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Wien, Bamstag
Verfügung wieder aufheben. Dann hätte sich der
Landeshauptmann zu entschließen, ob er diesem Auftrage
des
Dr. Glanz Folge leisten will oder nicht. Herr Glanz
jedoch über den Kopf des Landeshauptmannes hinweg und
der
Entscheidung des Landeshauptmannes entgegen direkt
Verbot erlassen. Das ist eine flagrante Verletzung
der Verfassung, die selbst im alten Oesterreich un¬
möglich gewesen wäre.
Redner bringt sobann die bekannte Affäre des steirischen
Gendarmeriekommandanten Peinlich zur Sprache und übt
scharfe Kritik an dem Verhalten des Ministers auch in dieser
Angelegenheit. Im Zusammenhang damit bemerkt er: Glauben
Sie, daß ein solcher Mann fähig und berufen ist, auf diesem
Posten zu sitzen? Erkennen Sie, Herr Minister, nicht, daß Sie
vielleicht viele Fähigkeiten haben, aber daß Ihnen die zur
Leitung des Ministeriums des Innern in so ernster Zeit
mangelt? Das muß gar kein Fehler sein, im Gegenteil, Sie
sind vielleicht ein ausgezeichneter Literaturkenner und Aesthet,
Sie mögen sich berufen fühlen, Werturteile abzugeben über
Schnitzler, Hofmannsthal und den christlichen Kernstock, viel¬
leicht könnten Sie auch schöne Feuilletons über Theaterstücke
schreiben, aber das sollten Sie erkennen, daß Sie auf dem
Posten eines Bundesministers für Inneres unmöglich sind.
Es ist ein schwerer Fehler, zu dem vielen Unglück, daß wir
in Oesterreich haben. auch noch das hinzuzufügen, daß man die
Bevölkerung mit unfähigen Beamten plagt.
Was nun Wien betrifft, so wird der Landeshauptmann
und Bürgermeister von Wien dem Minister die gebührende
Antwort schon geben. Ich glaube kaum, daß er seine Zu¬
schrift zur Kenntnis nimmt. Wir kennen den Landeshauptmann
von Wien als einen sehr ruhigen, besonnenen Mann. Er wird
abwarten, was dem Herrn Glanz beliebt und ob er wegen einer
kleinen und verhältnismäßig untergeordneten
Frage
einen großen Verfassungskampf
zu er¬
öffnen gedenkt. Wenn er aber
diesen
Verfassungskampf unternimmt, dann
werden wir ihn ausfechten. Wir werden daran denken.
was der Stadt Wien in größeren und wichtigeren Fragen
drohen könnte, wenn wir einmal gestatteten, daß ein wichtiges
Prinziv durchbrochen wird. Wir werden es nicht bulden, daß
die Arbeiterschaft in den übrigen Ländern einem selbstherrlichen
Landesbauptmann ausgeliefert ist, die Arbeiterschaft von Wien
aber einem selbstherrlichen christlichsozialen Bundesminister.
Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei den Sozial¬
demokraten.)
Ordnungsruf für den Präsidenten Seit.
Präsident Dr. Dinghofer: Abgeordneter Seitz hat
den Bundesminister für Inneres als einen unfähigen Beamten
bezeichnet. Ich halte das für eine Ungehörigkeit, für ein
Ueberschreiten der parlamentarischen Ausdrucksweise und rufe
den Abgeordneten Seitz deshalb zur Ordnung
(Lebhafter Beifall bei den Christlichsozialen. — Zwischenrufe bei
den Sozialdemokraten.)
Abg. Sever (Sozialdemokrat): Wollen Sie nicht den
Minister zur Ordnung rufen?
Präsident Dr. Dinghofer: Da kein Redner mehr zum
Worte gemeldet ist, ist die Debatte über diesen Gegenstand ge¬
schlossen. (Lebhafte Zwischenrufe.)
Schärfere Opposttion.
Auf Antrag des Abg. Sever wird beschlossen, die Gesetz
entwürfe betreffend die Verlegung des Sitzes von Aktiengesell¬
schaften ins Ausland, betreffend die Außerkraftsetzung von
Gesetzen und Verordnungen, die mit dem fünften Teile des
Staatsvertrages von St.= Germain nicht im Einklang stehen
ferner die Wehrgesetznovelle einer ersten Lesung
zu unterziehen.
Verweigerung des Ordnungsrufes für Minister
Dr. Glanz.
Abg. Dr. Bauer: Der Bundesminister für Inneres hat
in seiner Rede eine Aeußerung gebraucht, die ich genau gehört
habe. Er sagte mit einer deutlichen und unzweideutigen Spitz
gegenüber der Kritik die von unsrer Partei an ihm geübt
worden ist, er überlasse das Urteil darüber allen anständigen
wie es schien, gern. Dinge, die mich nicht erreichten. Ich hättt
es mich etwas kosten lassen, seine Stimme zu hören. Er tat es
nicht. Eben sagte der Verteidiger: „Und so muß man es, hohes
Gericht, geradezu frivol nennen, meinen Klienten der Preis¬
treiberei zu bezichtigen, einen Mann, der nach dem Gutachten
des hochverehrten Herrn Sachverständigen ...“
Niemand
glaubt, welche Gestehungskosten Schuhösen haben. Da ist
Gewichtsverlust, da ist Schwund, da ist ein Waggon zu berück¬
sichtigen, der, mit ausschließlich für den Schuster an der Ecke
bestimmten Oesen gefüllt, vor Gänserndorf verbrannte — kurz
Rns Hnmie S
Neues Wiener Tagblatt.
Menschen. Diese Aeußerung wurde in einem Ton und in einer
Weise vorgebracht, die über ihren Sinn keinen Zweifel übrig
ließ. Der Präsident hat es nicht für notwendig erachtet, diese
Beleidigung, die der Minister einer großen Partei des Hauses
zugefügt hat, zu rügen. Auf Grund des § 76 der Geschäfts¬
ordnung verlange ich, daß der Minister des Innern zur
Ordnung gerufen werde. (Lebhafter Beifall bei den
Sozialbemokraten.)
Präsident Dr. Dinghofer: Ich möchte zunächst fest¬
stellen, daß ich während der Rede des Ministers des Innern
nicht anwesend war und daher auch ein persönliches Urteil
darüber nicht abgeben kann. Soviel ich aber aus den Aus¬
ührungen des Abg. Dr. Bauer entnehme, muß ich entscheiden,
daß ich nicht in der Lage bin, dem Herrn Minister wegen
dieser Aeußerung einen Ordnungsruf zu erteilen.
Abg. Seitz: Ich finde es höchst sonderbar, daß der Präsi¬
dent, der soeben einen Ordnungsruf für einen Ausdruck erteilt
hat, den man vielleicht als eine Wertung von Fähigkeiten be¬
zeichnen kann, den Ordnungsruf gegenüber eiem Ausdruck
verweigert, durch den die moralischen Qualitäten andrer in
Frage gezogen werden. Ich halte eine solche Entscheidung für
zanz unzulässig. Man kann ein ganz anständiger Mensch
ein, ohne gerade die Fähigkeiten für irgendein Amt zu besitzen,
und es ist daher noch lange keine so schwere Beleidigung, jemand
der Unfähigkeit zu zeihen, als wenn man sich in der Argumenta¬
tion gegen jemand auf die Zustimmung aller anständigen
Menschen beruft und ihn so der Unanständigkeit zeiht.
Präsident Dr. Dinghofer: Ich habe keine Ver¬
anlassung, eine andre Entscheidung zu treffen, und bleibe bei
meiner ersten Entscheidung. (Lebhafte Zwischenrufe.)
Die Sitzung wird hierauf geschlossen. — Der Termin der
nächsten Sitzung wird im schriftlichen Wege mitgeteilt werden.
Stürmische Debatte im Wiener Landtag.
In der gestrigen Sitzung des Wiener Land¬
tages wurde, wie zu erwarten war, das Verbot der
Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ gleichfalls zur
Diskussion gestellt. Den Anlaß dazu gab ein von sozial¬
demokratischer Seite eingebrachter Dringlichkeitsantrag
der von Speiser und Genossen vertreten wurde.
Der Antrag lautet:
Die Inserpellation.
„Dem Vernehmen nach hat der Bundesminister
für
Inneres und Unterricht die weitere Aufführung des Theater¬
stückes von Schnitzler „Reigen verboten.
Nach der Theaterverordnung vom 14. November 19
§ 3, bedarf jede Bühne. produktion vor ihrer ersten Dar
tellung der Aufführung bewilligung von seiten des Statt¬
halters. Nach § 5 kann die erteilte Bewilligung aus Gründen
der öffentlichen Ordnung jederzeit zurückgenommen
verden. Zuständig zur Erteilung einer Aufführungsbewillt
gung und zur Zurück ahme der Bewilligung ist somit der
Statthalter. Nach dem neuen Bundesverfassungsgesetz ist
an Stelle des Statthalters der Landeshauptmann getreten
Das Verbot des Bundesministers für Inneres und Unter¬
richt greift also # die Kompetenz des Landes.
hauptmannes ein. Ich stelle daher den Antrag: Der Her
Bür ermeister als Landeshauptmann wolle die
Autonomie des Landes Wien gegen jedweben
Eingriff der Bundesregierung energisch wahren
Die Gemeinderätin Frau Dr. Seitz=Motzko begleitet
die Verlesung dieses Dringlichkeitsantriges mit lebhaften Pfui¬
rufen und fängt auch kurze Zeit mit ihrer Pultlade zu klopfen
an. Auch andre Mitglieder der Minorität begleiten die Ver¬
lesung mit lebhaften Zwischenrufen.
Die Devatte.
Dem Antrage wird die Dringlichkeit zuerkannt.
Gemeinderat Speiser führt in Begründung seines An
trages aus:
Das Verbot des Bundesministers für Inneres und Unter¬
richt stellt den ersten Versuch eines Eingriffes in
die Autonomie des Landes Wien dar. Der Gegen¬
tand, an dem sich dieser Eingriff vollzieht, ist eigentlich für
meinen Dringlichkeitsantrag ohne Belang. Redner ver¬
weist darauf, daß seine Partei für eine zentralistische Bundes¬
verfassung der Republik Oesterreich gekämpft habe, aber
chließlich sich fügen und der autonomistischen Gestaltung der
Republik zustimmen mußte. „Nun aber sind wir selbstverständ¬
lich entschlossen, die autonomen Rechte, die dem Lande Wien
urch die Bundesverfassung gewährleistet sind, zu verteidigen;
wir werden nicht zugeben, daß ein Bundesminister die Rechte
dieses freien und autonomen Landes und seines Landeshaupt¬
mannes einfach wegeskamotiert. Niemals hätte es dieser Herr
Bundesminister gewagt, etwa mit dem Herrn Landeshauptmann
on Vorarlberg oder Tirol so zu verfahren, wie er es sich gegen¬
über dem Herrn Landeshauptmmmun
12. Februs¬
Redner beantragt, den
Gemeinderat darüber
Christlichsozialen.)
Eine Erflärung des
Landeshauptmann
Anlaß zu dieser Debatt
die Ursache in der Auffü
wünscht, daß ein wich
gegeben hätte. Da nun
wurde, so müsse er vor a
schiedensten Tingel=Tangt
stimmung bei den Soziall
meinderäte machen in zahl
Landeshauptmann ##
Wimberger! Die Erind
ist Ihnen sehr zuwider. (2
deftige Gegenrufe der Ch
gestellt worden, warum
stattet habe. Der Zensurbe
eingewendet. Der eheme
Tiels und Herr Gloss
ind nun verlangt man ve
deshauptmann, der ein G
er die Aufführung verbiet
Welt wird mich das
führungen des „R
christlisozial): Zusperren
lichsozial): Wir lassen uns
Ich stehe auf dem Staf
ist dazu, das Verfassunger
zu lassen, und das würdeg
zustimmen würde, die von
zu diktieren hat. Ich habe
dem Bedienten des
digen. (Rufe bei den Sozig
Ich habe, gestützt auf die st
1850, dem Herrn Glanz de
Gebote nicht Folge leiste
beispielloser Ueberhebung
am Schlusse verlangt,
bewilligung des „Reige
hat Herr Glanzskein
solchen Rechtsbeugung nie
Die Amwon des Landes
Ich habe dem Herrn
„Durch Bericht seitens der
Kenntnis gesetzt worden, da
lasse des Bundesministevin
10. Februar 1921 die mit
führungsbewilligung für de
Schnitzler außer Kräft ge
untersagt wurde. Nach de
vember 1850 bodarf jäde
Darstellung der Aufführungs
halters. Nach § 5 kann die
gründen der öffentlichen
werden. Nach § 7 steht dem 2
stbeidung des Statthalters d
Innern zu. Aus diesen geset
daß die Untersagung de
neten Bühnenwerkes nicht
für Inneres und Unte
Magistratsabteilung 55 wurd
kutiven Durchführung des
der Pollzeidirektion innezuhalt
ist nun nach den Verfässungsge
Wien getreten. Ich werde als
zustehenden Rechte um kein
Entscheidung, und nun soll
Gogen Schluß der Rede d
großen Teil von Gegenrufen da
begleitet war, steigern sich die
Sozialdemokraten rufen dem.
Rede lebhafte Beifallsbezeigung
Nieder mit der Regierung! Au
Kunschak (christlichsozial
hat als stärkstes Argument zum
Wien es nicht gegen seinen Ge
auf einen Fall, der sich
hundert in Wien ereignet ba
genannt hat, über dessen Leib
Rasen liegt. Der Herr Landesc
Geschmack vereinbarlich gefunden,
obwohl er wissen mußte, daß der
Argument gegen den verstande