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14. Der Schleier der Beatrice
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Dramatische Rundschau.
war in der entscheidenden Stunde Jesu mit dem ihre Traumphantasie vorher schon glanz¬
Schicksal gelegt; sie konnte — nach ihrem kurz= berauscht gebuhlt hat, leibhaftig vor sich hin¬
sichtigen Glauben — ihn retten, aber nur durch
treten, sie zu begehren. Nicht als Geliebte, nur
Verrat an dem, was ihr höher erschien als
als Herzogin will sie die herzogliche Schwelle
seine Person, an dem innersten Sinn und Hei¬
überschreiten. Bentivoglio, auch er trunken vom
ligtum seines Wesens. Sie blieb ihm getreu,
flüchtigen Becher des Lebens, willigt ein: wozu,
indem sie sich getreu blieb. Sie harrt auf seine
„umglüht von roten Fackeln der Gefahr und
Auferstehung ... Christus selbst erscheint nicht
unter schicksalsvollen Sternen“, noch nach Geburt
in dem Drama. Nur eine Stimme ruft von
und Stand fragen! So wird Beatrice — alles
ferne seine Botschaft auf die Bühne: „Wer unter
trägt sich in weniger als einem Tage zu —
euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein
indes die Leiche des verlassenen, in den Tod
auf sie!“ Heyses Drama würde gewinnen, wenn
gegangenen Freiers noch blutet, Herzogin von
man Christi Erscheinung und Gedächtnis ganz Bologna, am Altare mit dem wunderbaren
aus ihm tilgen könnte. Der innerste Nerv der
Schleier umkleidet, den einst der Fürst von Per¬
Dichtung würde dadurch nicht berührt. Sie
gamum als Hochzeitsgabe seiner Fürstin schenkte.
bliebe ein Hoheslied auf die Umwandlung durch
Doch am Besitz ersterben allsofort ihre Wünsche.
die Liebe, auch wenn diese Liebe durch einen
Vom Traualtar schleicht sie in Sehnsucht zurück
von allem Überirdischen und Göttlichen Entklei¬
zu Filippo, bereit, mit ihm den letzten Weg zu
deten in eine zuvor sündige Frauenseele ihren
gehen. Er beut ihr den Todesbecher — aber
auch dies Verlangen war nur eine flüchtige
sühnenden Strahl schickte. Heyse, der Novellist,
Laune: ihr Lebensdrang schrickt vor dem Ge¬
hat dafür mehr als einmal den künstlerisch über¬
spenst des Todes zurück. So stirbt der Geliebte
zeugenden Beweis geliefert. In dieser Möglich¬
keit ruht die Schwäche — ruht die Stärke der
allein; bei ihm bleibt nur der Schleier, den
Dichtung.
Beatrice auf der eiligen Flucht vor dem Tode
* Bei Wilbrandt wie bei Heyse dürfte man die vergißt. Zum Herzog zurückgekehrt und als
Schicksalsmacht aus der Hand der Frau, die sie untreu erkannt, soll sie augenblicks durch das
sich zur Heldin erkoren haben, lösen, und das Schwert gerichtet werden, wenn sie den Schleier
Sokrates= wie das Christusdrama würde nicht
nicht wiederschafft. Und sie wagt, abermals aus
unbändiger Liebe zum Leben, aus Angst vor
um ein Haar aus seinem hohen Gleis gerückt.
Anders in Arthur Schnitzlers Renaissancedrama
dem Nichtmehrsein, noch einmal den grausigen
Gang. Vor dem kalten Leichnam des Geliebten
„Der Schleier der Beatrice": hier erwächst alles,
Lust und Weh, Tod und Leben, aus den Hän¬
endlich kommt die Müdigkeit am Leben über sie;
in ihr ist nichts mehr als Sehnsucht, daliegen,
den des Weibes. Bologna liegt, dem unent¬
rinnbaren Tode geweiht, in den eisernen Um¬
so wie er, und fertig sein. Der verlorene
schlingungen des Cesare Borgia; morgen schon
Schleier wird gefunden, nun erst entwirrt sich
wird der Feind brennend und mordend durch
der Nebel, der dem Herzog so lange die Gestalt
die Mauern brechen. Um so heißer lechzt der
Beatrices umhüllt hat:
Gaumen nach der letzten köstlichen Neige des
Warst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Lebens; das gesteigerte Lebensgefühl, der Drang
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
zum Glück und Genuß, welcher nun vor keinen
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel, —
Folgen mehr zu erbleichen braucht, treibt die
Mit eines Jünglings Herzen, weil's dir just
Menschen, die Wahrheit ihrer Natur schleierlos
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte
zu enthüllen. In Beatrice Nardi, der knospen¬
Nicht nur das einzige Spielzeug sein .— nein, mehr!
haft schönen Tochter eines irren Wappenschnei¬
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
ders, kristallisiert sich dieser Lebensdrang zu ver¬
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind!
hängnisvoller Tragik. Etwas von der absichts¬
Der versonnene Träumer und Idealist wie der
losen Grausamkeit des Wedekindschen „Erdgeistes“
gutgläubige Narr aus dem Volke gehen an ihr
steckt in ihr, in die weichlichere Krume der erlese¬
zu Grunde; der Herrenmensch, dem lächelnden
nen Wiener Treibhausdichtung von heute ver¬
pflanzt. Wen sie liebt, der entbrennt zu selig= Genuß der Gegenwart zugewandt, schreitet —
Bruderhand ersticht sie endlich — wagemutig und
ster Daseinsfreude, aber er verzehrt sich auch
sieghaft über sie hinweg, zum Kampf, zu neuem
schnell wie ein Licht, an dem eine zu heiße
Leben, neuer Daseinslust:
Flamme leckt. Den Dichter Filippo Loschi ent¬
flammt sie im Nu zu lodernder Sinnen= und
Das Zeichen tönt, und mächt'ge Neubegier
Lebensglut; aber kaum gewonnen, entschleiert sie
Wie nie zuvor beflügelt meinen Schritt.
ihm die ganze unbewußte Schamlosigkeit ihrer
Ich freue mich des guten Kampfs, der kommt;
Seele. Im innersten verwundet, wendet er sich
Die frischen Morgenlüfte atm' ich durstig
Und preise dieses Leuchten aus den Höh'n,
ab, um, seiner verlassenen Braut fast schon wie¬
Als wär' es mir allein so reich geschenkt.
der zurückgewonnen, alsbald von neuem ihrem
Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit,
dämonischen Zauber zu verfallen. Aber nur in
Und noch der nächste Augenblick ist weit!
neuer und doppelter Untreue kommt sie zu ihm.
Schon im Brautschleier, um einem braven hand= Mit dieser jauchzenden Fanfare schließt eine
werklichen Freier die Hand fürs Leben zu rei= Dichtung, die es, ohne festen Nerv, trotz der Fülle
chen, sieht sie den jungen Herzog von Bologna, der Gesichte nicht fertig bringt, mit bezwingender