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11. Reigen
Das Verbot des „Reigen“.
Ungehindertes Stattfinden der heutigen Vor¬
stellung.
Wien, 11. Februar.
Das Aufführungsverbot von Schnitzlers
„Reigen“, das die Bundesregierung erlassen hat, steht
aufrecht; aber es hat bisher keine Befolgung gesunden.
Die heutige Vorstellung in den Kammer¬
spielen wurde anstandslos bis zum
Ende durchgeführt, und die Direktion dieser
Bühne, der das Verbot bisher nicht zugestellt wurde,
versendet eine Anzeige, derzufolge die heiß umstrittenen
Dialoge allabendlich auf den Spielplan der kommenden
Woche gestellt wurden. Bis Montag den 14. d., besagt
diese Ankündigung des weiteren, seien sämtliche Eintritts¬
karten vergriffen. Der Streit zwischen Bundesregierung
nd Landesregierung, geht gegenwärtig weniger um
prinzipielle Fragen künstlerischer oder ethischer Natur, als
vielmehr um die Befugnisse, welche beide Instanzen vom
verfassungsrechtlichen Standpunkte aus für sich in Anspruch
nehmen. Im Wiener Landtag hat Landeshauptmann und
Bürgermeister Reumann heute unter dem lebhaften
Beifall seiner Parteigenossen, gleichzeitig allerdings unter
ebenso stürmischen Widerspruch der Christlichsozialen, in
dem Vorgehen des Bundesministers Dr. Glanz eine
Verletzung der Gemeindeautonomie gebrandmarkt. Der
Minister sei nicht berechtigt gewesen, über den Kopf der
Landesregierung hinweg eine von dieser letzteren erteilte
Aufführungsbewilligung außer Kraft zu setzen. Während
man sich im Rathause auf die weiter zu Recht bestehende
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als verantn Gunderhant
tadt Wien einen Kompetenzkonflikt gewiß nicht leichten
Herzens heraufbeschwören, sondern nach reiflicher Prüfung
der Gesetzeslage seinen bisher eingenommenen Standpunkt
der Auffassung des Bundesministeriums akkomodieren
werde.
Man rechnet damit, daß dieser Konflikt zwischen der
Bundesregierung und dem Bürgermeister als Landes¬
hauptmann von Wien=Land in freundschaftlicher Weise
beigelegt werden dürfte und daß das Verbot der „Reigen“¬
Aufführung vom Bürgermeister Reumann an die Polizei¬
direktion weitergeleitet werden wird.
Die heutige Rede des Ministers Dr. Glauz im
Nationalrate.
Bundesminister Dr. Glanz hatte heute abend eine
Konferenz mit dem Bundeskanzler Dr. Mayr, in der
die heutigen Vorfälle im Nationalrate besprochen worden
ind. Bei diesem Anlasse konnte festgestellt werden, daß
dem Bundesminister Dr. Glanz bei seiner heutigen Rede
im Nationalrate jede Provozierung irgenduner Partei
fernlag und daß er auch mit dem von sozkaldemokrati¬
schen Rednern und Zwischenrufern am meisten be¬
anstandeten Schlußpassus seiner Ausführungen nicht
die
Absicht hatte, gegen seine Beuteitung der Sache vom
ver¬
fassungsrechtlichen Standpunkte die Kritik abzulehnen,
on
dern nur von dem Gesichtspunkte der Eignung
des
„Reigen“ zur öffentlichen Aufführung.
Die heutige Aufführung des „Reigen“
Der Direktion des Deutschen Volkstheaters und der
Kammerspiele war bis zur Stunde des Theaterbeginnes
keinerlei amtliche Mitteilung über das von der Bundes¬
regierung verfügte Verbot zugekommen. Direktor Bernau
hatte im Laufe des Nachmittags aus eigener Initiative
im Polizeipräsidium vorgesprochen, wo ihm dem Ver¬
nehmen nach mitgeteilt wurde, daß die Polizei nur im
Falle von Ruhestörungen oder lärmenden Demonstra¬
tionen einzugreifen gedenke. Die Landesregierung hatte
nämlich, wie der Landeshauptmann heute im Wiener
Landtage mitteilte, den Erlaß des Bundesministers Doktor
Glanz nicht an die Polizeidirektion weitergeleitet. Immer¬
hin war die Sicherheitswache vor dem Theater verstärkt
worden und man hatte Vorsorge getroffen, daß nur die
Besitzer von Theaterkarten in das Gebäude selbst gelangen
konnten. Zu diesem Zwecke war die Passage, die von der
Rotenturmstraße zum Eingange der Kammerspiele führt,
polizeilich abgesperrt worden. Das Haus war von Theater¬
besuchern, die ihre Karten bereits im Vorverkaufe gelöst
hatten, besetzt und die Vorstellung verlief bei einiger
leicht begreiflicher Nervosität von Darstellern und Zu¬
hörern ohne jeden Zwischenfall. Auch das Straßenbild
vor dem Theater wies keinerlei ungewöhnliche Momente
auf.
Aeußerungen Direktor Bernaus.
Direktor Bernau widerspricht der Begründung des
Aufführungsverbotes mit Rücksicht auf die öffentliche
Ordnung. Davon könne um so weniger die Rede sein, als
alle bisherigen Vorstellungen, auch die heutige, ohne
rgendwelche Störungen seitens des Publikums verlaufen
eien. Herr Bernau verweist auf die Lohnverhandlungen,
die er gegenwärtig mit den Delegierten des Bühnen¬
vereines führe. Angesichts der zu gewärtigenden weiteren
Belastung seines Betriebes empfinde er dessen Erschwerung
Wien, Samstag
Nr. 20280
durch das Verbot im Falle seiner wirklichen Durchführung
ungemein empfindlich. Direktor Bernau wirft ferner die
Frage auf, ob die Behörden, beziehungsweise die Bundes¬
regierung es nicht bei Aenderungen in der Inszenierung
bewenden lassen können. Er schlägt statt der Verdunklung
der Bühne das jedesmalige Fallenlassen des Vorhanges
vor und will auf Plakaten und Programmen des „Reigen“
fernerhin einen Vermerk aufnehmen, der Jugendliche
ausdrücklich von dem Besuche der Vorstellung ausschließt.