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11.
Reigen
box 17/6
ner Richtung ließen erkennen, daß diese Vorführtr.g
mit dem sittlichen Empfinden weiter
Kreise der Wiener Bevölkerung im scharfem
Gegensatz steht. Die Bundesrezierung glaubt sich
bei dem Verbote mit der öffentlichen Meinung, abge¬
ehen von einem kleinen für des Wiener Volksempfin¬
den nicht maßgebenden Zuhörerkreis in voller Ueber¬
einstimmung zu befinden.
Abg. Louthner, Sozialdemekrat, und Genossen, über¬
reichen folgende dringliche Anfrage: Die Bundesregie¬
runz hat die Aufführung des bekannten Theaterstückes
Reigen in Wien verboten. Dieses Verbot stellt einen
verfessungswiörigen Eingriff der Bundesregierung in
die Rechte des Landes Wien dar. da zur Ausübung der
Theaterzensur in Wien ausschließlich der Landes¬
herrptmann von Wien befugt ist Das Verbot beweist,
deß der Regierunz das Diktat der Klerikalen höher
steht als die Bostimmungen der Verfassung Es wird
die Frage gestellt, ob der Bundesminister für Inneres
den versassungswidrigen Erlaß über das Verbot der
Aufführung sofort zurückziehen wolle.
Abg. Leuthner begründet diese dringliche Anfrage,
die Minister Dr. Glanz sofort beantwortet. Seine Aus¬
führungen werden von den Soztaldemokraten mit
stürmischem Widerspruch unterbrochen, von den Christ¬
lichsozialen mit Beifall und Händeklatschen aufgenom¬
men Am Schlusse wenden sich die Sozialdemokraten in
stümischen Pfuirufen und Abzugsrufen gegen den Mi¬
nister des Janeren. Mehrere sozialdemokratische Abge¬
ordnete dranzen unter stürmischen Beifall=Rufen ge¬
gen den Ministertisch vor, sie werden jedoch von den
Parteigenossen zurückgehalten. Abg. Zalenka schlägt
unter lebhaften Rufen gegen den Minister auf den Mi¬
nistertisch. Es kommt zu überaus heftigen Auseinan¬
dersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Christlich¬
sozial, und Seitz, Sozialdemokrat, worauf die Sitzung
geschlossen wurde.
Hiezu einige Bemerkungen:
Schon bevor die Aufführung des „Reigens“ gestattet
wurde, hat das Wiener Polizeipräsidium den Stadtmagi¬
strat als politische Landesbehörde auf die schweren Be¬
denken aufmerksam gemacht, die der Darstellung entgegen¬
stünden. Der Magistrat erteilte jedoch trotzdem mit Bescheid
vom 12. Jänner die Erlaubnis. Die Aufführungen riefen
nicht nur einen Sturm in der Presse hervor, der je nach
der Richtung der Blätter entweder dafür oder dagegen ein¬
setzte (kaum aber ein Blatt, das die schweren Bedenken
ohne weiteres kurzerhand abgetan hätte), sondern auch
Skandalszenen bei der Aufführung selbst.
Nun griff Bundesminister Glanz in die Angelegen¬
heit ein, indem er sich an den Bürgermeister Reumann
wandte und ihm nahelegte, das Stück zu verbieten. Reu¬
mann beharrte aber auf dem Standpunkte, daß es sein
ausschließliches Recht sei, die Aufführung von Theater¬
stücken zu gestatten oder nicht und daß somit der Bundes¬
minister ihm in dieser Angelegenheit nichts einzureden habe.
Die Aufführung blieb also weiterhin gestattet.
Nun aber konnte von Seite der Regierung die Gefahr
nicht mehr übersehen werden, die mit weiteren Auffüh¬
rungen verbunden war, da ernste Ruhestörungen bei den
Aufführungen befürchtet werden mußten. Dies war fast
mit Bestimmtheit vorauszusehen, da die Stimmung gegen
den „Reigen“ sich zusehends verschlimmerte. Verfas¬
ungsgemäß ist das Ministerium des Innern für die
Ruhe und Ordnung im Staate verantwortlich, und deshalb
griff das Bundesministerium schließlich ein, nachdem die
zweite Instanz, der Bürgermeister als Landeshauptmann
von Wien, es für gut befunden hatte, die Aufführung trotz
ihrer möglicherweise sehr turbulenten Folgen passieren zu
lassen. Bundesminister Glanz verbot also den „Reigen“.
Der Bürgermeister aber legte den Bescheid des Mini¬
steriums einfach ad acta, nahm keine Kenntnis davon und
unterließ es auch, die Theaterdirektion von dem Erlasse
des Bundesministeriums amtlich in Kenntnis zu setzen.