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14. Der Schleier der Beatrice box 20/4
Und nie so leicht, dass er sich fliegen däuchte!
Wär' ich wie der, und wär' ich über Menschen
Wie über feuchtes Gras dahin geschritten,
Dass mir der Fuss vom Thau des Lebens dampft,
Das ich zertrat, so wär’ ich ohne Unrecht;
Ich durft es thun!
Ihm fehlt, um Kraft zum Leben wieder zu gewinnen, ein
Wunder. Und dieses Wunder — es kommt! Beatrice, die
Herzogin, eilt zu ihm, verstohlen, im Brautkleid. Sie kommt, um
mit ihm zu sterben. Dies sagt sie und ... fühlt es auch. Sind
es doch die Gefühle des Augenblickes, die sie beherrschen. Sie
fühlte, als sie Filippo weggeschickt, dass in der bescheidenen
Ehe Ruhe für sie sei, sie fühlte, als der Herzog um sie warb,
dass es herrlich sein müsste, Fürstin zu sein, und sie fühlte
schliesslich sclche Sehnsucht nach Filippo, dass sie für die
Erfüllung ihrer Sehnsucht alles hingibt. Sie ist des Augenblickes
unbedachtes Geschöpf, willenlos allen Impuisen hingegeben, so
gedankenlos, dass ihr das Seltsame, in dessen Mitte sie ein
spielerisches Geschick gestellt hat, ganz selbstverständlich vor¬
kommt. Der Dichter beginnt sie zu verstehen:
Du bist
Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat dich
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
Nie bist du vor der Buntheit dieser Welt
In Andacht hingesunken, und dass du,
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
Sich unter den unendlich Vielen fanden,
Hat nie mit tiefem Schauer dich erfüllt.
Und dass dein Vater toll, füllt nicht mit Bangen,
Dass Vittorino starb, der dich geliebt,
Nicht mit dem fürchterlichsten Graun dein Herz.
Und dass du Fürstin von Bologna bist,
Macht dich so wenig staunen, Beatrice,
Wie wenn sich eine Mück’ auf deine Hand setzt.
Und er versteht auch die tiefe Lügenhaftigkeit, die in ihrer
Wahrheit ist, versteht die Willenlosigkeit, die ihr Opfer, ohne
dass sie selbst es weiss, zu einer lächerlichen Komödie macht.
Er gaukelt ihr vor, sie hätte bereits in einem Glase das Gift
getrunken, und da sie sich nach dem Leben sehnt, weist er sie
verächtlich zurück:
Du willst das Leben. Geh’, da draussen wartet’s,
Und nimmt dich gierig auf als sein Besitz!
Zu tief hat er sie durchschaut, um ihr noch zu zürnen:
Was gibt’s denn zu verzeih'n?
Betrogst du mich? ich hätt dich betrogen,
Hätt’ ich die Laune, die dir kam, genutzt,
Und dich mit mir gelockt, wo du nicht hin willst!
Logst du? Du kannst es kaum so gut wie ich!
Nurist’s dein Wesen, dass mit jedem Pulsschlag
Durch deine Adern and’re Wahrheit rinnt.
Aber sie liebte ihn, will ihn nicht lassen. Was weiss sie
von dem tiefen Schauder des Künstlers, der sich in ihrer Nähe