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Reigen
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lenden Mare er eeerer e eneneee
die Frucht der „Umwälzung“ ist, daß der Kulissen¬
zauber zehnfach vorgeführter Augenblicksbrunst zur
Kulturtat wird, dann (so dürfen die Lauernden schreien?
ist diese Freiheit ein Verbrechen und die einstige Gel
bundenheit ein Segen gewesen. Jede Reprise ##
„Reigen“ legt dem Rückschritt ein Steinchen ins Brei
Aber auch tieftraurig ist dieses Bühnenereign##
weil man einen untadeligen, wahrhaftig in Ehren#
grauten Autor sich plötzlich untreu werden sieht. Artuß
Schnitzler war bisnun gerabezu das Sinnbild des vor
nehmen Künstlers, der sich mit peinlichster Sorgfall¬#
von aller geschäftstüchtigen Betriebsamkeit, vom un
lauteren Reklamewesen, vom Literatenklüngeltum stei
fernzuhalten wußte. Und auch diejenigen, die sein
Werk nicht so hochschätzen wie wir, mußten ihn doch
zu jener, ach, so winzigen Gruppe Schaffender zählen
die sich auf das Erfreulichste in Wesen und Gehabet
von der schreibenden Großstadthalbwelt unterscheidet:
Und nun geht der hohe Fünfziger, der sich in ben
Jahren des Kriegswahns in den befohlenen unifor
mierten Haß der Professoren, Denier und Dichter nicht
zwingen ließ und in schlichter Tapferkeit sich zu den
Geistesverwandten Rußlands, Frankreichs und England
bekannte — nun geht ein Artur Schnitzler hin und
befriedigt den Sensationshunger dieser fragwürdigen
Gegenwart mit Bühnenaufführungen einer Dialogreihe
die er nicht für die Bühne geschrieben, deren Inszene¬
setzung er durch Jahrzehnte untersagt und deren Bühnen¬
premiere er, wie er nun selbst mitteilt, noch im Jännen
1919 ia letzten Augenblick inhibiert hat.
Ganz abgesehen von allem anderen: Wie durf#
Schnitzler, der Mann, der Hüter seiner Schöpfung, nicht
nur dulden, sondern freventlich fördern, daß sein Wer#
dorthin gerät, wohin es nach seiner durch Jahrzehnte
geäußerten und betätigten Urberzeugung nicht gehört?
Chopinsche Klaviermusik von einem französischen
Orchester spielen zu lassen, ist geschmacklos und eine
Reihe von Gesprächen, an denen nichts dramatisch ist,
als jene Gedankenstriche, welche Begattungsakte mar¬
kieren, vor einem Thealerparterre von mißbrauchten
Schauspielern agieren zu lassen, ist gemein. Auch dann
wenn man — mehr listig als bezent — für die Minuten
der Paarungen das Licht abdreht. Wer weiß das besser,
als der feine, geschmackvolle Artur Schnitzler? Ueber
beraten war er, vielleicht mürbe gemacht von drängende#
Händlern mit „Erfolgskunst“ oder gar von der No
der Zeit bezwungen. Aber kein Grund ist hinreichend
genug, seine Untreue gegen sich selbst zu rechtfertigen
Das Fähnchen der Unbedingten im Reiche der Kunst
hat sich um einen verringert.
Die Aufführung in den Kammerspielen ist ein
Höchstleistung des Spielleiters (Dr. Schulbaur) und
der Mitwirkenden. Pflichtgemäß scheiden wir den Gegen¬
stand der Darstellung von der Darstellung selbst und
müssen sagen, daß sich mit dem Spiel und Zusammen#
wirken der Künstler und Künstlerinnen nicht leicht eine
Bühnenleistung der letzten Jahre vergleichen läßt. Wen#
wir Traute Carlsen und Mariette Olly besonders
hervorheben, so nur deshalb, well diese Damen durch
ihr ausgezeichnetes Spiel besonders überrascht haben
Von ihnen und den Damen Markus, Hochwald und
Keller, sowie den Herren Kammauf (bei d##
Generalprobe Sima), Wengraf, Inwald, Zier
ler und Lackner wurden die scharfgeschlissene
Pointen, hume vollen Schnitzlerschen Beobachtungen und
bitteren, zynischen Randglossen zum menschlichen Trieß“
leben mit vollendeter Delikatesse und Verständuis¬
innigkeit gebracht. Das Publikum spendete reichen Be#
fall, für den namens des Dichters Herr Direktot
Bernau bankte. Als sich der Vorhang nach dem letzten
Dialog hob, tanzten die Akteure mit verschlungenen
Armen, hübsch geordnet, in „Reigen“ über die Breiten
so wie es am Titelbild der Buchausgabe zu sehen ist
Sie spielten weiter. Müssen sich auch dazu Künstles
kommandieren lassen?
Wir wünschen es dem guten Ruse Schnitzlers, da
sein Werk schleunigst von der Rampe zurücktrete und
in das Buch zurückkehre. Dort wird es noch lunge
leben.
Ott Abeles.