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Reigen
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Eröffnungsvorstellung des Kleinen Theaters.
Der Akademisch-dramatische Verein in München wurde sim
Jahre 1904 aufgelist, weil er einige Szenen aus Arthur Schnlt
lers „Relgen" zu spielen wagke, und die heiligen Hallen der Berkiner
Hochschule für Musik sind — keils aus moralischem, teils aus geschäft
lichem Eifer — geradezu rot geworden, als sie sich gezwungen sähen,
Dieses Teufelsweik zu erkragen, nachdem sie vorher um Wedelinds
4 Büchse der Pandora“ herum würdevoll und unbeweglich stehengeblieben
waren. Den Wedekind hatte man dort anscheinend für weniger
Iverwerflich gehalten, weil es seinem Erdgeist, dem Geist der irdischen
MLiebe in Lulus Gestalt, zuletzt recht kläglich ergeht, während sich gar
# nect verhehlen läßt, daß der Reigen von zehn höchst irdischen Liebes¬
Mren, die Schnitzler im schönsten Zeit= und Lokalkolocit in Wien und
Ausgang des vorigen Jahrhunderks zusammenbringt, eine in der
upfsache heifere Angelegenheit von likerarisch gebändigter Aus¬
gelassenheit ist Unter den Daumenschrauben der europäischen Sittlich¬
keit gl ibte Wedekind an keine freie Glückseligkeit des Fleisches un
malte beshalb den Teufel an die Wand. Der Ekhiker Wedekind mußte
— Sinnlichkeit eine Religion machen, wie
aus seiner — und unser aller
man sie am schönsten in Minz=Haha' und im „Radbi Esra“ nachlesen
kann. Schnihler, ein Philosoph für die Wekt, wie ste ist, und wie sie
besonders in Wien ist, zeichnete sehr unpathekisch auf, was er sah und
wie er es sah.
Zu den spitzesten Feinheiten dieser scharf und blank geschleffenen
Dialoge gehört die Verulkung der himmlischen Liebe in allen ihren
Talmiformen. Wenn der Dichker oder die junge Frau die Pose der
schönen Seele stellen, dann schüttelt man sich, und wenn gar zwei Po¬
seure, der Dichker und die Schauspielerin, zusammenkommen, wird der
Reigen beinahe zum Clownsspaß. Es ist sehr schwer für den Zeif¬
genossen, die verschiedenen Werke eines Autors nach ihren Unsterblich.
keitsgraden abzuschätzen, und man setzt sich dabei etwas unvorsichtig der
Verachtung jener Enkel aus, die sich etwa bemüßigk fühlen könnben
ältere Zeifungsjahrgänge und ähnliche Hilfsmittel für ihren Forschungs¬
krieb zu benutzen. Aber jedenfalls, ich für meinen Teil werde noch als
Greis im Silberhaar den Reigen' mit allerhand Hochachtung vor
seinem Verfasser lesen können, selbst wenn Schnitzlers übrige Werke
mir schon ein bißchen vergilbt und vergangen vorkommen sollten.
Blitzende Varialionen über ein heikles Thema nach einer frivolen,
aber keineswegs schmalzigen Melodie. Nach dem Takte des Knaben
Eros schlingen sich Männlein und Weiblein durcheinander zum Tanz
und umschlingen sich wechselwels, bis alle sozialen Kreise ineinander
verschlungen sind. So geht der Reigen: die Dirne nimmt den Soldaten
mit und der Soldat bemächtigt sich des Stubenmädchens. Das Stuben¬
mädchen ist dem jungen Herrn sehr zu willen, von dem sich dann mil
großer Geste die sunge Frau verführen läßt: die junge Frau ist ge
legenklich auch ihres eigenen Mannes Geliebte, während der Ehemann
zu anderen Zeiten das soße Mädel vorzieht. Das süße Mädel gebört
eigentlich dem Dichter, soweit dieser nicht ekwa von der Schauspielerin
in Anspruch genommen wird. Die Schauspielerin empfängt den Grafen
nicht nur an ihrem Bett, und der Graf erwacht nach einer durchzechten
Nacht neben der Dirne, die den Soldaken, der sich des Stuben¬
mädchens usw., im Kreis herum, im Kreis herum, und Eros schlägt den
Takt: Bumbum!
Soll man sagen, Schnitzlers zehn Paare wären von der Liebe be¬
rauscht? Sie sind vielmehr nur beschwipst davon. Die Liebe ist ihnen
ein Gesellschaftsspiel, ein rohes, ein feines, ein plumpes, ein süßes, ein
gemeines; aber doch stets eine Art Spiel, aus dem niemand Ernst machen
möchte. Und gerade in der Abwesenheit des Ernstes, in dem Absehen
von allen „Folgen“ steckt hier Schnißzlers Ethos, vielleicht kein aus¬,
vielleicht ein untergelegtes Ethos: der Liebesschwips ist steks ein bißchen
minderwertig und ein bißchen racherlich, mag er auch — im Gegenfaß
zum echten Rausch — von peinlichen Folgen nicht selken unbekroffen
bleiben.
Der gepflegte Wiener Poct läßt feine Tierlein im Käfig springen,
schaut ihnen unbekümmert zu und macht unsterbliche Witze dabei: „Es
Ich nenne mich Bie¬
ist doch besser, daß wir nicht geweint haben.“ —
Es wär doch schön gewesen, wenn ich sie nur auf die Angen
geküßt hätt. — Der Dichter: Spürst du dich überhaupt leben?“ Das
üße Mädel: „Geh', hast kein Kamm?“ Auf den Flügeln der Ironie
erhebt sich der Dichter über alles, was einen Anderen im Schleimigen
oder Schwülen festhalten würde. Wohl mögen Hörer und Hörerinnen
bei diesen zehn Dialogen in einen Zustand ständiger Angeregtheit ge
raten, den nur die Prüderhe leugnet und nur die Prüderie verdammt.
Aber Hörer und Hörerinnen sollen ja gerade wieder lernen, was glück
lichere Zeiten verstanden haben: Sich frei und heiter und geschmackvoll
zu betragen auch bei den alleranregendsten Gelegenheiten. Die Heiber¬
keit und die Freihelt haben gewiß ihre Grenzen, und zwar solche, die
nur der schlechteste Geschmack überschretten möchte. An diesen Grenzen
steht in Schnitzlers Buch ein Zann von Gedankenstrichen mitten in jeder
Szene. Scherzhafterweise gerade in der letzten nicht, da der Graf die
Dirne in unserer Gegenwark nur auf die Augen küßt. Was fängt die
Bühne nun mit den Gedankenstrichen an? Darüber, daß man Gedan¬
kenstriche nicht spielen kann, müßte man sich in so ausgerassener Weise
verbreiten, wie ich es an dieser Stelle zu kun keineswegs gesonnen bin.
Oplische Wahrnehmungen der Gedankenstriche bleiben auf der Bühne
ausgeschlossen, also verdunkelt man sie, akustische Wahrnehmungen von
naturalistischer Beschaffenheit dleiben noch ausgeschlossener also macht
man Musik. Denn etwas muß offenbar geschehen, soll die Pause nicht
albern — wirken. In Berlin hak man jedesmal die gleiche Musik ge¬
— gewesen
— albern
macht, und alle Zeugen versichern, daß sei auch
Mich würde solch unvermeidliche Begleitmusik sicherlich an die alle Uhr
in den ersten Kapikeln des „Tristam Shandy“ erinnern (Nachzulesen
bei Lawrence Sterne.) Also verschiedene Musik. So verschleden wie
sich Schnitzlers Pärchen vorher und nachher in Worken und Werken be¬
tragen, so verschieden müssen gewissermaßen auch ihre Gedankenstriche
ein. Aber diese Musik kann man auch nicht vor der Szene mit Diri¬
gentenstab und schmissigem Einsatz womöglich hervorbringen lassen. Ihre
einzige Aufgabe ist, auf gesstreiche Art abzulenken von dem, was i
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