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Reigen
Bonnerstag, 26. November 1903.
auf Dasein erwiesen. Im übrigen mag über den Reigen ein jeder
denken wie er mag, es bleibt das Werk eines Künstlers. Sodann
mag auch die Aufführung des Vereins verfehlt gewesen sein — aus
ästhetischen und dramatischen Gründen. Das alles geht aber weder
Herrn Schädler noch sonst jemand was an, sondern allein den Verein
und seine geladenen Gäste. Kein um seine Moral besorgter Student
keine Antoniusnatur, der alles Weibliche und Sinnliche zur Ver¬
führung dient, brauchte hinein zu gehen. Ja selbst Herrn Schädler
wäre es nicht möglich gewesen, persönlich Anstoß zu nehmen, da ihr
niemand dazu einlud.
Schließlich ist der Akademisch=dramatische Verein kein Animierklub
vielmehr hat er in eifriger und erfolgreicher Tätigkeit seit 1892 be¬
wiesen, daß ihm die Pflege der Literatur eine ernste Aufgabe war.
Das braucht natürlich der Bamberger Domkapitular nicht zu wissen.
In den Zeiten, da unser hiesiges Theater, das Hoftheater an der
Spitze, seine Pflichten gegenüber dem modernen Drama schmäh¬
lich vernachlässigte, hat der Verein ihm in München Eingang ver¬
schafft. Viele von den Dramen, deren hohe literarische Bedeutung
heute unbestritten ist und die zum Teil Repertoirstücke der deutschen
Bühne geworden sind, hat der Verein hier zuerst aufgeführt. Ich
nenne von Ibsen die Gespenster, Rosmersholm, die Wildente, die jetzt
endlich ihren Einzug ins Hoftheater hält, den Baumeister Solneß,
Sodoms Ende von Sudermann, Einsame Menschen, die Weber, das
Friedensfest von G. Hauptmann, die Jugend von Halbe, Ueber unsere
Kraft I. von Björnson (erste Aufführung in Deutschland), die Fahnen¬
weihe von J. Ruederer und die Salome von Wilde. Ach, was hätte
Herr Schädler erst gesagt, wenn er wüßte, daß der +1 Verein anno
1900 des witzigen Macchiavelli Mandragola spielte, an dem Papst
Alexander VI. mitsamt seinem Hofe so großes Gefallen fand. Ich
kann nicht alle die anderen interessanten Werke hier aufführen, deren
Kenntnis und Genuß uns der Verein vermittelt hat. Unter den
jüngeren Dichtern und Schriftstellern in München ist niemand, der
hier nicht mitgewirkt hätte. Gewiß, manches war ein Versuch
ein Experiment. Das war gerade das Gute daran, daß man hier
alles sich erproben ließ, was etwas zu sein versprach.
So hat sich denn der Akademisch=dramatische Verein um
die moderne Literatur „wohl verdient“ gemacht, wir die
Münch. Post seit Jahren hervorgehoben hat. Diese Literatur mag so
gut und schlecht sein wie sie will, sie ist die Literatur, mit der wir
leben und uns auseinandersetzen müssen. Wer sie nicht mag, lasse
die Hand davon und verschone uns aber mit seinem Banausentum
und seiner Moralketzerei. Möge der Akademisch=dramatische Verein
auch in Zukunft seine nützliche und fruchtbare Arbeit fortsetzen. Das
ist der einmütige Wunsch und zugleich der laute Protest aller, die in
Sachen der Kunst keinerlei Bevormundung weder vom Parlament
noch von Ministerien bulden wollen.
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Dr Max Goldschmidt
„ Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.

Ausschnitt aus
Prager Tagblatt, Prag
26 NOV. 760
— Shnihlers „Reigen“ und der
Atichner Krwbentschecerernr die sung
bei Beginn des Semesters üblichen Anschläge des Münch¬
Wrlsdenschöramalschen Kreine, in denen bese
auf schwarzen Brett der Universität zur Teilnahme an
seinen Veranstaltungen einlud, wurden in diesem
Sser auf dund ener Gnschlefung des Mine¬
riums des Innern wieder entfernt. Zur Begründung
wurde angegeben, daß der Verein durch die jüngst von
uns gemeldete Aufführung von Szenen aus dem
Schnitzlerschen „Reigen“ die Kritik zu sehr herausge¬
fordert habe.
Dr. Max Goldschmict
. . Bureau für
Zeitungsausschnitte
verounden mit direktem Nachrichtendienst durch
eisene Korrespondenten.
Berlin N. 24.
Telephon: IlI, 3051.

Ausschnitt aus
Hannoverscher Courier
2 6 NON 1903
Ein Disziplinarverfahren wegen Schnit¬
lers „Reigen“. Der bayerische Kurs###hat= das
Rektorat der Münchener Universität angewiesen, unverzüglich
gegen jene Studenten ein Disziplinarverfähren einzuleiten,
welche im geschlossenen „Alademischen Verein“ Schnitzlers
„Reigen“ zu Vorlesung brachten, ein Werk
— so heißt es in
der betreffenden Verfügung —
das als notorisch unsittlich
gebrandmarkt ist, und dessen öffentliche Vorlesung in Wien ver¬
boten wurde.