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Nr. 24.
Die Nation.
schlürfen wird. Das lebensprühende Bologna angesichts des
Spekulation, sie ist ihm Bedürfniß. Das gibt seinen
großen Sterbens — der Hintergrund paßt ganz zum Bild
Werken häufig einen Reiz mehr, es mindert andere Male
ihre Ueberzeugungskraft. Der Gang der Handlung beruht
der Beatrice. Und just im Hinblick auf den sichern Unter¬
im „Schleier der Beatrice“ auf so vielen, feinen Hilfs¬
gang packt alles Volk ein toller Lebens= und Liebestaumel.
konstruktionen, daß die Bühnenwirksamkeit zum mindesten
In dieser letzten Nacht wird der Herzog das schönste Kind
sich nicht breit und nicht voll entwickeln kann.
aus Bolognas Gassen zu sich auf sein Schloß entbieten.
Beatrice ist es, die er sich erwählt. Sie, die der Dichter
Aber, nachdem der Vorhang gefallen und das laute
ihres unkenschen Traumes willen noch eben verstoßen, erhebt
Spiel vorüber, tauchen die Gestalten, die Schnitzler ge¬
er zu seiner Gemahlin. Von der Hochzeitstafel an der Seite
schaffen, vor den Augen wieder auf. Man bewundert die
feine Künstlerhand, die ihr Innenleben bloßgelegt hat. Man
des Herzogs aber flüchtet Beatrice, die allzeit und instinktiv
kostet den Stimmungsreiz aus, dem der Wiener Poet nach¬
Ungetreue, zu ihrem Dichter zurück. Sobald sie sein Gemach
betreten, steht sie angesichts des Todes, — wie diese Menschen
gab, da er sich und die Menschen um ihn in Gestalten der
Renaissance wieder suchte.
alle ein paar Stunden später dem Tod entgegengehen.
Auf solchem Hintergrunde und auf solche Lebenshöhen
Es nimmt sich das Bild der kleinen, seelenlosen
Beatrice im schweren, goldenen Renaissance=Rahmen gar
erhoben, gewinnen die Gestalten, wenn nicht Größe, so doch
wehmüthig und gar seltsam aus.
Glanz. In gehobener, und doch nicht farbloser Diktion hat
Schnitzler ihnen das Zeitgewand gewoben. Im Charakter
Ernst Heilborn.
der Beatrice hat er, losgelöst von allem zeitlich Bedingten,
das gezeichnet, was einen Frauentypus ausmacht, der immer
war und immer wiederkehren wird. Eigenartig, antheil¬
nahmeheischend gibt sich ihr Verhältniß zu dem Herzog und
dem Dichter. Psychologisch sind die Fäden ganz fein ge¬
sponnen.
Warum also blieb die Bühnenwirkung aus?
„Berr und Frau Dorenhoff beehren sich.“
Es ist keine Frage, Schnitzler hat, um das Renaissance¬
(Schluß.)
Zeitbild leuchtend hervortreten zu lassen, die Handlung allzu
Herr von Vollbrügge war gerade vom kurzen Nach¬
sehr komplizirt. Es geschieht zu vieles, das willkürlich an¬
muthet, die Fäden wirren derart durcheinander, daß das
mittagsschlafe aufgestanden und nahm mit seiner Gattin den
Gewebe undurchsichtig wird. Schnitzler hat die Motive
Kaffee ein. Da überbrachte der Diener die Postsachen. Der
Präsident musterte sie flüchtig.
wiederholt, die Gegensätze gehäuft. Um Beatrice anzu¬
Vier Einladungen auf einmal,“ sagte er sehr unwillig,
gehören, hat der Dichter seine Braut, um seinetwillen
„ich mag diese länglichen Kouverts kaum noch öffnen ..
Beatrice ihren ersten Verlobten aufgegeben. Eine Kontrast¬
jedes amtliche Schreiben ist mir lieber.“
figur tritt neben Beatrice in ihrem Verhältniß zu dem Dichter:
„Es ist die schlimmste Zeit jetzt,“ sagte seine Frau,
eine Kurtisane, die mit jenem zu sterben gewillt ist. Eine
deren kränkelndes Aussehen auffiel. „Ich meine, Du bist
andere Kontrastfigur stellt sich neben sie in ihrem Ver¬
hältniß zu dem Herzog: Rosina, Beatrices eigene Schwester,
auch zu rücksichtsvoll: wir sollten unser Ausgehen auf
zweimal in der Woche beschränken.“
die vielen angehört hat und doch nur diesen Herzog mit
„Es ist so schwer in unserer Stellung. Man verletzt
brünstigem Verlangen liebt. Solch eine Häufung der
die Menschen nicht gerne. Sie meinen es alle herzlich gut.“
Kontraste aber gibt dem dramatischen Bilde naturgemäß
„Von wem sind die Einladungen?“
etwas arrangirten Anstrich. Man vergißt das Leben über
Er nannte einige Namen.
dem psychologischen Kalkül. Was die Handlung an Mannig¬
„Und dann .. von Dorenhoffs.“
faltigkeit gewonnen, verlor sie an innerer Kraft.
„Ach, von der netten kleinen Frau! Ich habe sie wirk¬
Auch ist es Schnitzler nicht gelungen, diese komplizirte
lich in mein Herz geschlossen!“
Handlung in rechter Weise in Fluß zu bringen. Die
„Und er ist ein sehr tüchtiger Arbeiter, den ich immer
Exposition des bewegten Hintergrundes und damit den
mehr schätzen lerne.“
Stimmungsklang, auf den es ankommt, gibt erst der zweite
„Zu wann laden sie ein?
Ante nebensächliche Personen treten die Haupt¬
eh
„Zum nächsten Freitag.“
gestalten zeitweise gan Eutscheidende Entschlüsse
urgenüber ächt Tage?! So schnell! Das ist
fassen sie hinter den Kulissen. Durchaus ist es
wirklich harmlos.“
Charakter begründet, daß sie die hochzeitliche Tafel, an die
„Sie sind noch unerfahren und verstehen es nicht besser.“
sie sich so seltsam ahnungsvoll gesehnt, heimlich verläßt, um
„Zum Mittagessen?
zu ihrem Dichter zu flüchten: immer fühlt sie sich ja in den
„Um sechs Uhr.“
Armen eines Mannes zu dem andern hingezogen. Aber
„Es muß ihnen sehr gut gehen. Die Frau kleidet sich
wie sie zu dem Entschlusse kommt, wie sich die Wandlung
ausgezeichnet .. einfach, aber immer chik. Auch in ihrem
in ihr vollzieht, ist nirgend angedeutet. Genug, Beatrice taucht
Hause macht alles einen behaglichen Eindruck.“
ganz plötzlich zu nächtlicher Unzeit im Gemach des Dichters
„Sehr gut kann es ihnen kaum gehen. Und nun dies
auf. Um die Situation zu begreifen, muß der Zuschauer
große Mittagessen! Ich weiß nicht, wie sie es machen ....
den psychologischen Kalkül nachrechnen und sich sagen: richtig,
Sieh doch einmal in Deiner Liste nach, was für den Freitag
solch plötzlicher Entschluß war in ihrem Charakter wohl be¬
vorliegt.“
gründet. Im Drama aber sollte, just in entgegengesetzter
Die Frau Präsident erhob sich und nahm ein großes,
Weise, die Handlung als solche Licht auf die Charaktere
blau eingeschlagenes Heft, das auf ihrem Schreibtische lag.
werfen; das allein wirkt überzeugend; bleibt Schnitzler auch
„Freitag, den 22. Februar, las sic, „Vorstandssitzung
dem nachprüfenden Verstand gerecht, so schädigt er doch die
des Vaterländischen Frauen=Vereins, 12 Uhr, Komiteesitzung
augenblickliche Illusion. Und Illusion zerstörend ist auch die
für die Frühstücksvertheilung armer Schulkinder 3 Uhr,
zeitliche Zusammendrängung, die er geschaffen: all das geht in
Konferenz der Christlichen Vereinigung des Frauenbundes
einer Nacht vor sich. Jeder folgende Akt scheint gegen den vor¬
Uhr, Konzert zum Besten des Pensionsfonds des
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hergehenden zurückzugreifen, oder es sind doch die Minuten so
Lehrerinnen=Vereins 8 Uhr, ferner zwei Einladungen zu
ängstlich berechnet, daß der Zuschauer sich weiter vorgerückt
6 Uhr.“
glaubte, bis ihm klar gemacht wird, daß der Zeiger in¬
„Sind wir irgendwo gebunden?“
zwischen stillgestanden. In der dramatischen Handlung aber
„Zu den drei Sitzungen muß ich unter allen Um¬
sollte sich die Zeitfolge nur aus den Geschehnissen selbst
ständen. Der Besuch des Konzerts wäre sehr wünschens¬
ergeben. Auf der Bühne herrsche ideale, niche reale Zeit.
werth für uns beide. Die Kunstgenüsse werden mäßig sein..
Wohl besitzt Schnitzler reiche Gestaltungskraft, aber er
aber der guten Sache wegen ..
ist vielleicht allzu sehr Psychologe; er liebt die gedankliche