Faksimile

Text

box 20/4
14. Der Schleien der Beatrice
Theater.
261
sie ihm, während ihr Verlobter verzweifelt Hand an sich legt. Und der
Herzog, dieser Mächtige, „der an jedem Tag sein Leben trinkt aus tausend
klaren Quellen“ ladet ganz Bolognas Adel zu diesem Fest, „doch merkt!
für heut ist Schönheit Adel, nicht Geburt, Kommt alle, nur seid schön!
Ihr seid willkommen!“ — Doch wie nun der lärmende Hochzeitsjubel an¬
hebt, ergreift Beatrice plötzlich eine zwingende Sehnsucht nach dem ver¬
lassenen Geliebten, es treibt sie heimlich zu ihm, lieber mit dem Dichter zu
sterben als mit einem anderen zu leben. Aber als Filippo Ernst macht,
fährt ihr die Todesangst in die kindlichen Glieder, die Lebenslust flackert
wieder auf — zitternd flieht sie zurück, während Filippo, angewidert von
ihrer Furcht, in dem Gefühl grenzenloser Vereinsamung den Giftbecher
leert. Sie stürzt zurück zum Gewühl des Hochzeitsfestes. Dort trifft sie
alles in größter Aufregung. Der Herzog hat ihre Flucht bemerkt und läßt
auf sie fahnden. Plötzlich ist sie wieder da! Bleich tritt sie hinter einer
Säule Hervor. Und ihr Schleier? Die kostbare Hochzeitsgabe? Wo ist
er? Die Ausflüchte der Erschrockenen werden bald durchschaut
— der
Herzog zwingt sie, ihn dorthin zu führen, wo sie den Schleier verloren hat.
Schweigsam ist ihre nächtliche Wanderung durch die Straßen. Hand in
Hand treten sie in des Dichters Haus. Noch flackern die tiefherabgebrannten
Kerzen im Gemach. Hinter den schweren Vorhängen stößt der Herzog auf
Filippos Leiche. Wunderliche Fügung! so trifft er ihn tot, der ihm im
Leben immer ausgewichen war! Hatte er diesen Sänger, dessen Rhythmen
ihm von jeher liebe Begleiter in Lust und Schlacht waren, nicht noch diese
letzte Nacht zu sich gebeten? um ihn endlich kennen zu lernen? um ein
feineres geistigeres Fest mit ihm zu feiern als die sinnliche Menge in dieser
letzten Nacht? Denn —
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
Lebendig jeder neuen zu bestellen
And hinzuwandeln über allen Tod.
Nun stößt er auf ihn, zum erstenmal und ... auf einen starren
kalten Körper Neben ihm aber steht dies Frauenrätsel, das bei ihm
seinen Schleier verlor .. Was ist die Wahrheit? Während der Herzog
noch dem Geheimnis nachsinnt, das über diesen Dingen webt, fährt es wie
ein Blitz durch die Luft, Beatricens Bruder, ein zweiter Valentin, stößt
der Schwester den Dolch ins Herz. Sie selber hat zuletzt sich den Tod
gewünscht:
.. Jetzt aber bin ich müd', so müd',
Glaub' ich, wie nie auf Erden jemand war —
Warum gerade mir dies alles, sagt?
Und warum war ich ausersehn vor allen,
So vielen Leid zu bringen, und weiß doch:
Ich wollte keinem Böses!
Sie wollte keinem Böses. Und doch log sie allen: den Eltern, dem
Geliebten, dem Bräutigam, dem Herzog. So war sie „nur ein Kind, das
mit der Krone spielte, weil sie glänzte? mit eines Dichters Seel, weil sie
voll Rätsel? mit eines Jünglings Herzen, weil's ihr just geschenkt war?
LR MA 2