
ohne zwingende Not, ohne jede Rechtfertigung verübt. Und schließlich
leidet auch das große Ganze unter der mangelnden Gestaltungskraft.
Schnitzler wollte ein Kulturgemälde geben, und er bietet uns eineu¬
Faschingsreigen des Todes. Wir hören zwar mancherlei von Bolognas
No# von dem unerbittlichen Feinde Borgia, von der letzten Nacht unter
der Geißel des Todes, aber wir fühlen diese Sitnationen nicht im
mindesten mit. Wie anders hat da Maeterliuck in seiner „Monna#
Banna“ den Zeitcharakter getroffen und Pisas Schicksalsstunde uns nahe
gerückt. So ist das Renoissancegewebe dieses Schleiers ein buntes
Durcheinander ohne Form und Einheit. Daß einige Bilder, wie etwa
im dritten, dem künstlerisch reifsten Akt, sich zu schönen Wirkungen ver¬
dichten, kann die Mängel des Ganzen nicht aufheben. unon
Die Aufführung unter Herrn Maurenbrechers Regie bot viel
Erfreuliches. Fräulein Conrad, die jüngst als Emilia Galotti kalt
gelassen hatte, entfaltete in der Titelrolle ein reifes, edles Spiel. Mit
Art
Recht betonte sie das Träumerische und Kindlich=Unberührte im Wesen
Ma
der Beatrice, wodurch dem unbegreiflichen Charakter einiges von seiner
S#
Por
Unverständlichkeit genommen wurde. Herr Schönfeld als Herzog wuichs
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von Akt zu Akt mehr in seine Aufgaben hinein und stand zum Schluß
Ru¬
auf voller künstlerischer Höhe; eine Neigung zu allzu scharfem Dekla¬
Ur
mieren würde künftig besser vermieden werden. Recht ansprechend,
##nur zuweilen etwas stark rhetorisch, gestaltete Herr Kron den
von der Gedanken Blässe angekränkelten Dichter Philipp Loszi.
Die übrigen Mitwirkenden bei Namen zu nennen, hieße
den Zettel abschreiben. Mit stärkeren Leistungen traten noch die Herren
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Ernst, Born, Corge, Waldberg=Wedding und Feige und die
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Damen Schönemann=Heuberger und Klementine Pätsch hervor.
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In den Straßenszenen hätte in der Gruppenbildung manches plastischer
sein können; recht wenig ansprechend waren die Szenen mit den
Courtisanen, die statt berauschender Lebensfreude triviale Alltäglichkeit
boten. Das nicht sehr zahlreich erschienene Publikum nahm die Dichtung
mit kühler Zurückhaltung auf; nur der dritte Akt in seiner siagken!
Nokturnostimmung löste stärkeren Beisall aus. Jedenfalls entsprag der 18
Erfolg aber nicht der aufgewendeten Mühe,
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