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11. Reigen
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Der Reigen
der Temonstkationen.
Zehn Szeuen hat das unglückliche Stück von Schnitzler,
das die österreichische Politik beschäftigt Wieviel Szenen werden
alle die Nachspiele ausfüllen, die der Aufführung folgen? Wir
hatten den ersten mißglückten Vorstoß des Bundesministers des
Innern. dann eine stürmische Sitzung des Nationairates, einen
kleinen Rummel vor dem Theater und am Mittwoch eine Wieder¬
war #
halung der gleichen Epsode, die schor bester tnszen
ihrem Regisseur alle Ehre macht. Dann kam gestern das Verbot der
„Reigen“=Verstellungen durch den Polizeipräsidenten und wie sich
der Landtag Wien und der Bürgermeister als Landeshauptmann
dazu verhalten werden, das dürfte vielleicht heute in der Landtags¬
sitzung klar zutage treten. Politik, Lileratur, Verwaltungs= und
Kompetenzkonflikte, welch Gebräu! Der Moralist regaliert sich
daran und mag nach Laune und Geschmack damit seine Philosophie
nähren. Aber die eine Szeue im Reigen der vielen, die um
eines Theaterstückes willen vor Wien und dem gewiß staunenden
Ausland aufgeführt werden, verdient vor allem eine eingehendere
Betrachtung.
Die Straße hat sich gestern in den Streit zemengt, und
zwar in einer Art, die in Wien noch unbekannt war. Es war
unverhüllter Terror, der die Unterbrechung der Vorführung er¬
zwang und dem Verbot voranging. Die Sache hätte geradezu
tragisch endigen können, sie ging bloß schmählich aus. Als man
einige der Demonstranten verhaftete, sah man daß ein Kommis,
ein Tapezierergehilfe, ein Schuhmachergehilfe und ein Zahn¬
technikerlehrling unter anderen in die Diskussion, ob der „Reigen“
sittlich oder unsittlich, szenisch darstellbar oder nicht ist, tatkräftig ein¬
gegriffen hatten. Nun sind die Berufe, deren Vertreter die Literaturzenfur
in der Republik übernommen haben, gewiß höchst ehrenwert, aber
geradezu für ein entscheidendes Votum in Literaturfragen kaum
geeignet. Diesmal galt der Kampf einem Stück, über das ein
Für und Wider vollkommen auch vom Standpunkte der Geistigkeit
aus möglich ist. Wenn sich aber jetzt die Straße mit ihren
übelsten Leidenschaften und Methoden auf ein derartiges Gebiet
begibt, so weiß niemand, wo sie Halt machen wird. Vor¬
gestern glaudte sie sich in ihrem sittlichen Empfinden durch
den „Reigen“ beleidigt. Wer garantiert, ob sie morgen nicht
Schönheirs „Glaube und Heimat“ als eine Stellungnahme
in einem Kulturkampfe auffassen und sich danach verhalten
wird? Einem derartigen Terror gegenüber hört der Gedanke
überhaupt zu existieren auf und die verschüchterten Theater¬
direktoren, die die Einrichtung ihres Zuschauerraums intakt behalten
wollen, werden sich vielleicht bald darauf beschränken müssen, nur
das Haustheaterrepertoire gewisser Gesellenvereine bei sich
aufzuführen. Daß ein solcher Zustand unmöglich ist, bezweifelt
kaum jemand. Aber, wird man entgegnen, die Straße ist
unverantwortlich. Sie ist elementar, wie eben ein Elementar¬
ereignis, das man, soweit dies in den schwachen menschlichen
Kräften steht, nicht herausfordern darf. Im Prinzip ist dies
richtig. Doch wird niemand glauben machen wollen, daß die
Demonstration von Mittwoch so durchaus spontan war. Der
Jahntechnikerlehrling und der Schuhmachergehilfe haben sich nicht
durch die Aufführungen des „Reigen“ von selber in ihrem
sittlichen Gefühl beleidigt gefühlt. Jemand wird ihnen darüber
gewiß drastische Aufklärungen gegeben und ihre kochende Volksseele
geheizt haben. Diesen Jemand aufzufinden, wire eben interessant.
Man wußte am Mittwoch nachmittag in Wien, daß „etwas
in den Kammerspielen vorgehen werde. Wo flatterte
diese Nachricht auf, wer hat das Lesungswort gegeben?
Wer maßt es sich an, die Straße in einem Kampse
zu mobilisieren, der nicht mit Stinkhomben
und
Teereiern, sondern mit anderen Argumenten geführt zu werden
pflegt. Fast scheint es, daß jene Regisseure, die sonst die Warnung
vor dem Terror der Straße sehr gerne im Munde führen,
es
diesmal nicht ungern sehen, wenn die Zensur, die sie noch leichter
dirigieren, als in den feeligen vergangenen Zeiten und die noch
viel wirksamer ist als jene andere, beim diskutablen „Neigen
beliebt, aufzuhören.
Dagegen aber moß mau sich sohrn am Anjang auf
d gleeamns Meinen. Mas hat Die Seiun