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verwendet worden ist.
Wenn Schnitzlers „Schleier der Beatrice“ im Deutschen
Theater ebenfalls nur einen zweifelhaften Erfolg hatte
so mag das verschiedene Ursachen haben. Man hat hie
gewußt, daß das Stück anderwärts nicht gefallen ha
und sich vielleicht dadurch ein streugeres Urtheil suggerirer
lassen, als unter anderen Verhältnissen gefällt worder
wäre. Gerechtfertigt war die scharfe Opposition keines
falls, die sich nicht scheute, dem Dichter der „Liebelei“
der „Lebendigen Stunden“ bei jedem ihm zu Thei
werdenden Hervorruf mit Zischen zu begegnen. Das
neueste Werk des Wiener Poeten enthält, wie man das
nicht anders erwarten durfte, viel Schönes. Die drei
Hauptgestalten sind interessant und mit liebevoller
Charakterisirung gezeichnet; viel schöne tiefsinnigt
Gedanken sind in vornehm fließenden Versen ausge¬
sprochen, interessante, auch dramatisch bewegte Scenen
reihen sich an einander und doch vermißt man jenen letzter
stärksten Gehalt, der am Schlusse eines Dramas uns
das eben Geschaute wie etwas greifbar Wirkliches in
unserem Inneren wieder und wieder durchleben läßt.
Vieles in dem Stück interessirt und gefällt, nichts bewegt
oder begeistert; es ist zu viel Construirtes und zu
wenig aus unmittelbarer Empfindung Hervorgegangenes
darin, auch hat der Dichter in die 5 Acte Stoff
genug für drei Dramen gepreßt, und so ist das
Ausklingen jeder schönen Wirkung im ersten Ent¬
steben unterbrochen. Der erste Act begiebt sich im
Garten des Dichters Filippo Loschi in Bologna¬
Die Stadt ist in höchster Gefahr. Cesare Borgia kommt
sie zu belagern; Loschis Freunde fordern ihn auf, sich
den Vertheidigern anzuschließen — er weigert sich; seine
Braut zu besuchest, die am Sterbebett ihrer Mutter
weilt, er lehnt es ab, ebenso wie die Einlabung des
Herzogs, der den Dichter kennen lernen will. Sein
ganzes Denken und Trachten geht nach Beatrice Nardi,
die seit drei Tagen seine Geliebte ist und nun zu ihm
kommt, um mit ihm aus der bedrohten Stadt zu ent¬
fliehen. Als sie aber dem Dichter erzählt, sie habe vom
Herzog geträumt, daß sie ihm angetraut und von ihm
geküßt worden sei, da wendet sich Loschi von ihr, die als
seine Geliebte ihre Seele durch Träume von Anderen
beflecke, und stößt sie zurück. Der zweite Act führt den
Zuschauer in die Straßen Bolognas. Die Bürger
sammeln sich zur Vertheidigung, obwohl sie die Stadt
verloren geben, aller Lebensdrang, alle Lebenslust
rauschen Angesichts der wahrscheinlichen Vernichtung
höher empor; es heißt, der Herzog werde für die letzte
Nacht das schönste Mädchen Bolognas zur Genossin
wählen und die Bologneserinnen schmücken sich, um ihm
zu gefallen. Beatrice giebt, müde und traurig, dem
Werben des jungen Vittorino nach und will sofort
mit ihm zur Kirche, da erscheint der Herzog, sieht
Beatrice und wählt sie. Allein sie weigert sich, nur als!
angetraute Gattin will sie ihm folgen, und als er
von ihrer Schönheit geblendet darauf eingeht, giebt
Vittorino sich den Tod. Der dritte Act beginnt
mit einigen für den Gang der Handlung ganz über¬
flüssigen und daher nur verwirrenden Scenen bei
Filippo Loscht. Er hat eine ziemlich leichte Gesellschaft
bei sich gehabt, doch ein Mädchen will bei ihm bleiben
und mischt sich den Giftbecher, da sendet sie Loschi fort;
der Becher bleibt gefüllt zurück. Nun erscheint Beatrice
im Brautschleier. Sie hat sich vom Hochzeitsfest fort¬
gestohlen und will mit Loschi sterben, doch als er ihr
sagt, der Becher Wein, den sie getrunken, sei vergiftet,
kreischt sie im Haß wider ihn auf. Loschi hat sie aber
nur getäuscht und da er sieht, wie werthlos und feige
sie ist, giebt er sich selbst den Tod. Beatrice entflieht voll
Grausen, läßt aber ihren kostbaren Schleier zurück. In¬
#%, Berliner Theaterbrief.
zwischen ist sie beim Hochzeitsfest vermißt worden. Zurück¬
(Eigenbericht des „General=Anzeigers“.)
gekehrt, will sie nicht sagen, wo sie den Schleier verloren hat
Den beiden Novitäten von Bedeutung, die seit meinem
und soll den Tod erleiden. Wieder siegt die Liebe zum Leben,
letzten Bericht hier über die Bretter gegangen sind,
und sie führt den Herzog in Loschis Haus; als er sie
ist bei ihrer Erstaufführung eine ganz ähnliches
umarmen will, findet er den todten Dichter. Und nun,
Schicksal beschieden gewesen. Sowohl Charpentiers
mit einer merkwürdigen Inconsequenz in der Charakter¬
Oper — pardon, er nennt sein Werk ja einen „Musik- zeichnung Beatricens läßt Schnitzler sie plötzlich des
roman“ — „Louise“ wie Arthur Schnitzlers „Schleier Lebens müde werden, so daß sie um den Tod bittet,
der Beatrice“ haben ein zweiselhaften Erfolg zu den ihr der eigene Bruder giebt. Aus dieser kurz ge¬
verzeichnen. In beiden Vorstellungen rangen die Beifall=faßten Sklzze wird dem Leser der eine große Mangel
spendenden mit den Mißvergnügten laut und zähe des Stückes klar werden: der Charakter, oder vielmel.
um die Oberhan; für den Unbetheiligten war die Charakterlosigkeit Beatricens, die sie willenlos aus
es keine vergnügliche Zeugenschaft, noch weniger bei
einer Hand in die andere gleiten läßt und durch ihre
der Schnitzlerschen Première als im Opernhaus. Char¬
dumpfe Gedankenlosigkeit mehr Unheil anrichtet, als zehn
pentier ist uns ein Fremder, wir wußten nicht allzu Intriguantinnen es könnten. Aber eben darum ist sie
viel von ihm, doch hätte das ernste Streben, die ehrliche nicht interessant geuug, um das Stück zu retten, das
Arbeit in seinem Werke vielleicht auch bei jenem Theil außerdem noch an einer Ueberfülle von überflüssigen