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Der Schleien der Beatrice
Fr.
oiner und Geschuftshäuser vor. Der ehemalige Ban de Vyvere fiel, gab der König zunächst diesem die Gelegen
Popolari=Abgeordnete Rechtsanwalt Merlin, der beim heit zur Verwirklichung seines Planes. Die Aussichten, daß es nahestehen
Ganz nach Freud, der ja das Schaffen Schnitzlers viel wesent= Biedermeierische
Feuilleton.
licher beeinflußt hat, als man glaubt, ruft er ihr zu, daß hat. Die trei
„Träume Begierden ohne Mut“ sind, „freche Wünsche, die das Dramatische an
Burgtheater.
Licht des Tages scheuen“. So jagt Filippo die fassungslose Was ist an „Ha
Beatrice davon und als sie später trotzdem wiederkommt, prüft ist vom Feind
Zum erstenmal: „Der Schleier der Beatrice“,
er sie von neuem mißtrauisch und stellt sie auf die Gistprobe. Ausfall der Tri
Schauspiel in fünf Akten von Artur Schnitzler.
die sie nicht besteht. Sie fürchlet nicht den Tod, aber sie hängt
zum Leben da,
Von
am Leben, das ihr mehr zu bedeuten scheint.
Ekstasen sein.
Leopold Jacobson.
Auch zur Schicksalstragödie führt der Weg Schnitzlers Aber dabei, einem an
Das ist ein merkwürdiges Schauspiel. Es drängt zum es sind immer nur Motive, nicht Ziele. Er preßt, mehr als ihr der schöne
Theater und entfernt sich gleichzeitig von ihm. Es entfaltet seine sonst, die Gegensätze: Leben und Tod in diesem Schauspiel zu- trifft sie ins He
Schönheiten, wenn man es liest, und es verliert sie, wenn sie
sammen; Leben ist „die Fülle, nicht die Zeit" und Tod das Ende aber nur wenn
dargestellt sein sollen. Umgekehrt hat wieder die Szene dramatische
einer Fahrt, wo hinter Mauern erst das gewaltigste aller dunklen Nacht des Her
Kraft, wo sich scheinbar nur eine Komödie der Worte auftat, und
Abenteuer wartet. Den Schnitzlerschen Menschen genügt es nie,
weg schleicht sich
die Schnörkel einer Gedankenkette sind plötzlich Bindungen für
zu leben und zu sterben. Sie leben ihr Leben nicht einmal, Blut zuerst in i
theatralische Kontraste.
sondern tausendfältig, aus dem Blut und aus dem Gedanken, sie ihr höchstes Lieb
Dieses Schauspiel steht zwischen Buch und Bühne. Im können kein Gefühl äußern, ohne sich obendrein noch Rechenschaft als sich der 2
Buch folgt man ihm unbedingt. Auf dem Theater verzögert man
darüber abzulegen, ohne daß sie nachprüfen, ob es echt war; sie Angst zurück insl
sich. Woran dies liegt, wird erst allmählich klar. Das Stück ist reißen sich die Brust auf, um ihr Innerstes zu betrachten, und ihrer Flucht ve
ein Wachtraum. Die Menschen darin wandeln wie im Schlaf. sie sterben anderseits tausend Tode, noch ehe sie zu leben auf= Enttäuschung an
Träume, die an die Oberfläche wollen, fallen ins Dunkel zurück, gehört haben, immer nach dem letzten Geheimnis suchend.
daß sie ihn dort
und Träume, die es nur im Dunkel sind, drängen ins Helle.
Dieses Schauspiel ist nicht von heute. Schnitzler schrieb es will er dann Bu
Jeder dichterische Einfall Schnitzlers ist beinahe immer nur
vor fünfundzwanzig Jahren, aber es könnte ebensogut am Ansang drängt, über den
als ein Beispiel aus dem Triebhaften gedacht, für das er Schicksals¬
wie am Ende seines Dichtens stehen. Der Kreislauf seines mystischen der Leiche Filip
verknüpfungen findet. In einem anderen Zusammenhang schrieb er
Träumens, des tiefen Suchens um die Zusammenhänge des Welt= immer nur die
einmal den Satz nieder: „Wenn wir nichts anderes sind, sind
geschehens und das ewige Erkennen des Urgesühls, das im Ver- versäumen und
wir ein Beispiel.“ So nimmt man das rasch auch wie ein Richt¬
langen nach Liebe liegt, der Drang nach Wahrheit und die
Schnitzler
zeichen auf für alles, was aus seinen Gedankenspielen entstand,
schmerzliche Skepsis, daß sich Handeln und Wollen ständig ver= Theater ber
für die Menschen und ihre Absonderlichkeiten.
schieben, ist in diesem Stück eingeschlossen und darüber hinleuchtet gröberung ist.
Der Fall Beatrice ist ein Fall Lulu, natürlich ein schnitz¬
wie ein Stern über dem Chaos nur der inbrünstige Glaube Wertvolles zum
lerischer, kein wedekindischer. Auch Begtrice ist Erdgeist, Weib an an die Unvergänglichkeit aller Kunst. Oder des Dichtens. „Ein doch als unentbel
sich, Prinzip der Zerstörung. Auch an ihr sterben die Männer, Lied, verweht's der Zufall nicht, ist's ew'ger als der kühnste Gedanken und D
aber sie bleibt immer Kinv, ganz unbewußt in ihrer Schuld. unserer Siege“ . .. Das ist Schnitzler.
faden, wenn die
„Warum gerade mir dies alles?“ fragt sie. „Warum war ich
Geht man diesem Stück im einzelnen nach, um den jemand, der da
auserseh'n vol allen, so vielen Leid zu bringen und weiß doch:
Widerspruch zu ergründen, warum es im Buch um so unendlich Wesentlichstes un
Ich wollte keinem Böses!“ In Beatrice ist eine Dämmerseele und
stärker wirkt als auf der Bühne, dann springt schroff auf: man schwer verm
ihr Blut, das so verlangend scheint, ist eigentlich müde wie sie
es ist irgendwie verbaut. Es kommt aus dem Reflektiven ins die Schauer der
selbst, die immer nur ausruhen will, wenn sie von einem zum Dramatische, aus dem Dramatischen wieder ins Reflektive. Die Die Volksszenen,
andern geht.
Linie ist vielfach gebrochen, die „Verknüpfungen“ häufen sich, sind ganz verschwunde#
Von Wedekind weg macht Schnitzler deutlich den Sprung
manchmal schwer erkennbar und dann wieder, nicht des Schauspiels
zu Hebbel. So wie Herodes bei Mariamne immer von neuem
zu entknoten. Dabei
der
rein
dramatische
Oder liegt
den kristallklarsten Beweis dafür sucht, daß ihre Liebe von keinem
Grundeinfall stark und wirkt an sich noch stärker fort. theaters, die l
Nebengedanken beherrscht ist, so auch der Dichter Filippo in dem
Es ist kein Zufall, daß aus diesem „Schleier der Beatrice“ ein Puppenspiel wird
Stück von Schnitzler. Er stellt Beatrice wohl nicht unters „Schleier der Pierette“ wurde, kein Zufall, daß Schnitzler Spruchbändern in
Schwert, aber ihre Träume bedeuten ihm schon Schuld genug. denselben Stoff aus der Renaissancezeit später ins wienerisch schuldig bleibt u
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