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11. Reigen
box 17/5
„Reigen.
S41 (Die Auffahrung.)
Die Vorstellung der Kammerspiele ist —
jer its der Debatte über Recht oder Nützlichkeit
der theatralischen Wiedergabe überhaupt — auch
ein künstlerisches Ereignis. Ihr Effekt und ihr
Leistung, daß der letzte Rest Bedenklichkeit weicht
sanfte, gesammelte, ja erhobene Stimmung sich
einstellt, daß solbst die genial-ungenierten Witz¬
interpalle keinerlei frivole Regung binden.
Dr. Schulbaurs, des Regisseurs — be¬
währt als Theatermann exakter und doch
kultivierter Praxis — Meisterstück. Das Licht,
Umrahmung, Zeitmaß, Tonstärke zu Mit- und
Hauptspielern machte. Dem Text des Dichters
der in seiner elegischen Kraßheit geschrieben
nicht deutlich genug sein konnte), Bühnensprache
gab. Delikatesse in Moll. Unterstreichung des
imminent Trogischen allen Sexualspiels. Und
Wiener Mittegs Zeitung, Wien
Tämpsung, Dämpfung auf ein Extraktum von
Takt und Tempo.
Derart eine — nicht nur technisch — weit
mehr als ausgezeichnete Aufführung. Ihr Dar¬
stellungs=Clou Fräulein Keller, das „füße
Mädel“. Da klingt die derb-süße Melodie der
Vorstädte, eine idyllisch=mesquine Welt ersteht..
und in jedem Augenaufschlag sitzt eines Natur¬
talents unwiderstehliches Lächeln.
Das Typische der Rollen drängt freilich in
die Gefahr der Farblosigkeit, wo nicht steter
individueller Reiz waltet. Ihn meistert Fräulein
Olly („Schauspielerin"). Sie versetzt fast
spitze Drastik mit graziöser Schmiegsamkeit, mit
allerlei überaus possierlichen erotischen Humoren.
Auch Frau Carlsen, deren Drolligkeit
Momente allerergötzlichsten Charmes findet.
Unter den Männern hat Lackners ver¬
führerisch=blödelnder Kavallerie=Graf die über¬
mütigste Farbe und die beweglichste Spassigkeit.
Ein wenig verschleiert, aber geschickt weicht
Zieglers- „Dichter“ der karikierenden Linie
aus. Und Herr Iwald beweist als „Ehemann“
eine bürgerliche Gründlichkeit in legitimer wie
illegitimer Eroticis, die ihrer Vergnüglichkeit
sicher ist.
Auch Herrn Wengrafs „junger Herr“
lder manchmal einen sehr netten, trau#ig um¬
dämmerten Anatol=Ton hat), Fräulein Markus
phlegmatisch lüsterne Dirne, Fräulein Hoch¬
wald als willensschwaches Stubenkätzchen,
Herr Kammauf, ein ottakringerisch markanter
Deutschmeister (bei der Generalprobe spielte
diesen Herr Sima mit gewinnendstem Ebthofer¬
#nllang), sind Figuren, die Kontur und Aus¬
druck haben.
er¬
Die Tausend=Kronen=Sitz=Insassen
wärmten sich erst allmählich. Vielleicht ein Be¬
weis für die „unpikante“ Würde des Gebotenen.
Am Schluß aber entbot man eine Huldigung, für
deren herzliche Beharrlichkeit Direktor Bernau
an Stelle des abwesenden Dichters dankte.
L. U.