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11.
Reigen
laber, die vor 17 Jahren als Salome
heute als Direktorin des „Kleinen
hin der Staatlichen Hochschule für
nbet. (NB. sie zeichnet, aber der
Theaters liefert Schauspieler und
überhaupt ganz souverän über das
diese Gertrud Eysoldt also kündigte
sthur Schnitzlers „Reigen“
uelle Dialoge, die nur durch Perso¬
, in denen jedesmal ein Partner
in der zweiten mitspielt, bis in der
islauf mit jener Dirne schließt, die
piel begann. So ist das Ganze ein
ne Szene, in deren Mitte jedesmal

striche
— jenen Punkt an¬
sele und Leidenschaft nich mitspielen,
esentliche Punkt bleibt — auch die
ft genug die bekannte, melancholisch¬
scher Dialoge. Sie werden besonders
Hälfte die allgemeine Verlogenheit
urch Fachleute, Schriftsteller und
tastischer Energie gehandhabt wird.
inlichkeit der entseelten Welt gewiß
Schim,ner, wie der Wildesche Akt,
nZustand einer Erotik, der alles
mit trockenster Ironie und wird da¬
gleichlichen Grade deutlich. Früher
8 Buch verboten; jetzt gibt es keine
m speziellen Falle hatte das Kultus¬
Hochschule für Musik gehört, Rechte
irte die Aufführung eines solchen
für vertragswidrig und erwirkte
Aufführung eine gerichtliche Ver¬
bei Haftstrafe der Direktion verbot.
emphatischen Ansprache der Frau
Szenenreihe über die Bretter, und
hemonstrierte mit heftigem Beifall
keiheit der Kunst“. Die Auf¬
schen Szenenbildern von Ernst
box 18/1
Stern und manchen hübschen schauspielerischen Einzel¬
leistungen (besonders die Herren Götz, Schwannecke, der
neue Komiker Karl Etlinger und Blanche Dergan, die sehr
lustig eine einst berühmte Heroine parodierte, die schon dem
Dichter Vorbild für seine „Schauspielerin“ gewesen sein soll)
diese ganze Aufführung war nicht ohne Qualität und nach
Möglichkeit dezent. Trotzdem bringe ich die rechte Entrüstung
über diesen tückischen Angriff auf die freie Kunst nicht auf.
Wenn derartige Stücke (und an der gleichen Stelle hat man
mehrere hundert Male die „Büchse der Pandora“ gespielt
ihren Kassenerfolg machen, so tun sie es ganz gewiß nicht durch
die in ihnen enthaltenen artistischen oder geistigen Werte. Als
Unternehmen bleibt das eine trübe Spekulation mit niedersten
Masseninstinkten, wobei man den Gebrauch großartiger Worte
nur etwa dem unbegrenzten Mangel an Telbsterkenninis bei
allen. Theaterleuten zugute halten kann. Verbote werden wehl
nicht die richtigen Mittel sein, um Aufführungen soscher Art
zu bekämpfen; daß sie aber bekämpfenswert sind, meine ich
Artistische Studien über entfesselte Sexvalität
allerbings.
mögen ihre technische Qualität und kulturgeschichtliches In¬
teresse haben — als Massennahrung auf dem Theater dorge¬
boten, wirken solche Proben zersetzter Kultur weiter zersetzend
und sind zweifellos eine Kulturgefahr.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: ich werde für jede,
auch die kühnste Darstellung sexuellen Lebens eintreten auch
ür ihre Darbietung auf einer Volksbühne, sobald diese Dinge
nicht, entzückt oder ironisch, dargebotener Selhstzweck ondern
Stoff sind, an dessen Gestaltung sich eine Leidenscho seellich
geistiger Art auswirkt, die die gestaltenden, ordnenden mehr
als sinnlichen Mächte im Menschen weckt. Solche Macht kann
bei Slakespeare, bei Kleist. bei Strindberg nich im tiefsten
Erleben des Geschlechtlichen sich aussprechen — sie braucht
eineswegs aus einer so anti erotischen Geistigkeil zu kommen,
vie bei Bernard Shaw, dem vollkommenen Gegenspieler
seines irischen Landsmannes Oscar Wilde. Von ihm hat man
in eben diesen Tagen das „Spiel für Puritaner“ auf die Pret¬
ter gebracht, das man geradezu die Anti=Salome neanen
könnte: „Cäsar und Cleopatra“, Statt der ästhetischen
Verherrlichung tödlicher Sinnlichkeit stellt hier Shaw, aus un¬
endlich überlegener Höhe herablächelnd, einen geistigen Men¬
schen nach seinem Sinn als Julius Cäsar neben das beginnende
Pantherlätzchen Cleopatra, dessen schillernde Sinnlichkeit dem
Sumxf der
im bunten
Aberglauben erstickenden
ägyptischen Ueberkultur entsprießt.
Cäsar ist der
ganz
sachliche Mensch, der jenseits von Haß und
Liebe die Dinge nach ihrem inneren Wesen
zu
leiten und zu begreifen strebt und er bemüht sich, bei flüch¬
tiger Begegnung aus diesem sinnlich wilden Kind ein Weid
und einen Menschen zu erziehen. Der Erfolg ist nicht groß,
der Versuch aber für den großen Weltordner auch viel zu
nebensächlich, als daß sein Mißlingen für ihn tragisch sein
könnte. Der ganze innere Reiz, mit dem uns das Stück trotz¬
dem gewinnt, steckt in der geistigen Größe die diese Cäsar¬
gestalt entfaltet. Sein äußerer Reiz. steckt in den vielerlei
rischen Scherzen, mit denen Shaw dennoch die kleinen
Menschlichkeiten seines. Uebermenschen zur Schau stellt, mit
denen er die Kultur sinnlichen Aberglaubens in Aegypten
verspottet und gar höchst anachronistisch als Cäsars Sekretär
Britanus einen perfekten Engländer auf die Szene bringt,
der für jede sachliche Erwägung stets die blöden Korrekt¬
eitsideen des Gentlemans bei der Hand hat. — Vielleichs
waren es mehr diese äußeren Reize, die das Publikum bei
der Aufführung im „Deutschen Theater“, gefangen haben,
edenfalls war der Erfolg groß und etwas von der weisen
Weltmusik, die über allem Spott in diesem Gedicht klingt
wird nun doch auch in die Menschen eindringen. Das ist
umso erfreulicher, als vor 15 Jahren das Stück in Berlin
trotz einer sehr guten Aufführung völlig versagte. In der
diesmaligen Aufführung war Werner Kraus als
Cäsar prachtvoll und Else Eckersberg als Cleopatra nicht ge¬
rade elementar, aber doch schlicht und liebenswürdig. Von
den Nebenrolsen aber waren manche recht mäßig besetzt und die
Regie von Fritz Wendhausen machte etwas undisziplinierten
Lärm. Es war wohl wesentlich der Respekt den sich der Name
Shaw inzwischen erobert hat, der diesmal ein so viel besser
zuhörendes Puhlikum sicherte. Und dessen soll man sich freuen.
Shaw irrt sich, wenn er glaubt, „Besseres als Shakespeare“
zu geben. Dessen Antonius und Cleopatra“ ist keineswegs
eine Orgie der Sinlichkeit, sondern der Fall großer Seelen,
dargestellt am erotischen Thema. Aber Shaw, der nicht die
Seelengröße des Dichters Shakespeare hat, ist durch die gristige
Leidenschaft seines sozialen Weltgewissens als Schriftsteller
hundertmal „besser als Wilde“,
Julius Bah