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Räglckg iüddege Fontdenkadis
mit dem tägl. „Programm“ (Theaterzettel) der beiden Staatstheater zur Straßenkolportage.
gentümer und Herausgeber: Karl Ed. Klopfer. Commandit-Verlag Klopfer & Comp., Wien, VIII., Skodagasse 28.
Telephon Nr. 23-1-87.
bonnement (kann mit jeder Nummer beginnen) 1½ Schilling für 10 fortlaufende Nummern mit Postversandt: ohne Theaterzettel. Man verlange Erlagschein.
Gatzschluß dieser Nummer: 5. Juni. Die nächste wird ab 1. Septbr. ausgegeben. Bei sämtl. Artikeln ist der Nachdruck verboten.
Liedern und einer Symphonischen Tondichtung
die unveründerlich Kleinen und lebt in glück¬
„Kaleidoscop“.)
Der Schleier der Beatrice.“
lichster Unkenntnis dahin. Und sie plaudert
Spät genug also tat sich das Burgtheater dem
weiter in heiterem Mitteilungsdrang, als blättere
Schauspiel in fünf Akten von Arthur
Drama auf, dessen Schicksal es schien, von den
sie in einem Bilderbuch. Bentivoglio, Bolognas
nitzler. (Samstag, den 23. Mai zum ersten
Zeitgenossen verkannt zu werden, wurden ja heute
Herzog, ist von seiner römischen Reise zurück.
eim Burgtheater.)
Tnoch kritische Stimmen laut, die in Schnitzler
Er kam mit großem Gefolg durch ihre Straße
Es ist das erste der zwei großen Versstücke
stets nur den Dichter des unsterblichen Süßen und
— nur auf ihr ließ er den Blick ruhn. Das
itzlers, und man darf es als das bedeutendste
Mädels und den bevollmächtigten Geschäftsträger
brachte ihr dann einen anmutigen Traum, als sie
k des bedeutendsten österreichischen Dichters
der „Decadence“ erblicken wollen. So kann ein
— zum Gange hierher ihre Schuhe wechselnd —
Gegenwart ansprechen. Bereits 1899 ent¬
erworbener Ruhm zum Verhungnis werden. Wie
auf ihrem Bette in kurzen Schlummer verfiel.
den, wurde es 1900 von Schlenther für's landers wür es, wenn man das Stück nun anonym
„Denk' nur, ich war die Herzogin!“ Filippo¬
gtheater erworben, um im September des hätte aufführen können! Ich glaube, da hätte
wird stutzig. Und weiter? Sie setzt ganz arglos
igen Jahres — zurückgereicht zu werden,
man allgemein begriffen, warum Schnitzler sein fort, daß sie huldvoll nach allen Seiten gedankt
den Protest von sechs namhaften Burgtheater-] Bologneser Mädchen zwischen jedes Volk und in
habe, auch ihm, Filippo, der ehrfürchtig das Knie
ikern herausforderte, aber keine andere ein-Ljedes Zeitalter versetzen dürfte und daß es nur
vor ihr beugte. Und daß ihr dann gewesen sei,
nische Bühne bewog, sich um das Stück zu
auf die Umwelt ankommt, ob ein zögernd auf-als führe der Herzog sie durch ein Dunkel, ihren
erben das nach der Uraufführung (in Breslau,
blühendes Weibtum — das die Neuheit jeder Namen flüsternd und seine Lippen den ihrigen
1. XII. 1900) in Druck erschien. Anfangs
Minute in animalischer Unschuld erlebt, sich über
nähernd. — Filippo stößt sie empört zurück:
8 brachte es Brahm in Berlin, erst sieben
Nichts oder Alles wundert und bald lächelnd
. Träume sind freche Wünsche, Begierden ohne
acht Jahre später kam es in Hamburg heraus.
genußfroh, bald in furchtsamer Scheu vor ge¬
Mut“ und nennt sie die Dirne ihres Traumes.
man scheint es nirgends gebührend gewürdigt
Tahnten Abgründen triebhaft den verläßlichen
Sie kann’s nicht verstehen. Liebt er sie nicht
haben. Freilich, der Autor der „Liebelei“ und
Führer durch die Buntheit des Daseins sucht —
mehr? Er weist sie aus seinem Garten. „Wann
„Anatol“-Cyklus war da bereits rubriziert.
Tals holdes Naturkind geliebt oder als leicht¬
soll ich wiederkommen?“ ist ihre bettelnde Frage.
auf eine Spezialität verpflichtet, und „Schuster.
fertiges Dirnchen bis zur Hexenprobe verdammt
„Im Leben nicht.“ Das dringt ihr zu Herzen,
be bei deinem Leisten!“ ist eine Mahnung.
lwird. Das echte Weib geht unverbildet durch die
und mit schier überirdischer Heiterkeit geht es
n sich alle — Schuster befleißen, auch wenn
Jahrhunderte, denen die wechselnden Kampfziele
ihr ein, daß er ihr die Möglichkeit ließe, mit
sich Dramaturgen oder gar „Kunstrichter“
und -spiele des Mannes den „Zeitgeist“ verleihen.
ihm zu sterben, wenn sie erkenne, daß sie ohne
ken. Schlenther, der in Wahrheit das Prü¬
Mitten in jeder Kultur-Hochblüte sitzt auch
ihn nicht zu leben vermöchte. — Filippo fühlt
iere vor einer verantwortungslosen Geheim¬
die Fänlnis, Schnitzlers Verständnis für diese
sich in seinem Vertrauen betrogen — durch den
ur spielte, gebrauchte die Ausrede, das Stüch
Erscheinung hat man für die perverse Lust dran
Traum dieser undisziplinierten Mädchenseele, die
t besetzen zu können, obwohl Frl. Medelsk,
genommen. Aber der Dichter hat vielfältige
also doch nicht bis in die geheimste Falte sein
als das Gretchen spielte, bald auch die Isabel
Fühler und senkt sie in alle Kelche. Sich voll¬
Herreneigentum wäre. Er hätte ja allen An¬
lerons, und sich ebenso sicher Fr. Hohenfels,
saugend mit Allem was Lebensgenuß ist, gelangt Ispruch darauf, er, der sich
— nicht bloß in
zweieinhalb Jahre darnach als Monna Vanna
er zu seiner Weltgefühls-Plastik, die jede seiner Dichterträumen — jeden Tag anderen Wünschen
ückte, für die Beatrice interessiert hätte.
Gestalten zum Träger ge-griffener Wahrheit Thingibt und auch dem erreichten Idealweib, das
den Herzog wäre wohl Georg Reimers-Imacht. Und eben deßhalb darf man ihn nie mit ]mit jedem Gedankenkeim restlos die Seine wäre,
nzivalli, später Gerasch, für den Filippo aber einer seiner Gestalten völlig identifizieren, mit
nur so lange treu bliebe, als es ihn nicht ge¬
gewisser Josef Kainz zur Verfügung ge-diesem Filippo Loschi etwa, der wirklich ein
lüstet, sich eine Erhöhung des Glückes durch
den. Es sollte nicht sein. Nach der Ham-Dekadenter ist, bereits ein Ermüdender, der an das Bewußtsein zu schaffen, daß es ihm auch
ger Aufführung plante Alfred v. Berger als
dem Tag, an dem er die Braut aus edlem Ge¬
noch die Freiheit ließe, sich anderswo
Ehfolger Schlenthers die Aufführung am Burg¬
schlecht am Sterbebett ihrer Mutter mit brünsti¬
Zwischenstimmung zu suchen. So ergreift er
ater — und starb, eh es dazu kam. Auchigem Antrag beschmutzte, aus einer bunten Volks¬
auch jetzt ein probates Mittel, sein trauerndes
lenkovich und Max Paulsen versprachen sie.
Imenge die kleine Beatrice Nardi an sich zog
Herz zu betäuben, als zwei adlige Lebejünglinge
es schob sich immer Etwas dazwischen.
Tund mitnahm, wie man von der Hecke die Rose
ein Paar Florentiner Kurtisanen bei ihm ein¬
tlerweil wurde der Stoff nach des Dichters
stiehlt. Durch sie, die sich dem Gold seiner
führen, die den berühmten Dichter Bolognas zu
Eprungsentwurf in das Wiener Biedermeier-Geisteskraft wie einer neuen Sonne erschließt,
sehn und zu sprechen wünschen. Er behält sie
ien übertragen und kam als Pantomime Musik
wird auch er noch einmal Neuempfänger. Sein
samt den mitgebrachten Musikanten bei sich. Eine
Ernst Dohanyi) unter dem Titel „Der Schleier
Vorsatz ist, mit ihr zu fliehen. In eine Fremde.
durchlärmte Nacht soll ihm vergessen helfen.
Pierrette“ ans Deutsche Volkstheater (jetzt
wo niemand ihn kennt und Beatrice — dort so
Zuhause wird Beatrice von ihrem Bruder
sie mit einem russischen Güste-Ensemble am sentwurzelt wie er — bis in die letzte Faser
Francesco, der schon den Panzer des freiwilligen
mundtheater erscheinen) — begreillicherweis
mit ihm verschmölze.
Stadtverteidigers trägt, zur Vermählung mit dem
e Erfolg, da die Handlung trotz ihrer voll¬
Beatrice erscheint: „Da hast du mich!“ Sie
Jugendgespielen Vittorino gedrängt. Die gefähr¬
matischen Kraft mißdentet wird, wenn sie der
hat sich durch arges Gedräng schlagen, müssen.
liche Stunde heischt raschen Entschluß, nur diesen
uternden Sprache entbehren muß, noch dazu
Ganz Bologna ist auf in Erwartung der Scharen
Abend noch ließe sich für zwei Leute ein heim¬
er gedankentiefen und herrlich beschwingten
Cesare Borgias, der die Stadt dem Papst unter¬
licher Ausgang gewinnen, und Francesco will
ache, die den Hauptverzug des Werkes bildet.
werfen soll. Filippo eröffnet ihr seinen Flucht¬
die jüngere Schwester, die unverdorbene, in
um wohl mißitraute unsere Staatsopern¬
plan. Ihre Familie soll sie nicht wiedersehn. Sie
sicherer Hut wissen, che Bologna von der feind¬
ektion auch dem von Heinrich C. Noren ver¬
ist auch dazu bereit; ihr sei immer gewesen, als
lichen Soldateska gestürmt wird. Beatrice willigt
ten Libretto; die Partitur wurde unbesehn
hab sie im Elternhaus nur zu Rast verweilt.
betrübt ein. Auch sie drängt’s in Geborgenheit:
elehnt, auch das Anerbieten des Komponisten,
Vater Nardi, der Wappenschneider, ist irr; für
„Nicht nach deinen Küssen verlangt's mich,
Klavierauszug vorzuspielen. (Das ist bei der
ihn steht die Zeit still seit dem Tag, an dem
Vittorino, aber ausruhn möcht' ich bei dir, weil
vitäten-Not unserer Oper allerdings umso
ihn seine Frau offensichtlich betrog. Beatricens
ich so müde bin.“ An diesem Vorabend der
taunlicher, als sich Noren in Deutschland Naivität kann auch darüber lachen, denn ihr Kriegsnot sind einer raschen Vermählung die
gst einen Namen gemacht hat: mit schönen! Vater behandelt seine erwachsenen Kinder als Wege geebnet. Während man sich zum Gang