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14: Der Schleier der Beatrice
Die Bedenken, die Schlenther schon in diesem Briefe geäußert
haben will, verschärften sich nach seiner Darstellung im Laufe der
Zeit immer mehr. Was ihn an dem Stücke zweifeln ließ, das drückte
Telefon 12801.
er in einem Schreiben vom 17. Juni aus.
„Erst am 17. Juni gab mir Herr Direktor Schlenther das
Erstaufführungsrecht meines Stückes, das ich am 14. Februar
Alex. Wrigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitt
ertheilt, mit folgenden Worten zurück:
Ausschaltt
„Jedenfalls muß ich bei dem vorläufigen Resultat stehen
bleiben, daß ich mich zu einem bestimmten Termin der Aufführung
„OBSERVER“ Nr. 4
nicht verpflichten kann, und daher lieber auf das Recht der ersten
Vorführung verzichte ...“ Und ferner: „Natürlich könnte ich
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnaehrh
dann meinen Anspruch auf die allererste Aufführung nicht mehr
aufrecht erhalten. Ich müßte es mir selbstverständlich gefallen
Wien. IX. Türkenstrasse 17.
lassen, daß eventuell Berlin oder München vorangehen.“
Auf dieses Schreiben hin verlangte Arthur Schnitzler ein „Ja“
— Filiale in Budapest: „Figyelö“
oder „Nein“. In der „Konsequenz seines letzten Briefes“ war
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf. London, Newyork, Paris, Rom, Stoch Schleuther genöthigt, „Nein“ zu sagen.
So weit Schleuther. Gegen seine Erklärung erklärt wieder der
Autor:
Ausschnitt aus:
Um am 17. Juni ein Erstaufführungsrecht zurückzugeben,
Berimer Tagebtatt
mußte der Herr Direktor Schleuther logischerweise selbst vier
Monate lang der Ansicht gewesen sein, dieses Recht zu besitzen.
Denn es in vollkommen unerfindlich, wie man die Ansprüche auf
„K 470 4000
das Enstaufführungsrecht eines Stückes aufgeben kann, das man
überhaupt niemals angenommen haben will.
Und nach dieser Erklärung hat schließlich wieder Schlenther, wie
2. Noch einmal „Der Schleier der Beatrice“. Auf den von
das „N. W. T.“ meldet, „einigen Personen erklärt: das Gerücht,
uns in der Abendausgabe des „Berliner Tageblattes“ vom Sonnabend
er habe bei der Ablehnung des Stückes einem Zwange von vorgesetzter
auszugsweise wiedergegebenen Protest sechs namhafter Wiener
Seite Folge geleistet, sei vollkommen unbegründet.“
Kritiker hat Direktor Schleuther, wie bereits telegraphisch mitgetheilt
Wenn man es unternimmt, aus diesen vielen Erklärungen den
nun seinerseits sehr ausführlich geantwortet. Er behauptet, das Werk
Kern herauszuschälen, dann kommt man zu der Ueberzeugung, daß
Schnitzlers sei von ihm nie „angenommen“ worden, und es sei erst
auf keiner von beiden Seiten das volle Recht zu finden ist. Schlenther
„abgelehnt", als Schnitzler ihn vor eine „unerfüllbare Bedingung“
stellt sich selbst kein sehr günstiges Zeugniß aus, wenn er sagt, er
stelltess Leber den Brief vom 13. Februar mit der Bemerkung über
habe vier Monate gebraucht, um über die Möglichkeit eines Bühnen¬
das „Deutsche Theater“ schreibt Schleuther Folgendes:
erfolges bei diesem Werke ins Klare zu kommen. Schließlich ist
„Arthur Schnitzler hat den sechs protestirenden Kollegen
Schnitzler ja kein Neuling auf den Brettern, und wenn er mit einer
einen Brief zur Veröffentlichung überlassen, den ich ihm
neuen Arbeit vor das Publikum treten will, hat er sich das Recht
am 13. Febrnar schrieb. Der vertrauliche, freundschaftliche
erworben, gehört zu werden. Das Risiko eines Mißerfolges
Charakter dieser Zeilen tritt ebenso deutlich in der Form
ist für ihn viel größer als für das Theater, namentlich für ein sub¬
hervor wie ihr zurückhaltender, völlig unverbindlicher
ventionirtes Theater. Wenn aber Schleuther in übergroßer Gewissen¬
Charakter im Inhalt. Hätte ich geahnt, daß dieses Briefchen je
haftigkeit wirklich nicht schlüssig werden konnte, so mußte er, wie wir
das Licht der effentlichkeit erblicken würde, so wäre ich dem
weisen Rathe jenes jungen Mannes aus Schnitzlers „Liebelei“
schon am Sonnabend sagten, unter allen Umständen dem Autor das
gefolgt, der den Freund nach der Entdeckung seiner Liebesbriefe
Fu
Verfügungsrecht über sein Werk zurückgeben. Er durfte dem Verfasser
warnt: „Ich sag' es immer, man soll nicht Briefe schreiben.“
di. Verwerthung seiner Arbeit nicht Monate hindurch unmöglich machen,
Die Methode des vertraulichen Pricatverkehrs zwischen
und er mußte, wenn er Aenderungen und Kürzungen wünschte, diese
oft beiden Theilen
1
Antor und Theaterdirektor, die
vor allem anderen doch mit dem Dichter des Stückes besprechen.
Nutzen schuf und schaffen wird, ist hier leider einmal gescheitert.
Kein Menschfkann ja von einem Burgtheaterdirektor verlangen, daß
Andererseits ist gerade aus meinen nun veröffentlichten Zeilen vom
er auch noch ein talentvoller Bühnenautor sei! In der gleichen
13. Februar klar ersichtlich, wie weit ich damals noch von dem Ent¬
Abor
Situation wäre ein durch die Bühne erzogener Theatermann auch
schluß zur Annahme des Stückes entfernt war; ich spreche von einer
Abor
„ersten flüchtigen Durcharbeitung"; ich äußere Bedenken gegen meine
nicht eine Stunde darüber im Zweifel gewesen, was er zu thun oder
eigenen Kürzungsversuche; die Besetzungsfrage erregt bei mir ebenso
zu unterlassen hätte. Aber die sogenannten „literarischen" Direktoren,
starke Zweifel wie beim Autor; ich spreche von der „Riesenaufgabe“.
so ernst sie es mit der Kunst meinen, und so Gutes sie unter Um¬
der mir selbst das gegenwärtig hauptsächlich auf
Inh:
ständen schaffen, bergen in ihren Seelen die sehr gefährliche Lust zum
modern=realistische Stücke gerichtete Kunst¬
„Bessermachen"; sie sehen Theaterstücke an, als hätten sie selbst nach
personal eines allerersten Privattheaters
der Aufführung noch eine Kritik zu schreiben, und sie wollen nicht
nicht gewachsen schien, und verstehe darunter die ungewöhnlich
glauben, was sie doch von jedem alten Soufleur erfahren könnten:
mühsame, kostspielige und zeitraubende Vorbereitung zur Auf¬
wer
führung gerade dieses Stückes.“
daß im Theater eben Alles auders kommt.
Prospecte gratis #aun
Diesen Mangel an praktischer Bühnenerfahrung muß man auch
Schlenther zum Vorwurf machen, wenn er so trotzig behauptet, es sei
Ikein Druck von obenher auf ihn ausgeübt worden. Aber, wie immer
man über das Benehmen des Direktors gegen Herrn Schnitzler
denken mag, die Preisgabe des vertraulichen Schleutherschen Briefes
durch Herrn Schnitzler wird man in keinem Falle gutheißen dürfen.
Und wenn der Brief schon gedruckt werden sollte, so hätte der
Tindiskrete Satz über das „Deutsche Theater“ ohne jeden Schaden ge¬
strichen werden können. Dieser Satz hat mit der eigentlichen Frage
gar nichts zu thun und kann im Uebrigen auch sehr gut in einer
Weise interpretirt werden, die jede mala üides fgegen das „Deutsche
Theater“ ausschließt. Sogar Dr, Brahm selbst könnte unter Umständen
einem Antor, dem er wohl will, etwas Aehnliches gesagt
haben, ohne seinen eigenen künstlerischen Absichten irgendwie einen.
Makel anzuheften. Dazu steht das Deutsche Theater — auch, wie es
jetzt ist — doch wohl zu fest in der Werthschätzung der Gebildeten.
Aber selbst wenn der Inhalt dieses Briefes auch die Sympathie
für Schleuther nicht erhöhen kann, seinem Gegner wird sie ganz
gewiß keinen Nutzen bringen. Bühnenautoren handeln ebenso wie
Bühnendirektoren am richtigsten, wenn sie die geschäftliche Seite ihrer
Thätigkeit möglichst hinter die Kulissen verlegen.