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e
tualität der Teilung sterreichs unter die benach¬
barten Staaten in Erwägung gezogen worden wäre.
Eine solche Behauptung stellt nur den Versuch dar,
in Österreich den Glauben zu verbreiten, daß die
Alliierten bereit seien, den Vertrag von St. Ger¬
main zu ändern. Dies widerspricht durchaus der
Wahrheit. Die Verbündeten sind fest entschlossen,
die Verträge, die sie unterzeichnet haben, zu achten
und ihnen Achtung zu verschaffen. Diesbezüglich
herrscht zwischen den Kabinetten von Rom, Paris
und Londop keine Meinungsverschiedenheit.
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An Der „Reigen.
EEs ist interessant, die Bemerkung zu machen, ine
gegenwärtig Parlamente, Landtage, die Presse, wie
überhaupt beinahe die gesamte Öffentlichkeit inst
dem „Reigen“ von Schnitzler sich beschäftigt. Um deo
Sache als solche zu verstehen, ist es notwendig, eine
kurze Inhaltsangabe zu geben.
Die Achtung vor dem Reinlichkeitsgefühl unserer
Leser zwingt uns, sie bloß kurz und andeutungs¬
weise mit dem Tatsachengehalt dieser zehn Dialoge
von Artur Schnitzler bekannt zu machen. Zehn
Personen schlingen den „Reigen“; die Dirne mit
dem Soldaten, dann der Soldat mit dem Stuben¬
mädchen, dann das Stubenmädchen mit dem
jungen Herrn, dann der junge Herr mit der jun¬
gen Frau eines andern, hierauf dieser Andere mit
einem süßen Mädel, dann das süße Mädel mit dem
Dichter, hierauf der Dichter mit der Schauspielerin,
dann die Schauspielerin mit dem Grafen und end¬
lich der Graf mit der Dirne, so daß der Kreis ge¬
schlossen ist. Jede dieser zehn kurzen Szenen wird
zum Akt und wächst schon nach wenigen Minuten
zu einer Handlung aus, die im Buche mit Gedan¬
kenstrichen angedeutet wird und die durch Verdun¬
kelung der Bühne zu markieren die Spielleitung
vorläufig noch genug Rücksicht besitzen muß. Wir
sagen vorläufig „noch“ denn nach einer neuerlichen
Revolution und bei noch weiter ausgedehnter „Frei¬
heit“ wird vermutlich noch diese letzte Schranke fal¬
len, die uns derzeit noch von der Ungeniertheit
trennt, mit der sich Weidevieh auf der Alm oder die
Hunde auf der Gasse ihrem Liebesdrange hingeben.
In München kam es bei der 10. Aufführung
zu
von Schnitzlers „Reigen“ im Schauspielhaus
einem Skandal erster Klasse. Ein nicht unerheb¬
licher Teil unseres Volkes in seinem gesunden und
anständigen Empfinden will eben solche Bordellstücke
nicht dulden. In Leipzig hatte selbst die Theaterlei¬
tung das Gefühl, die Jugend fernhalten zu müssen
und sie ließ die Teilnehmer vorerst eine Erklärung
abgeben, daß sie wissen, was ihnen bevorsteht und
daß sie daher keine Einwendungen erheben und daß
sie die Karten nicht von Personen unter 18 Jahren
benützen lassen. Auch in Berlin — selbstverständlich
machte der „Reigen“ volle Häuser. Die „Rei¬
genseuche“, wie der „Vorwärts“, das sozialde¬
mokratische Blatt sich ausdrückt, greift weiter um
sich. In Wien wird der „Reigen“ jetzt gegeben. Wie
unendlich tief müssen doch weite Teile des deutschen
Volkes gesunken sein, daß solche Stücke aufgeführt
werden und daß das Theater bis zum letzten Platze
bei höchsten Preisen ausverkauft ist. So trauvig und
schandvoll die Angelegenheit ist, wir dürfen nicht
stillschweigend darüber hinweggehen. Es handelt sich
hier um die Bordellisierung unseres
Volkes.
Die Frage nach der Aufführung des „Reigen“
ist in Berlin zur gerichtlichen Entscheidung gelangt,