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14: Der Schleier der Beatrice
der Güte der Mischung zahlen. Was ausserhalb dieser
geschäftlichen Schablone fällt, muss sich seine Gemeinde
suchen. Es mangelt mir an Zeit, die moderne Belletristik
zu verfolgen; aber ich weiss, dass zum Beispiel weder die tief¬
sinnig-Listigen Grotesken des Bayers Rüderer noch die schönen
Erzählingen Philipp Langmanns ein zweites Tausend erlebten,
während ein paar Bände des unendlich abgeschmackten und
unbedeutenden Professors Dahn auf allen Geschenktischen beim
Weihnachtsbaume liegen. Ich weiss, dass neun Zehntel alles dessen,
das in Deutschland gedruckt wird, deshalb geschrieben wurde,
damit der Verfasser Brot habe, und umgekehrt fast alle, die
verdienten, auf Staatskosten im Prytaneion gespeist zu werden,
verhungern könnten, wenn sie nicht, wie es immer sein sollte,
anderen Erwerb haben. Und ich weiss ferner, dass es ein Glück
wäre, wenn ein Gesetz jede Entlohnung für geistige Leistungen
für strafbar erklären und Geber wie Empfänger mit den stärksten
Bussen bedrohen würde. Gewiss läge in einer solchen Bestim¬
mung eine Härte für den Schaffenden; aber für das geistige
Leben der Nation brächte sie ganz unmessbaren Vortheil. Es
wäre damit der unwürdige Zustand beseitigt, dass Dichter und
Künstler mit ihren Eingebungen Schacher treiben und dabei noch
neiderfüllt auf die Macher und Händler sehen müssen; es wäre
vermieden, dass sich Talente um Geld prostituieren müssen und
schliesslich daran zugrunde gehen. Was werden muss, wird auch
dann werden; nur durch solche Werke aber wird die Menschheit
reicher. Das von mir beantragte Gesetz hätte nicht die Entstehung
der-Wolkene des Aristophanes oder des Goethe'schen - Fauste,
wohl aber die Ueberschwemmung mit verblödender Roman¬
handelsware gehir lert. Erst dann könnten wir die künstlerischen
Visionen, nicht verwischt durch feige Compromisse, in ihrer
leuchtenden Schönheit sehen.
Ich bin gefasst, dass die meisten meinen Vorschlag für eine
Unmöglichkeit und die Wohlwollenden für ein Paradoxon halten
werden. Ich will sie nicht an Schopenhauers ingrimmige Ver¬
dammung der Honorare erinnern; aber ich fordere sie auf, an¬
zugeben, wie die vollständige Amerikanisierung von Literatur
und Kunst, die vor der Geffentlichkeit ohne Scham getriebene
Hingabe von Geistigem nicht nur gegen Lohn, sondern auch in
Erwartung des Lohnes, wie, sage ich, diese schreckliche Simonie
auf andere Weise beseitigt werden kann. Man spreche nicht von
künstlerischen Stangesinteressen; Künstler sind kein Stand. Nur
in unserer Zeit konnte das aufreizend philiströse Wort in An¬
wendung kommen. Es ist unnatürlich, für Kunst Bezahlung zu
bekommen; Mäcenaten, vermögende, ihrer hohen Pflicht und
Aufgabe bewusste Versteher und Geniesser sind allein natürlich.
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