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11.
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Reigen
Tenien.
Schnitzler, du flehtest zur Muse um Kränze unsterblichen
Lorbeers
Ach, und ein einziges Blatt steckt sie dir sacht in den Mund.
Bernau, der jüdischen Kunst magst gern in der Heimat
du frönen,
Aber vergiß nicht, daß du — in der Diaspora bist!
Emmerling, sag mir: Wer zahlte dir neulich das
Schieber=Vergnügen?
Emmerling, sag' mir doch: Sind — Arbeiterkreuzer
dabei?
Reumann, ich preise dich glücklich
Ich muß immer denken
und denken.
Und das Denken tut weh! Du aber
fühlst keinen Schmerz.
Rithart Stricker.
Wiene. Stimmen, Wien
18 FEBRUAR 1921
Der christliche Terror in der Theater¬
auführung.
Frontkämpfer und bezahlte Apachen — Die
Schilderung eines Augenzsugen.
Ueber e gewalttätige Störung der „ReigenAufjährung
wird uns von einem Augenzeugen miterteilt: Während am
Beginn der Vorstellungpöllige Rühe herrschte, wurden
während des dritten Bildes Zwischenrufe gemacht und ein
Stinkbombe geworfen. Danach wurden alle Türen
geöffnet, die Luft gereinigt und das Spiel fortgesetzt; aber sofort be¬
gann auf der Galerie und im Zuschauerraum ein wüster Lärm. Die
Ruhestörer waren zum Teil solche, die sich Karten verschafft
hatten, zum größeren Teil andere, die gruppenweise von allen
Seiten in das Theater drangen, wobei sie, als die Türen
geöffnet wurden, diese Gelegenheit benützten, in den Zuschauer¬
raum zu gelangen. Die Eindringlinge begannen sofort au
die Zuschauer mit Stöcken loszuschlagen
von der Galerie wurden Sessel in des
es
Zuschauerraum geworfen und
entstand eine furchtbare Panik. Den Frauen wurden
die Kleider vom Leibegerissen und Männer wie
Frauen wurden blutig geschlagen. Der ganze Angrif
ist selbstverständlich planmäßig organisiert
worden. Die Eindringlinge waren zum großen Teil jung
Burschen, wahre Plattenbrüder, die ganz offenbai
für ihre Gewalttaten bezahlt wurden. Außer
ihnen waren unter den Gewalttätern zu einem geringen Tei
nach meinem Eindruck auch Frontkämpfer und
Studenten. Die Gewalttäter haben in einer Schachtel
schön verpackt Eier mitgenommen, die mit Teer
gefült waren; diese Eier wurden auf die Bühne und
auf die Zuschauer geworsen. Ich habe eine solche
Schachtel aufgelesen, sie war in einer Flugschrift der berühmten
Vereinigung der Horthy=Tausender eingewickelt.
Die Panik, die entstand, benützten die Gewalttäter auch
zu ausgiebigen Plünderungen. Entgegen der beschönigenden
Meldung in der „Reichspost“ wurden den Theater
besuchern die Garderobe gestohlen und die Kleider
aus den Häuden gerissen. Die Leute, die aus dem Theater
kamen, wurden auf der Gasse erst recht verprügelt. Daß die
Gewalttäter in das Theater eindringen konnten, war vor allem
darum möglich, weil der Polizeischutz zu schwach
war. Ehe die Polizei Unterstützung erhielt, war der Ueberfall
schon geschehen und im Zuschauerraum die Einrichtungsgegen¬
stände zerschlagen.
Nachmittags findet wegen der gestrigen Vorgänge eine
Besprechung des Bürgermeisters mit den amtsführenden Stadt¬
räten statt. Wahrscheinlich dürfte die Angelegenheit auch in
der Klubsitzung der sozialdemokratischen Gemeinderäte zur
Sprache kommen.
Gerüchte, die geflissentlich von den Christlichsozialen
weiterverbreitet werden, besagen, daß die Polizei die
weitere Aufführung des „Reigens“ verboten habe. Doch ist ein
Dauerverbot an die Zustimmung der Landesregierung
gebunden.