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Seite 2
Wien. Montag
Reichspost
die Aufführung des „Reigens“ verbiete.“ Das ist senile
Das Gleiche
gilt von den übrigen mehr oder minder
Bockbeinigkeit. Er will nicht eingestehen, daß er sich vor
alten Herren der sozialdemokratischen Partei, die sich für
er ganzen Welt schon blamiert hat. Wir fragen aber:
den „Reigen“ eingesetzt haben. Wenn die Partei im
Warum hat er den „Reigen zur Aufführung überhaupt
Nationalrat — weil es anders nicht ging — die Moral
freigegeben? Findet er Geschmack an dem Kloakenstück?
des Stückes vorsichtig als eine Nebensächlichkeit abtat, so
Oder bezieht er Tantièmen von den Kammerspielen?
oll sie trotzdem zu der Frage Stellung nehmen, ob sie
Oder ist er so naiv, daß er die Scheußlichkeit und Verderbt¬
die Gestattung durch Reumann billige. Sie soll ihren
heit dieses Stückes nicht zu erkennen vermag? Also was
Standpunkt in der weiteren Frage bekanntgeben: warum
für einen Grund hatte er denn? Er soll ihn öffentlich
sie ihrem Parteimanne nicht nahelege, die Erlaubnis
nennen, da er sich mit dem „Reigen“ ohnedies schon vor
zurückzunehmen, damit der Skandal aus der Welt ge¬
der ganzen Welt Arm in Arm gezeigt hat! Will er sich
chafft werde. Sie wird das nicht gern tun, denn der
als Exekurivorgan des Zensurbeirates hinstellen? Dann
„Reigen“ ist ihr vielleicht die Basis für einen erwünschten
soll er aber bedenken, daß eine höchst bedauerliche Ent¬
Verfassungskampf. Sie muß aber dann den Vorwurf
gleisung des Zensurbeirates ihn nicht von der Verant¬
auf sich sitzen lassen, daß sie eine Schandtat nicht beseitige,
wortung enthebt. Die Entscheidung hatte er, der Landes¬
weil sie ihr in den Kram paßt. Der „Reigen“ ist ihr ein
hauptmann Reumann, zu treffen. Die Hauptstimme im
Mittel zum Zweck und als solches erwünscht. Soll die
Zensurbeirate hat ein judenliberaler Greis, der mit
Gemeinheit weiter bestehen, soll durch sie das ganze Volk
Schnitzler auf gutem Fuße steht und dem die Christlich¬
beschmutzt werden, sie ist immerhin ein Requisit bei der
ozialen ein Greuel sind. Will sich der eine alte Herr
Komödie, die von der Sozialdemokratie schon seit längerer
hinter dem andern verkriechen? Welcher Art immer die
Zeit aufgeführt wird. Mit den Streiks haben sie Fiasko
Gründe des Landeshauptmanns seien, er soll uns diese
erlitten; die Massen laufen nicht mehr so willig nach.
Gründe nennen. Wenn man an der Demoralisierung
Also neue Tricks her! Kein Mensch kann daraufkommen,
wuchtigen Anteil nimmt, ist man auch verpflichtet, offen
daß ein Theaterstück einen prächtigen Anlaß für rote
einzubekennen, warum man es tut. War vielleicht die
Wirbelmacherei abgeben kann. Wurde vielleicht deshalb
Erlaubnis zur Aufführung des „Reigens“ nur ein Mit¬
der „Reigen“ freigegeben? Und — was wird hinter dem
tel, um die zu erwartende Einstellung der Aufführungen
Wirbel vorbereitet? Die Oeffentlichkeit richtet natürlich
zu einem Verfassungskampf benützen zu können? Man
kommt immer wieder zur Frage: Warum hat Reumann
Schnitzler wird einfach zur Mauer für andere Dinge. Ist
den „Reigen“ erlaubt? Diese Frage ist von sehr wesent¬
es so? Das werden sie uns natürlich nicht gerade ins
licher Bedeutung, und darum kann, darf und wird sich
Gesicht sagen, aber das ist umso mehr Grund für uns,
der Landeshauptmann nicht mehr lange verkriechen,
die Augen offen zu halten und unsere Blicke nicht auf die
sondern reden. Er soll auftreten und sagen: „Ich bin
Kammerspiele ablenken zu lassen.
zu beschränkt und zu ungebildet, um den „Reigen“ rich¬
Und noch etwas: Schnitzler ist Jude, Bernau ist
tig beurteilen zu können." Oder: „Ich mit meinen
Jude — die Sozialdemokratie ist also — mag ihr Haupt¬
Moralbegriffen halte den „Reigen“ für ein ganz
zweck mit dem Rummel auch anderswo liegen — wieder
anständiges Stück.“ Oder: „Ich bin an den Auf¬
als Schützer und Schirmer des Judentums aufgetreten.
führungen des „Reigens“ finanziell beteiligt und habe
Auch das Publikum der Residenzbühne ist fast ausschlie߬
hn deshalb gestattet, weil ich mit meinen übrigen Ein¬
lich aus jüdischen Schiebern und Schleichhändlern zu¬
künften nicht auskommen kann.“ Oder: „Ich finde Ge¬
ammengesetzt. Die Sozialdemokratie steht wieder, ihrer
fallen daran, daß solche Schweinereien auf die Bühne
Sendung gemäß, hinter jenem Judentum, das unser
gebracht werden, und darum dachte ich, es werden auch
Volk moralisch und wirtschaftlich zu vernichten bestrebt
andere Leute Gefallen daran finden. Oder irgend eine
ist. Das wird man sich gut merken müssen!
andere Erklärung soll er geben.
der Wiener Katholiten
Massenversammlung
in der Voltshaue.
Unser Oberhirt über den Volksbund.
Die drei Aufgaben des Volksbundes.
hat ausdrücklich gesagt, den Arbeitern mache das Verbot
Nationalrat Dr. Seipel über den
nichts, die können sich bei den hohen Theaterpreisen ohne¬
hin den „Reigen“ nicht ansehen. Wir haben bisher immer
„Reigen“=Gkandal.
geglaubt, die Sozialdemokratie erblicke ihr einziges Ziel
Im Anschlusse an die 14. Hauptversammlung des
im Vertreten der Interessen der Arbeiterschaft, nun aber
Volksbundes der Katholiken Oesterreichs fand gestern
ist von maßgebendster Stelle gesagt worden, daß dem nicht
nachmittags in der Volkshalle des Neuen Rathauses eine
so ist. Für wen tritt also die Sozialdemokratie in diesem
Falle ein? Für die Schieber und Dirnen, welche
massenhaft besuchte Festversammlung statt, an der zahl¬
sich hindrängen zur Aufführung des „Reigen“. Die
reiche Mitglieder des Diözesanklerus mit Kardinal Erz¬
dürfen nicht gestört werden, und mag es darob im ganzen
bischof Dr. Piffl und Weihbischof Dr. Pfluger
Volke lebendig werden.
an der Spitze, ferner die Nationalräte Heigl, Vaugoin
Ich stelle fest: Weit über unseren engeren Kreis ist in
und Volker, Bundesrätin Dr. Pichl, Gemeinderätin
diesem Falle der Protest laut geworden, die anständigen
Walter u. a. m. teilnahmen. Nach kurzer Eröffnungs¬
Elemente auch der anderen Parteien und auch unter den
ansprache des Präsidenten Walterskirchen
Juden haben einmütig über diesen Theaterskandal ab¬
geurteilt. Darum kümmert sich aber die Sozialdemokratie nicht,
legte Generaldirektor Fried der Versammlung einen
es werden ihre ersten Spitzen vorgeschickt, nur um die Interessen
kürzen Tätigkeitsbericht des Volksbundes vor, dessen 1236
jener, ich will hoffen, nicht allzu zahlreichen Gruppe zu schützen,
Ortsgruppen und Geschäftsstellen 123.818 Mitglieder und
die in ihrem Vergnügen nicht gestört werden will. Präsident
46.084 Teilnehmer zählen. Hievon weisen die 355 Ge¬
Seitz hat auch davon gesprochen, daß niemand zu einer
„Reigen“=Aufführung zu gehen brauche, der in seinem
schäftsstellen Wiens 50.526 Mitglieder und 8718 Teil¬
sittlichen Empfinden sich darüber gekränkt fühlen müßte. Mit
nehmer auf. Der Redner gab sodann seiner Genugtuung
unserer Auffassung von Sittlichkeit verträgt sich freilich ein
über das Zustandekommen der Arbeitsgemeinschaft mit
solches plattes Wort nicht. Wir glauben an ein objektives
anderen katholischen Vereinen, besonders dem Katholischen
Sittengesetz, wir wissen, daß dieses nach Gottes Willen
eingehalten werden soll, und wenn wir auch überzeugt sein
Schulvereine Ausdruck, mit dem zusammen der Volks¬
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