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11. Ligen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin HO. 43, Georgenkirchplatz 21
52
Zeitung:
erl
Ort:
15. SLL.1920 —
Datum: —
Arthur Schnitzlers „Reigen“.
Kleines Schauspielhaus.
Vertrud Eysoldts Ausführungen über das
Verbot der Vorstellung, worüber bereits gestern
besicktet worden ist, wurden von lebhaften Bei¬
fallcußerungen begleitet, die sich am Schluß zu
Sympathiekundgebungen
stürmisch steigerten.
Dieser Beifall übertrug sich auch auf Schnitzlers
eichtgefügtes Werkchen. Anno 1897 geschrieben,
hat die Dialogserie — eine Delikatesse für den
nicht zimperlichen Feinschmecker — im kaiserlichen
Deutschland der Oeffentlichkeit nicht einmal durch
den Druck zugänglich gemacht werden dürfen.
Dem Zensor und dem Staatsanwalt galten die
zehn Dialoge, die die sinnlichen Triebe der mensch¬
lichen Natur bloßlegen, für unsittlich. Unsittlich!
Je nun, was ist unsittlich! Unsittlich kann
auch ein Augenzwinkern, ein faunisches Lächeln
sein. Aber wenn die erotische Materie so fein,
o zart, auf so künstlerische Art angesaßt wird.
wie in Schnitzlers Skizzen, dann verkriecht sich
das Bewußtsein, daß da droben auf der Bühne
und im gedruckten Buch die heikelsten, geschlecht¬
lichen Dinge behandelt werden. Das ungemin¬
derte Interesse, das der Aufführung, die unter
der behutsamen Regie von Hubert Reusch den
geistigen Gehalt hervorhob, entgegengebracht
wurde, galt denn auch entschieden nicht so sehr
den erotischen Situationen, wie der guten Laune
und dem kichernden Humor des Wiener Bocaccio¬
Epigonen.
Im Gegensatz zu Strindlerg, der am Weibe
litt, gibt Schnitzler, der am Weibe sich erfreut,
statt der Leidens=, Liebesstationen. Und um die
Liebe mit ihrer sexuellen Schlußpointe aus¬
giebig zu illustrieren, zieht er die verschieden¬
ten Gesellschaftsschichten in das Bereich seiner
Zum Liebesreigen
Zehn=Bilder=Plauderei.
treten an, sich wechselseitig umschlingend, Dame,
Soldat, Stubenmädchen, junger Herr,
junge
Frau, Ehemann und süßes Mädel, Dichter,
Schauspielerin, Graf.- Und der Graf schließt
die Kette mit der Dirne.
In einem ihrer originellsten Romane, „Lu¬
cretia Floriani“, schildert George Sand, eine
unverheiratete Frau, die ihre Keuschheit be¬
wahrt hat, trotzdem sie vier Kinder von dret
verschiedenen Männern geboren. Nun wohl,
man — nicht jedermann — kann diese zehn
Schnitzlerschen Dialoge mit ihren eleichmäßig
verlaufenden zehn Ausgängen sehen, ohne sich
in seiner Sittlichkeit verletzt zu fühlen.
Das hat wohl auch der Vertreter der klagen¬
den Partei, der „Hochschule für Musik“, emp¬
funden und den Einspruch gegen die Auffüh¬
rung, bei der nur die verdeutlichende Musik
störte, klüglich zurückgezogen. Er tat gut
daran.
Die verschiedenen Typen wurden von den
Schauspielern scharf umrissen. Else Bärk und
Leuis Ralph, Kurt Götz
und Viktor
Schwanneke bewegten sich leicht und sicher
auf dem gefährlichen Boden der Erotik. Süß in
der Tat Poldi Müllers „süßes Mädel“ und
recht belustigend in ihrer sacht parodistischen
Art der komödiantischen Schauspielerin Blenche
Dergan.
J. Kn.
# um ScwitzlensReigen“. Zu den Grör###ngen über
die Aufführung von Schniplers „Reigen“ wird uns vom Direktor
der Hochschule für Kunst und Musik mitgeteilt:
„Bei Erwirkung der einstweiligen gerichtlichen Vorfügung, nach
der die Aufführungen untersagt wurden, waren lediglich die Inter¬
essen der mir anvertrauten Anstalt maßgebend. Der Charakter des
Hauses als öffentliches Schulgebäude ist im Vertrag mit Frau
Eysoldt besonders berücksichtigt, da die im § 1 enthaltene Bedingung
des Vertrages Stücke ausschlioßt, die in sittlicher, religiöser, politi¬
cher oder künstlerischer Hinsicht Anstoß erregen. Dazu hat Frau
Eysoldt bei Verhandlungen über den Vertrag, als es sich um dessen
Anerkennung handelte, wiederholt und feierlichst zugesichert, daß
ihre Direktionsführung aus dem Theater eine sittliche und künst¬
lerische Erziehungsstätte ersten Ranges schaffen würde, deren
Leitung nicht nur für die Studierenden der Musithochschule,
sondern für die gesamte Jugend vorbildlich werden würde. Nur
o ließen sich die für das Theater ungewöhnlich günstigen
Ver¬
ragsbedingungen rechtfertigen. Frau Ensoldt hat denn auch
Studierenden der Musikhochschule ermäßigte Einteittskarten
be¬
willigt. Tatsächlich ergab sich, daß für die Direktionsführung im
Gegensatz zu den gemachten Zusicherungen geschäftliche Tendenzen
maßgebend waren und sind. Diesen Tendenzen gegenüber habe ich
pflichtgemäß mein Haus und Vertragsrecht und die Schulinteressen
gewahrt, wie ich das auch weiterhin tun werde. Mit Zenfur und
Polizeimaßnahmen hat mein Vorgehen nichts zu tun.“
Wir können nicht finden, daß durch diese Erklärung das Vor¬
gehen des Direktors der Hochschule irgendwie entschuldigt wird.
Die Erwirkung einer gerichtlichen Verfügung gegen die Auf¬
führung eines Stückes unter der Begründung der Unzüchtigkeit ist
von Zenfur und Polizeimaßnahmen gegen Kunst denn doch nicht
sehr verschieden, besonders dann nicht, wann es sich also um ein ehr¬
liches Vorgehen handelke, und nicht etwa die Unzüchtigkeit nur als
willkommener Vorwand gebraucht wurde, um einen unbequemen
Mieter loszuwerden.
N
Kleine Mitteilungen. Martä Jerber spricht am 31. De¬
zember im Künstlerhaus: Pikante Geschichten lustige Verse Satiren von
Andersen. Busch, Morgenstern, Godwin, Schäfer. Altenberg. — Der
Justitiar der staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege, Landgerichtsrat
Dr. B. Wolf, läßt in den von Geh. Rat Conwentz herausgegebenen
Beiträgen zur Naturdenkmalpflege“ die erste Darstllung des Rechte der
Naturdenkmalpflege erscheinen

Als Weihnacktaabe albt das Anti¬
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Bogena „Berühmte Erstbrucke“ heraus — „Das Prakat
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12.1920
ANER TAGBLAT