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11. Reigen
box 17/5
Theater und Kunst.
Hinter den Kulissen.
— Das nächste neue, alte Stück.
(Die Mode der alten Stücke.
Die sechzehn¬
Der zensurierte Mückenstich.
„Reigen“ macht Schule.
Das akustischeste Theater.)
jährige Fedak.
die der neue Burgtheaterdirektor mit
Die „junge Kunst“
gibt den Direktoren der Privattheater
so großen Worten begrüßte
ist beispielsweise ein neuer Moluar in
weuig Rätsel auf. Ihnen
RENEBEN
I., Kärntnerstrasse 26
Eingang: Schwangasse 1
eröffnet heute seine Salons und bringt
die neuesten Schöpfungen sewie die letzten
Original Farlser Modollhüte zur Schau¬
der Liste der angenommenen Stücke lieber, als die gesamte
Produktion der
* „
aber man soll, ist man vom Standpunkt
des Geschäftstheatermenschen dem modernen Schaffen so wenig
geneigt, zumindest keine Namen nennen. Die Praxis hat jedenfalls
bewiesen, daß die Theater mit der modernen Literatur über Wedekind
hinaus keine Geschäft machen können, und leere Häuser kann sich
ein Direktor bei bester künstlerischer Absicht heute nicht leisten.
Die Direkto en greisen daher nach den Stücken des alten handfesten
Theaters, weil sie wissen, daß dem Publikum die Sardon=Technik noch
immer näherist als die Georg Kaisers. Der Erfolg des „Fall Clémenceau“
von Dumas etwa, das Aufsehen, das ein mit den Mitteln
ältesten Theaters gemachtes Stück, wie „Geständnis“, erregt, be¬
stimmt die Direktoren, sich nach dem Repertoite des alten Burg¬
theaters und der früheren Wiener Privattheater umzusehen. In
der Neuen Wiener Bühne erscheint nächstens „Rabagas“ von
Sardon, ein politisches Stück, das einzige politische Stück von
Sardou. „Rabagas“ hat manches, das eine Brücke zu unserer
Zeit schlagen könnte, die Revolution und ihre Helden sind Akteure
er Komödie und manches beziehungsreiche Wort fällt. Wir werden
a sehen, wie „Rabagas“ einem heutigen Publikum gefällt. Eines
t sicher, die Theaterkniffe des alten Sardou sind die eines
Schriftstellers, der zwischen Kulissen Bescheid weiß. Es kann sich
lso nur darum handeln, ob das Thema an sich genug zeit¬
emäß ist.
Langsam wird nun die moderne französische Literatur wieder
auf unsere Bühnen kommen. Die Franzosen find ja bereit, ihre
Stücke deutschen Verlegern zu überlassen, aber die Bedingungen ...!
In Frank muß garantiert werden! Der Verleger ist da gezwungen,
ein kleines Vermögen in ein Stück zu investieren, das dann trotz
eines Riesenerfolges in Paris in Wien nicht gesällt. Solche
Fälle waren eben da. Eine sxanzösische Komödie „Les nouveaux
riches“ wanderte hier von einem Theater ins andere und
kein Direktor getraute sich zuzugreifen. Das Stück war in
Paris über sunshundertmal aufgeführt worden, denn es schildert so
spezifisch Pariser Verhältnisse, daß eine Lokalisierung das be¬
sondere Pafüm der Szenen genommen hätte. Ein Pariser Stück,
das einen großen Erfolg auch außerhalb Paris in sich trägt. „L’école
des cocotes“, ist gerade auf dem Wege aus Paris in die
besiegten Länder. Vielleicht bekommen wir es nächstens zu sehen.
Auch eine der beiden neuen Sacha=Guitry=Komödien „Mein
Vater hat recht“ oder „Ich liebe dich“ wird wohl hier gespielt
werden. Guitrys schönste Arbeit, das Lebensbild „Pasteur“ eignet
sich für unser großes Publikum nicht, weil ihm die Basis der
Popularität Pasteurs fehlt.
Augenblicklich sind die Theaterkanzleien damit beschäftigt,
Stücke abzulehnen, die Szenenreihen à la „Reigen“ bringen.
Bekanntere und unbekanniere Autoren sind bestrebt, die „Reigen“.
Kühnheit Schnitzlers in den Schatten zu stellen. Eines dieser
Stücke ist stärter als des andere. Die Phantafie von Gymnasiasten
holt Verschollenes aus der Geheimlade und glaubt nun die Zeit
für gekommen. Dekadente Dichter mühen sich, den „Reigen“ zu
übertrumpfen, allüberall sucht man nach erotischer Literatur und
die Plakatsäulen kündigen schon einen Schwank: „Aber
lauf doch nicht so nackt herum“ an. Dieser Schwank und sein
Titel sind nämlich von Georges Feydeau, aber die Zensur wollte
sich trotzdem anfangs nicht bequemen, den Titel zuzulassen.
Sie
schlug Bekleidungen der nackten Dame vor. Doch schließlich ließ
sie es doch dabei. Sie gestattete nur nicht, doß die Dame, um
die es sich handelt — sie wird von einer Mücke gestochen

daß diese Dame in jenen Körperteil gestochen werde, den die
Regiebemerkung Feydeaus vorschreibt, sondern der Stich muß ein
wenig tiefer kommen ... Ins Bein. Hoffentlich kommt das
Theater auch dabei auf seine Kosten ...
Die Fedak spielt jetzt im Kabarett, weil sie dort eine
Gage bekommt, die ihr die Theater nicht zahlen können. Aber
vielleicht entschließt sie sich nächstens doch in einem Privattheater
aufzutreten. Sie hat es der Renaissancebühne versprochen und
andere Direktoren würden sie nicht ungern als Gast sehen. Die
Fedak möchte unter anderem sehr gern einen Schwank Wiener
Herkunft spielen. Den „Schrei nach dem Kind“. Dieser Schrei.
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