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Der Reigen der Muckerwelt.
Was ist geschehen?] Die Spießer bis zum
Minister hinauf sind in Auftegung geraten und
erfüllen die Luft mit dem Gegeifer, daß die Moral
hin, die Sittlichkeit durch den Kot gezogen sei. Ein
Jude hat ein Stück geschrieben, das alle die
Schweinereien auf die Bühne bringt, die man doch
nur tut, von denen man aber nicht spricht, es sei
denn auf den Herrenabenden, die ab und zu not¬
wendig sind, um den Geist ausruhen zu lassen von
den Anstrengungen, die day Leben, die gesellschaft¬
lichen Verpflichtungen und würdevolle Hausväter¬
lichkeit dem Menschen bereiten. Es besteht die Ge¬
fahr, daß die Frau, die Kinder das auf der Bühne
ehen, was man bisher in der Verschwiegenheit der
Bordelle oder der Klubräumlichkeiten bei lustigen
Gelegenheiten mit Wonne selbst genossen hat. Das
darf nicht sein, daß Lumpen die ewigen Gesetze der
Sittlichkeit frech verletzen durch solche Aufführungen,
die geeignet sein könnten, einem die Schamröte
durch Vorführung von Dingen ins Gesicht zu
treiben, die man nur manchmal ausnahmsweise
genoß, von denen man aber leugnet, daß man
wisse, daß sie überhaupt existieren. Man verbiete
dieses Stück. Man bewerfe die Schauspielerinnen
mit stinkenden Eiern, sofern sie nicht zu teuer
kommen und man mache dem unglaublichen Landes¬
hauptmann den Standpunkt klar, der zuließ, daß
olches gespielt werde. Und der Spießer im
Ministerfrack versteht den Spießer aus der Re¬
daktion, aus dem Gesellenverein, versteht di¬
Betschwestern aus der katholischen Jungfrauen¬
kongregation und erklärt alle für Schweine und
unanständige Menschen die sich das Stück ansehen,
seine Aufführung bewilligt haben und für es ein¬
treten, indem er es verbietet. Es ist zwar ein
Verfassungsbruch, aber: die Sittlichkeit und die
Religion ist in Gefahr und wenn die Verfassung
gegen „Gottes Gebote“ verstößt, dann geht man
erhobenen Hauptes über sie hinweg. So fegt ein
Sturm der Entrüstung die Latrinengerüche hinweg,
die die Nase beleidigen. Freilich, wenn sich der
Sturm wieder legt, ist mit den Gerüchen die
Latrine noch nicht verschwunden, aber man wird
dann eben nicht hinsehen, wo sie steht und in Ab¬
wandlung eines berühmt gewordenen Wortes immer
daran denken und nur davon sprechen, wenn man
„unter sich“ ist.
Die Szenenreihe „Reigen“ von Arthur Schnitzler
ist eine Satire auf die elend lügenhafte Moral der
bürgerlichen Gesellschaft, die glauben machen will,
daß es „höhere Stände“ gibt, die den Sünden und
Verfehlungen nicht unterliegen, über sie erhaben
sind. In zehn allerintimsten Szenen wird da ge¬
zeigt, wie die Menschen doch allesamt nichts sind
als Geschlechtstierchen, mag nun der äußere An¬
strich diese oder jene Form haben. Wir sehen die
Dirne Leokadia und den Soldaten, den Soldaten
und das Stubenmädchen, das Stubenmädchen und
den jungen Herren, den jungen Herrn und die
unge Frau, die junge Frau und ihren Gatten, den
Gatten und das „süßze Mädel“, das süße Mädel
und den Dichter, den Dichter und die Schauspielerin,
die Schauspielerin und den Grafen und schließlich
den Grafen und wieder die Dirne Leokadia, die
den Reigen schließen, in dem sich alle die Hände
reichen, alle Gesellschaftsschichten, zwischen denen,
wie der Dichter beweist, auch kein Unterschied ist
im Triebleben der Sexualität. Fehlte gerade noch
der Zölibatär aus Kirchenzwang, der bekannter¬
maßen in den weitaus meisten Fällen Wasser
predigt und Wein trinkt.
Es ist nun bezeichnend, für die jedem wahrhaft
gesunden Sinn Hohn sprechende Art und Weise
jener Kreise, die sich gegen das Stück wendeten,
Freur, Mittwoch, den 10. Feurnar 1321.
wenn man hinsieht, was sie eigentlich gegen das
Stück einzuwenden haben. Erst wenn man die
Gründe gegen die Aufführung des Stückes geprüft
at, dann kommt man zu dem richtigen Urteil über
die sittliche Beschaffenheit jener Welt, die ihre
Moralbegriffe dem Katholizismus verdankt, einer
Welt, deren Sprachrohr die christlichsoziale Presse,
voran natürlich die „Reichspost“ ist, die sich in der
Betrachtung des Stückes direkt im Drecke wälzt
und dabei fortwährend schreit, man möge sie von
ihm befreien. Sie gibt dabei ein getreues Spiegel¬
bild derer, die ihrer Anschauung sind, die im
Grunde genommen dahin geht, schwärende Wunden
im Kö#per der Gesellschaft nicht aufzudecken und
damit der Heilung zuführen, sondern zu verbergen
und fräße sich der giftige Eiter auch noch so tief
n das gesunde Fleisch ein. Aber auch der berühmte
Verbotserlaß des Herrn Glanz zeigt uns dasselbe
Bild, nur daß eben seine Worte nicht den Aus¬
drucksmitteln der „Reichspost“ entstammen. (Er ist
in dem Reigen der aufgeregten Muckerwelt im
Verhältnisse zur „Reichspost“ das, was in dem
Theaterstück der Graf zum Deutschmeister ist). Er
agt: Abgesehen von der künstlerischen Bedeutung
des Stückes (also auch er getraut sich nicht, dem
„Reigen“ künstlerische Bedeutung abzusprechen) be¬
deutet es eine arge Eefährdung der öffentlichen
Sittlichkeit. Welch abgrundtiefe Verkehrtheit offen¬
hart sich doch da. Nie kann wahre Kunst, das ist
wahre Menschlichkeit, der wahren Sittlichkeit ent¬
gegengesetzt sein. Sie kann nur unsittlich sein im
Lichte einer Moral, die ihre Postulate entnommen
hat der Moraltheologie eines Liguori, der sich der
Mühe unterzogen hat, die einzelnen Schweinereien
zu kategorisieren und sie in ihrem Werte oder Un¬
werte abzustufen, die Bußen füc sie der Reihe nach
festzusetzen. Der Mann wurde seinerzeit dafür heilig
gesprochen. Die Zeiten haben sich seitdem geändert,
die Entwicklung ist dem Dunkel des Mittelalter
enteilt, aber noch sind sie da, die Repräsentanten
jener Pfarrhofmoral, die dem von der Ehe unbe¬
leckten Diener Gottes gestattet, seine Haushälterin
zu umarmen, die im aber befiehlt, die Kinder nie
wissen zu lassen, wer ihr Vater sei. Nicht davon
reden!
Muß denn die Welt ewig ausgeliefert sein
den Vergewaltigern wahrhaft gesunder Denkungs¬
art und verschlossen den großen Predigern der
Menschlichkeit, zu denen auch der Dichter Schnitzler
gehört und so viele audere, deren Werke seinerzeit
verboten wurden, weil die Schamhaftigkeit der
wahrhaft Schamlosen ihre Aufführung nicht ver¬
trug. Wurde nicht Gerhart Hauptmanns „Rose
Bernd“ verboten, weil irgend eine „kaiserliche
Hoheit“ es für unsittlich hielt, daß am Burgtheater
ein Stück aufgeführt werde, in dem die Heldin
ein uneheliches Kind hat!? Und man ermesse
die jeden aufrechten Menschen verletzende Bevor¬
mundung, die darin liegt, daß man ihm vorschreiben
möchte, was er zu sehen hat und nas nicht. Man
tat dies in der nicht unrichtigen Voraussetzung,
daß die Menschen durch ihre katholische Erziehung
derart moralisch verbildet sind, daß sie auch für
eine Schweinerei halten, was in der Absicht, sie
von den Folgen dieser Erziehung zu heilen, ihnen
geboten wird. Für diese katholischen Erzieher und
ihre bewußten oder unbewußten Schüler ist
Schnitzlers „Reigen“ nichts anderes als ein be¬
sonders krasses Schaustück zur Erweckung der
Lüsternheit, der Lüsternheit jener, von denen Seitz
agte, daß si. im Parlamente sich zu Annülten der
Moral aufwürfen, während sie gewißlich im Theater
und in den Bars nach den Dingen gieren, die un¬
anständig sind oder es scheinen nach der katholischen
Moral. Und jene „Stimmen“ von denen der Erlaß
Glanz' spricht, die zum Ausdruck brachten, daß das
Stück „mit ihrem sittlich
Gegensatz steht“ sie sin
dieser Moral, die es nich
vor aller Welt die Mas
wird. Und in anderer A
mit Wohlbehagen genieß
Geißel gedacht hat.
Mit welchem sittliche
Urteil der Sechsten Zi
Landgerichtes III von
Stückes. Und mann kann
land ein Land ist, das fr
„Die körperliche Vereinig
„sollte stets lediglich de
innigsten seelischen Gemei
dieser Auffassung hat lei
Platz gegriffen. Diesen
Aufführung die ganze Ic
Mitte mehr und mehr ein
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so bedeutet di
iche Tat... Aus diesen
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ührung von Schnitzlers
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gesunden Menschen
So urteilt das deut
vergleiche dazu die Aeußen
Spießer über Funder bis
solcher Auffassung voll ger