Faksimile

Text

box 18/1
11. Reigen
Der Tanz um den „Reigen“.
Im liberalen Berliner Blätterwald rauscht es wild auf
vor Entrüstung, die künstlerisch sein mächte, aber gekünstelt
erscheint, weil in der Verhandlung vor dem Landgericht III
am 3. Januar die Direktion des KleinlSchauspiel¬
hauses, die trotz einer einstweiligen Pokfügung desselben
Landgerichts nichts Besseres zu tun wäßte als einen Tag
vor Weihnachten die Schnitzlersche Nöpelle in Dialog¬
form „Reigen“ aufzuführen, nicht ##lanweg frei¬
gesprochen wurde. Die Mitglieder des Gesichts wollen sich
erst selbst eine Vorstellung ansehen, bever sie ihr Urteil
prechen, womit sie sich meines Erachtexs aufs Glatteis
führen und von einer einfachen Rechtsfrage auf eine für sie
am Ende nicht so einfache Kunstfrage absrängen lassen.
Die Dinge liegen doch zunächst so: Einstweilige Ver¬
fügungen waren bisher immer noch dazu da, „einstweilen“
wenigstens befolgt zu werden. Bis nämlich das Gericht zu
einem Beschluß gekommen ist. Wenn sich die Direktion
eines Theaters darüber hinwegsetzt mit der billigen, aber
einträglichen Geste des neuen freien Menschen, der sich um
gerichtliche Verfügungen nicht mehr zu kümmern braucht,
o ist es Sache des Gerichts, wenn es sich nicht selbst um
jedes Ansehen bringen will, solchen Menschen zunächst ein¬
mal klarzumachen, daß sie immer noch in einem Rechts¬
staat leben, dessen Anordnungen, auch wenn sie unbequem
und zunächst geschäftsstörend sind, zu befolgen sind, weil
auch diese Menschen die Vorteile des Rechtsstaates für sich
in Anspruch nehmen. Mit Kunst hat diese Frage also nichts
zu tun.
Ferner besitzt die Hochschule für Musik als Vermieter
unzweifelhaft das Recht, ihrem Mieter eine solche Auf¬
führung auf Grund des Vertrages, den sie mit ihm
geschlossen, und den der Mieter unterschrieben hat, zu ver¬
bieten. Ja, die Hochschule für Musik, in der Jugendliche
besonders zahlreich ein= und ausgehen, hat in diesem Falle
sogar die Pflicht, von ihrem Necht im Interesse dieser Jugend
Gebrauch zu machen, denn Schnitzlers „Reigen“ ist nicht nur
vom Landgericht als „objektiv unzüchtig, sondern vom
Dichter selbst als sittlich bedenklich dadurch gekennzeichnet
worden, daß er die Arbeit als Privatdruck herausgab
und nicht im allgemeinen Buchhandel erscheinen ließ. Und
wenn liberale Gazetten jammern, das alles sei für den Ver¬
mieter nur ein Vorwand, um den Mieter vorzeitig an die
Luft zu setzen, so ist das, auch wenn es sich um ein
Theater handelt, um deswillen immer noch keine Kunst¬
angelegenheit, sondern nach wie vor nur eine Frage des
Rechts. Der Mieter kannte ja seinen Kontrakt und dessen
Klausel, die ihm die Aufführung politisch oder sittlich bedenk¬
licher Stücke verbietet. Er hatte also allen Grund, auf
seiner Hut zu sein, um dem Vermieter keinen Anlaß zum
Eingreifen zu geben. Schien ihm Geschäftemachen wichtiger
als Vorsicht, so mag das eine Frage der Moral sein, sicherlich
aber nicht eine Frage der Kunst.
Drittens aber, wie hier schon angeführt: der „Reigen“
ist kein Theaterstück, sondern eine Novelle. Einen künst¬
lerischen Grund, eine Novelle auf die Bretter zu bringen,
gibt es überhaupt nicht. Gerade bei dieser Novelle, trotzdem
sie aus Diaologen besteht, spricht sogar alles, jeder künst¬
lerische Geschmack gegen eine Theaterdarstellung.
Schnitzler, der ja auch Mediziner ist, reizte es nämlich,
einmal darzustellen, wie die Menschen, die sich gar so wichtig
nehmen, doch nur um das Geschlechtliche ihre bunten Reigen

L
tanzen, bis der Zweck der Natur erfüllt ist. Zehn Pärchen
tanzen mit viel Gesurr und Gebrumm um das Geschlechtliche
wie die Eintagsfliegen um das Licht der Sonne. Man mag
olche Auffassung empörend, erniedrigend finden, aber sie
ist hier nun einmal da; und die erste Frage ist für mich die,
ob diese Auffassung eine künstlerische Darstellung gefunden
hat, da es sich ja um eine Arbeit handelt, die sich als Kunst¬
werk gibt. Diese Frage bejahe ich; und daß jedes Pärchen
mit den folgenden noch in einer äußeren Beziehung steht,
gibt der Novelle auch eine äußere starke Geschlossenheit, sie
rundet sich zum Kreis, was kein Bühnenwerk vermag.
Schnitzler hat nun aus guten künstlerischen Gründen aus
seinen Dialogen kein Theaterstück gemacht, was er doch
wirklich gekonnt hätte, wenn es seine Absicht gewesen wäre,
sondern eine Novelle. Es trieb ihn nämlich, seine Idee, die
er gestalten wollte, noch durch eine Pointe, die zehnmal
varuert wird, besonders deutlich zu machen. Diese Pointe
ist aber nur mit den Mitteln der Novelle zu gestalten, mit
den Mitteln der Bühne einfach unmöglich. Die Dialoge der
Pärchen summen und surren heiter und heiß, bunt und
gewichtig daher, bis sie plötzlich verstummen, weil an die
Stelle der Gespräche die Handlung tritt, der all dies Surren
und Säuseln gilt (sagt Schnitzler). Die Novelle setzt hier
zehnmal Gedankenstriche. Auf diese Pointe steuern die zehn
Dialoge in heftigem Krescendo zu, um nach den Gedanken¬
strichen dekrescendo zu verebben.
Es kann keinen kunstverständigen Menschen geben, der
diese echt novellistische Zuspitzung theatralisch für darstellbar
hält; und wenn die Gedankenstriche im Buch auch durch
noch so rosige Gazeschleier auf der Bühne ersetzt werden:
Auf der Bühne müssen diese Dialoge in ihrer Zuspitzung
einfach unanständig wirken, weil sie in solcher Form nicht
dahin gehören und nicht für die Bühne gedacht sind. Wenn
aber behauptet wird, die Darstellung sei ungewöhnlich
dezent, so beweist das entweder nur die enttäuschte Gier
eines Pöbels, der sich statt der Gedankenstriche nicht Gaze¬
chleier, sondern die Handlung selbst versprach, oder einen
ungewöhnlichen Mangel an Einsicht in die Bedeutung
künstlerischer Form.
Wenn die Vergewaltigung dieser erolischen Novelle
durch das Theatr geduldet, ja verteidigt wird, so gibt es
dafür keine Gründe der Aesthetik. Eine solche Aufführung
ist eine Schande und eine Schmach, die der Kunst angetan
wird. Wenn ein Teil der sogenannten öffentlichen Meinung
Berlins aus Gründen, die mit Einsicht in künstlerischen
Fragen gar nichts; tun haben können, so tut, als empfände
und urteile sie anders, verwirkt sie sich selbst das Recht, in
künstlerischen Fragen ernst genommen zu werden##
Kurt Arg####
1119
MENER CARICATUREN 23 ( 1920
Artur SchnitzlersReigen“
ist gewiß nicht fürs Theater geschrieben -
es ist ein hübscher feuilletonistischer
Einfall mit vielen, manchmal billigen
Pointen.
Aber in Berlin machten sie ein
schreckliches Getue, als ob das Heil der
deutschen Literatur durch ein Verbot
der Aufführung gefährdet wäre.
Sie haben es also aufgeführt und
eine sehr zweifelhafte Wirkung erzielt.
Wenn doch Berlin zeitweise aug
der deutschen Kunst ausgeschaltet werden
könnte! Der dortige Betrieb ist doch gar
zu hitzig.