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durfte, mich in Diskussionen über Wert oder Unwert
meiner Arbeiten oder gar über meine ethischen Qua¬
lifikationen einzulassen. Aber nicht nur müßig, son¬
dern geradezu unwürdig erschien es mir, mich und
mein Werk gegen unfaß= und ungreifbare Anschuldi¬
gungen verteidigen zu wollen, wie etwa die, daß ich
„einer Literatenplejade angehöre, die von der Gunst
einer ihr durch mancherlei Interessensträhne verbün¬
dete Rezensentenzunft mit Lob aufgepäppelt wurde“,
oder daß ich mich „in die Sucht verirre, Wirkung
die meine Kunst nicht zu erlangen vermöge, aus ent¬
ehntem, künstlich erhitztem Erotenreiz zu erbrüten
und, „diesen Reiz klug nutzend, mit Talentaufwand,
von dem anderer Stoff noch nicht genießbar würde
einem großen Publikum den Gaumen kitzeln könne“
Hätte Maximilian Harden auch nur einen der Rezen¬
senten zu nennen gewußt, mit denen ich angeblich
durch Interessensträhne verbunden war oder bin und
sich über die Art dieser Interessen mit genü¬
gender Deutlichkeit auszusprechen beliebt: hätte er
aus den zahlreichen Sachen, die ich geschrieben, eine
oder die andere herausgegriffen, mit der ich seiner
Meinung nach einem großen Publikum den Gaumen
kitzeln wollte, dann ware es — ich will nicht gerade
sagen, der Mühe wert — aber doch immerhin möglich
gewesen, ihn im einzelnen zu widerlegen. Wer sich
aber ernsthaft in Positur stellt, um einen Lufthieb zu
parieren, der wäre in Gefahr, sich genau so lächerlich
zu machen wie sein Gegner, dessen Degen, sei es auch
mit allerkünstem Schwunge, am Ziel vorbei ins Leere
gesauft ist.
Somit habe ich keinerlei Anlaß, mich mit den
Gutachten Maximilian Hardens zu beschäftigen, so¬
weit es meine Person betrifft. Was zu berichtigen
mir nötig scheint, ist die Darstellung, die Maximikian
Harden von dem inneren Verhältnis und dem äuße¬
ren Verhalten Max Reinhardts gegenüber dem „Rei¬
gen“ gibt, und die auf unzureichender Kenntnis von
Tatsachen und offenbaren Mißverständnissen beruht.
Zur endgültigen Aufklärung muß ich mehr um Max
Reinhardts als um meinetwillen in aller Kürze mit¬
teilen, wie meine Szenenreihe „Reigen“ die bekannt¬
lich ursprünglich keineswegs zur Aufführung be¬
stimmt war, mit meiner ausdrücklichen Einwilligung
auf die Bühne kam.
Nachdem im Laufe der Jahre von einzelnen
Schauspielern und Schauspielerinnen, später auch
von Theaterdirektoren Anfragen und Anträge an
mich gelangt waren, die von mir durchaus abgelehnt
wurden, erbat Max Reinhardt im November 1918
telegraphisch von mir das Aufführungsrecht des „Rei¬
gen“ für die Kammerspiele. Ich konnte mich zu einer
zustimmenden Antwort nicht gleich entschließen, er¬
klärte mich aber freiwillig bereit, Max Reinhardt die
Priorität zu wahren, was er dankend zur Kenntnis
nahm.
Indessen traten immer neue, zum Teil recht er¬
wägenswerte Anträge an mich heran; im Januar
1919 lud mich der Direktor eines namhaften deut¬
schen Theaters zur bevorstehenden Uraufführung des
„Reigen“ an seiner Bühne ein, so daß mir gerade
noch Zeit blieb, die schon für einen bestimmten Tag
angesetzte Vorstellung zu inhibieren; aus Rußland
brachten zurückkehrende Kriegsgefangene die Kunde
von Aufführungen des „Reigen“ in einer Anzahl von
russischen Städten; und so hatten im Ausland vor¬
erst, meine Dialoge ohne mein Dazutun und ohne
meine Zustimmung ihre theatralische Laufbahn be¬
gonnen.
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Trotz allen gesetzlich gewährleisteten
Schutzes schien es mir nach meinen bisherigen Er¬
fahrungen nicht ganz außerhalb aller Möglichkeit zu
liegen, daß am Ende auch irgendwo in deutschen
Landen eine widerrechtliche Aufführung stattfinden
könne (mit einzelnen Szenen war das schon in frü¬
heren, rechtsklareren und rechtsbewußteren Zeiten der
Fall gewesen); und diese Erwägung war mit ein
Grund, daß ich im Frühjahr 1919 bei Max Rein¬
hardt anfragte, ob er eine öffentliche Aufführung des
„Reigen“ noch immer für opportum halte. Er ant¬
wortete mir am 19. April 1919: „Ich halte die Auf¬
führung Ihres Werkes künstlerisch nicht nur für
opportun, sondern für unbedingt wünschenswert.
Dabei ist allerdings Voraussetzung, daß bei den Ge¬
fahren, die in der Gegenständlichkeit des Stoffes lie¬
gen, das Werk in nicht unkünstlerische und undelikate
Hände kommt, die es der Sensationslust eines allzu
breiten Publikums ausliefern könnten. Ich nehme
aber bestimmt an, daß sich die Bedenken durch eine
völlig sensationsfreie, reine künstlerische und diskrete
Inszenierung überwinden lassen.“ Und weiterhin:
„Je weniger Sie mich zeitlich festlegen, je mehr
sen wornder ich iir Reunharor Ae
nicht sehr günstig zu liegen, und im Frühjahr 1920
drang ein Gerucht zu mir, daß Reinhardt mit einer
andern Berliner Theaterdirektion verhandle, die den
„Reigen“ in den Kammerspielen zur Aufführung
bringen solle. Auf mein Ersuchen um Aufklärung
wurde mir von Reinhardt am 24. April folgende
Antwort zuteil: „Bezüglich des „Reigen“ möchte ich
Ihnen mitteilen, daß von mehreren Seiten allerdings
an mich herangetreten worden ist, das Werk freizu¬
geben. Jede Unterhandlung in der Richtung ist von
vornherein von mir abgelehnt worden. Ich habe
niemals daran gedacht, dieses Stück einer anderen
Bühne zu überlassen. Ich habe immer an der Ab¬
icht festgehalten, das Werk selbst zu inszenieren.
Daran hat sich nichts geändert.“
So Max Reinhardt. Maximilian Harden aber
weiß in seinem Artikel folgendes zu berichten: „Der
nit der Verantwortlichkeit für ein großes Heer An¬
gestellter Bebürdete, von der Sorge für den über alles
Erwarten hinaus verteuerten Riesenbau des Großen
Schauspielhauses bedrückte Künstler Max Reinhardt
war überredet worden, sich das Aufführungsrecht für
seine Kammerspielbühne zu sichern („sonst erwirbt es
morgen ein anderer“), stimmte mir aber sofort zu,
als ich seiner Frage, ob die Aufführung mir ratsam
cheine, antwortete: „Durch die Ausstellung von
Akten, die den Beischlaf vorbereiten, Geld zu ver¬
dienen, kann und muß Reinhardt anderen über¬
lassen.“ Er hat trotz mancher Schwierigkeit in der
Spielplangestaltung aus seinem Recht nicht Zins ge¬
zogen, die Koitusgespräche nicht auf seine Bühne ge¬
bracht. Und er wäre vielleicht der einzige gewesen,
dessen Theatergenie ihnen ein szenisches Phantasie¬
gewand von eigenem Kunstwert zu wirken ver¬
mochte.
Ich bedauere — vielleiche noch aufrichtiger als
es Maximilian Harden tut — daß es zu dieser Regie¬
eistung Max Reinhardis nicht gekommen ist,
be¬
dauere es um so mehr, als es mir kürzlich vergönnt
var, einen Blick in das Regiebuch zu tun, das zu
entwerfen er begonnen hatte. Im Sommer 1920 trat
Max Reinbardt bekanntlich von der Leitung seiner
Theater zurück. Felix Holländer, sein Nachfolger,
übernahm mit anderen Verträgen auch den über den
„Reigen“ erbat in mündlicher Unterredung mein
Einverständnis, mein Lustspiel „Die Schwestern“ in
den Kammerspielen und
den
„Reigen“
als
„Ensemblegastspiel des Deutschen Theaters“ (wie es
m vorigen Jahr mit der „Büchse der Pandora“ der
Fall gewesen sei) am Kleinen Schauspielhaus zur
lufführung zu bringen, das unter der Leitung von
Frau Eysoldt und Direktor Sladek stehe, und Hubert
Reusch, mir auch aus persönlicher Erfahrung als vor¬
refflicher Regisseur bekannt, die Inszenierung anzu¬
vertrauen. Die genannten Namen boten genügende
Garantie: ich nahm an. Alles übrige, Aufführung
trotz Verbotes, Aufhebung des Verbotes, gerichtliche
und außergerichtliche Gutachten, all das ist durch Zei¬
tungsnachrichten ausreichend bekannt geworden, so
daß ich mir Wiederholungen ersparen darf.
Den Widerspruch aufzuklären zwischen dem, was
in den Briefen Reinhardts an mich zu lesen steht und
dem, was Maximilian Harden aus Reinhardts Wor¬
ten oder aus seinem Schweigen zu entnehmen ge¬
glaubt hat, ist nicht meine Sache. Ebensowenig be¬
darf es der Versicherung, daß es keineswegs meine
Absicht war, durch diese Berichtigung einen Teil der
Verantwortung für die Aufführung des „Reigen
von meinen Schultern abzuwälzen. Im Augenblick,
da ich meine Zustimmung erteilt habe, stehe ich in
eder Weise dafür ein und hätte jede Verantwortung
selbstverständlich auch dann mit dem größten Ver¬
nügen getragen, wenn das Resultat nicht so un¬
widersprechlich für Max Reinhardts Auffassung
zeugte: „daß die Bedenken gegen eine Aufführung des
„Reigen“ sich durch eine künstlerische und diskrete In¬
zenierung überwinden ließen“
Trotzdem bleibt es nach wie vor niemanden ver¬
wehrt, im „Reigen“ mit Maximilian Harden nichts
anderes zu sehen, als eine Reihe „schon süßlich ange¬
schimmelter, in jedem Sinn unplatonischer Gespräche
über Lust und Leid der Paarung“; jedem steht es
auch weiterhin frei, das Experiment einer „Reigen“=
Aufführung, wie ich selbst es so lange Jahre hindurch
at, für problematisch, ein gelungenes für mißglückt
ind sogar ein behördlich approbiertes noch immer für
strafwürdig zu erklären: ja, ich bin fern davon, jeden,
der so denkt, für einen Philister und Dunkelmann und
eden, der für das Bürgerrecht des „Reigen“ eintritt
schon darum für einen Kunstkenner und Freiheits¬
lämpfer zu halten. Wogegen ich mich aber mit aller
ene men
so wie er ursprünglich gesonnen war,
als erster zu wagen.
Arti
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