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11.
Reigen
ein an sich durchaus brauchbarer Künstlerwitz, einmal so nach den Typen, was sie an Lebenssaftigkeit und Glaubens¬
würdigkeit verlangten. Nicht restlos in seiner Asphalthaftig¬
Art des Totentanzes sub specie veneris durch dieses sich
im Residenz¬
keit kam das süße Mädel heraus; glänzend, mit viel innerem
selbst ironisierende Leben zu walzen. Und mit der scharfen
Humor hatte Jutta Versen ihre Schauspielerin angelegt.
Wirklichkeitsbrille, mit der er alles das sieht, mit seiner
Von der Begleitmusik von Forster=Larrinaga, die der
wienerischen gemütlichen Weibchengrazie und seiner spiele¬
Schnitzlerschen Schwüle in einer gewissen überkabarettmäßi¬
5 das überausverkaufte
rischen Artistik weiß ein Kenner und Könner wie Schnitzler
gen Mischung von Tanz und Sentimentalität zu sekundieren
en helfen, war sich von
ja solche Dinge auch ohne alle Zweifel zu zwingen. Aber
sucht, ist die Einführung in Moll, die wie die Dirne auch
nerwartete. Jeder, der
die völlige Eindeutigkeit sämtlicher vorgeführten Typen
am Schlusse wiederkehrt, wohl das Wertvollste und zugleich
e einen Platz erstanden
beiderlei Geschlechtes, die durch nichts so treffend gekenn¬
für den Abend Bezeichnendste: Moll zum Eingang, Moll
inen gedruckten Revers
zrichnet werden, als daß am Anfang und am Ende der
am Ausgang, das Ganze Moll in Moll, trotz aller lebens¬
usdrücklich verpflichtete,
Serie die Dirne steht, muß in ihrer fortgesetzten Wieder¬
des Mißfallens laut¬
bejahenden, lebensheischenden Brünstigkeit in Dur in¬
holung trotz aller Espritkrampfigkeit des Dialogführers er¬
e ihm mit einer Klage
mitten
müdend, ja schließlich Uebelkeit erregend wirken. „Das Böse
auch stand auf diesem
ist nicht Sinnlichkeit, sondern sublimierte, zur Maxime er¬
Theatergeschichte jeden¬
obene Sinnlichkeit,“ sagt Vischer in seiner Aesthetik. Doch
bemerkt, daß die ge¬
wozu sich über im Grunde so furchtbar einfache, jeder kunst¬
st benutzt werden müs
philosophischen, ästhetischen Problematik bare Erzeugnisse
fe, sowie, daß die Herr¬
iner Dekadenzperiode der Literatur weiter Gedanken
hres Lebens noch nicht
machen? Man kann in der Literaturgeschichte diesen Reigen
zu bleiben haben. Man
Arthur Schnitzlers noch so bestimmt unter das Kapitel
ußte, um was es sich
solange
ornographischer Entgleisungen einrubrizieren
es als ein Beweis fortgeschrittensten Kulturwillens gilt,
nter solchen Umständen
wilden Hunde, die im Keller der Seele vor Lust bellen,
Aufnahme des Sti
die Freiheit der Kunst zu lassen, so lange wird keinerl
ein Publikum mit 5
de und Schreibe daran etwas ändern. Aber verübern
wider den Stachel zu
l man es auch niemandem, wenn er bei aller Genü߬
lufgebot uniformiert
freudigkeit in Dingen der Kunst und der Liebe doch nach Ab¬
ie auf der Straße dem
olvierung dieser fünffachen szenischen Doppelvergattung zu
schtbarlichen, energisch
use still seinen Zarathustra aufschlägt und im Kapitel
auch von dem äußere
von der Keuschheit anfängt zu lesen: „Ich liebe den Wald.
den, daß die zehn, ohn
In den Städten ist schlecht zu leben: da gibt es zu viele
ereinander sich folgen
Und seht mir doch diese Männer an:
der Brünstigen. —
Reigentouren nennt
ihr Auge sagt es — sie wissen nichts Besseres auf Erden,
er Ruhe und Selbstve
als bei einem Weibe zu liegen. Schlamm ist auf dem
aß sich das Theater nac
Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar
ohne Zwischenfälle leerte
noch Geist hat
nid Selbstverständlichkei
Bleibt noch die Aufführung. Und die war vom Leiter
den neue Werk hinweg
dieses Berliner Gesamtgastspiels, Direktor Hubert
iner Vorgeschichte des
Reusch, mit Sorgfalt vorbereitet und kam dem Kammer¬
h die Achse der Fabel
stile, der hier verlangt werden muß, nach Möglichkeit nahe.
wer sie nicht kennt, der
Szenisch in den mehr oder weniger stilisierten Dekorationen,
nen, den Theaterzettel
der knapp und klar das Wesentliche betonenden Aufmachung,
lesen und sich dabei zu
darstellerisch in einer gewissen wohltuenden Abgeschliffen¬
er zehn Bilder seinen
heit des Tones des Ganzen, aus der nur hier und da
Dichter des Othello „das
Die Damen
störende Minderwertigkeiten herausfielen.
und er braucht sich über
Maria Holm, Elvira Bach, Sybil Smolowa, Poldi Müller
ie und Was des Werkes
und Jutta Versen und die Herren Hugo Claus, Heino
Das ist ja überhaupt
Thiele, Walter Tautz, Kurt Mikulski und Gustav Heppner
Verfasser machen muß:
gaben den einzelnen, bei der Klarheit und Problemlosigkeit
Bilderbogens und aller
Reigens. Es ist gewiß der „Charaktere“ freilich von nornherein kaum zu verfehlen¬