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Reigen
Ueber Schninlers „Reigen“
Das Kleine Theater in Leipzig wurde unter der
Direktion von Fritz Viehweg mit Schnitzlers „Reigen“
eröffnet. Zu dem Werke nimmt der Professor der Philo¬
ophie an der Universität Leipzig, Dr. Johannes Vol¬
kelt, im Sprechsaal eines Leipziger Blattes mit fol¬
gender Auslassung Stellung: Als ich vor etwa 20 Jah¬
ren Schnitzlers „Reigen“ laß, hielt ich es für ausge¬
schlossen, daß ein Theaterleiter eine Aufführung dieser
Szenen wagen würde. Heute ist — dank der Bemüh¬
SPEB :37
Vprarlberger Tagblatt, Bregenn
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ungen zahlloser Bühnendichter und Bühnenleiter um
— die Abstumpfung
Ausmerzung des Schamgefühls
des sittlichen Empfindens und zugleich — dank vor allem
der expressionistischen Kunst — die Verrohung des künst¬
lerischen Geschmacks so weit gediehen, daß ein Theater
den traurigen Mut hat, sich am Tage seiner Eröffnung
durch Schnitzlers pornographische Skizzen die Weihe zu
geben. Wenn Nietzsche von „Umwertung der sittlichen
Werte“ redet, so meint er damit Umwertung nach oben
hin: Umwertung im Sinne tapferer Selbstüberwindung,
immer steilerer Aufgaben, immer härterer Selbstzucht.
In unseren Tagen bedeutet „Umwertung“ meistens Um¬
wertung' nach unten hin: nach der Richtung des Tieri¬
schen, und zwar nicht einmal des Gesund= sondern des
Erkrankt=Tierischen. Ein Theater, das seine Vorstel¬
lung mit Schnitzlers „Reigen“ beginnt, stellt sich hier¬
mit programmatisch in den Dienst der Umwertung der
sittlichen Werte in dem schlechtesten Sinne.
Das auf gut Deutsch als Schweinerei zu bezeich¬
nende Stück hat natürlich einen Juden zum Verfasser.
Es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß sich das
deutsche Volk so etwas bieten läßt.
Der Präsident des deutschen Reichstages über die
Pariser Forderungen.
In der „Breslauer Volkswacht“ nimmt der Reichs¬
tagspräsident Loebe, ein Sozialdemokrat, zu den Lon¬
doner Verhandlungen über die Forderungen der En¬
tente Stellung. Die Verpflichtung zur Zahlung von
226 Milliarden Goldmark und etwa 36 Milliarden Aus¬
fuhrabgaben unterschreiben, hieße nicht nur wider Treu
und Glauben, sondern gegen alle Vernunft eine Ver¬
pflichtung eingehen, deren Unmöglichkeit beim ersten
Zahlungstermin sich kraß offenbaren werde. Die
deutsche Regierung wird also bei ihrem
Nein bleiben müssen, auch wenn die feindlichen
Mächte so gütig sein sollten, sich 50 oder 60 Milliarden
abhandeln zu lassen, wozu sie jedoch nicht die geringste
Bereitwilligkeit zeigen. Der Reichstagspräsident er¬
örtert sodann die Anschauung, daß vielleicht schon in
den ersten Märztagen die Aussicht auf einen Ausweg
verbaut sein könnte und die Alliierten ihre Drohungen
wahr zu machen beginnen würden. Wird das Ruhr¬
gebiet besetzt, so dürfte weder die Arbeitsfreudigkeit der
Bergleute gehoben werden, noch die Qualität der Kohle
sich bessern. Die Wirkungen einer verminderten För¬
derung würden nicht nur die Franzosen spüren,
in
Deutschland selbst würde das Heer der Arbeitslosen so
wenig Steuern zahlen, wie die stillgelegten Betriebe.
Die gesunkenen Produktionskräfte würden allen Aus¬
fuhrabgaben ein schnelles Ende machen. Ob aber die
neuen Wirren, in die Deutschland gestürzt würde, auf
unser Land beschränkt bleiben, erscheint sehr unwahr¬
scheinlich. Ein krankes Glied an dem großen europäi¬
schen Körper steckt die anderen an. Halbinvalide Staa¬
ten liegen genug vor unseren Toren, die schnell von dem
Fieber ergriffen sein werden.
Der Schaden des Streiks in Leverkusen.
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„Vorarlberger Tagblatt“
sehr fest haften. Jeder einzelne Franzose kommt sich
heute als Teilhaber an der fetten deutschen Beute vor,
nachdem man ihm immer aufs neue vorgerechnet hat,
wie viel von den deutschen Milliarden auf jeden Kopf
in Frankreich entfällt. Solcher Arithmetik ist der Fran¬
zose sehr zugänglich! Daß es sich dabei um keinen
Pappenstiel handelt, wird ihm jetzt leicht klar. Nehmen
wir z. B. nur die Doumersche Ziffer von 110 Milliar¬
den Goldfrank, so macht dies auf jeden Franzosen bis
zum Säugling herab etwa 2800 Goldfrank, oder für jede
Familie ein Kapital von annähernd 35000 Franken.
Jeder Franzose träumt schon davon, dank der Kriegs¬
beute zum Rentier aufgestiegen zu sein.
Diese Narkose durch Geldgier ist ungemein zäh. Es
wird natürlich überaus schwer halten, die Traumbilder
zu zerstreuen. An sehr harten Tatsachen allein könnten
sie sich zerschlagen. Nur ein starres „Nein“ mit der
unausbleiblichen Aussicht auf langwierige teuere Feld¬
züge und Expeditionen könnte dämpfend wirken.
Ein weißer Rabe.
Der Abg. Helasey erklärte in der Pariser Kammer,
daß er der Regierung seine Stimme nicht geben werde,
weil er die Abgabe auf die deutsche Ausfuhr als un¬
durchführbar halte. Die Abmachungen von Paris seien
nur von fünf Staaten unterzeichnet, während alle übri¬
gen Unterzeichner des Friedensvertrages von Versailles
nicht gefragt worden sind. Frankreich ladet sich durch
diese Maßnahme den Tadel der ganzen Welt auf. Es
wäre leicht möglich, daß die Alltierten bald gezwungen
würden, diese Maßnahme aufzugeben.
36 Milliarden Besatzungskosten.
Nach einer Mitteilung der „Daily News“ betragen
die den Alltierten seit dem Beginn bis Ende November
1920 erwachsenen Besatzungskosten 35,9 Milliarden
Papiermark. Diese Summe entspricht den der deutschen
Regierung bereits bekannten Zahlen. Die Summe ist
doppelt so groß, als bei den Versailler Verhandlungen
dem deutschen Vertreter in Aussicht gestellt wurde. Da¬
zu kommt die ungeheure Steigerung der Besatzungs¬
kosten durch die Höhe der den Besatzungstruppen zu¬
tehenden Gehälter. Es erhält in der französischen Be¬
satzungsarmee z. B. ein Unterleutnant 52 440 Mark. ein
Major 104 880 Mark. Zum Vergleiche sei angeführt,
daß der deutsche Reichskanzler mit 110 500 Mark nur
5620 Mark mehr als ein französischer Major erhält.
Finanzielle Forderungen der Länder.
In Salzburg hat letzte Woche eine Konferenz der
Vertreter sämtlicher Länder stattgefunden, die zur Be¬
hebung der Finanznot der Länder eine Reihe von For¬
derungen an die Regierung stellte, darunter: Erhöhung
der Ueberweisungen auf das Dreifache. Uebernahme der
für Lehrerschaft und
Hälfte des Gesamtaufwandes
Landesangestellte durch den Bund Ueberlassung des ge¬
samten Valutagewinnes aus der Holzausfuhr oder Ein¬
führung von Landesausfuhrtaxen für Holz, Mitwirkung
der Staats¬
der Länder bei den Gehaltsreaulierungen