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11. Reigen
box 18/2
Arteit
6.ZivilkammerdesLandgerichtsIll
zu Berlin
Schnitzlers
„Reigen
betreffend.
—9—
In einem Rechtsstreit, ob die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“
in sittlicher Beziehung Anstoß erregt, hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts III
in Berlin folgendes inzwischen rechtskräftig gewordene Urteil ergehen lassen:
Schnitzlers Buch besteht aus 10 Bildern. In jedem Bilde treten nur
2 Personen auf, die je zweimal und jedesmal mit einer neuauftretenden Person die
geschiechtliche Vereinigung vollziehen, außer im letzten Bild, wo diese Vereinigung
unmittelbar zuvor stattgesunden hat. So tritt jede Person in zwei aufeinander¬
folgenden Bildern auf, nur die Dirne, den Reigen schließend, steht im ersten und
letzten Bild.
Das Buch bietet eine Fülle von Geist und von Feinheit. Kühne, knappe
Sätze zergliedern alle Tiefen der geistigen Verfassung und des Empfindungslebens.
Teils derb, selbst roh, glatt und gemein, teils zart und empfindsam, teils launig,
neckisch, keck prickelnd, lüstern, ausgelassen und verführerisch in der Ausmalung erfährt
der immer sich gleich bleibende Gegenstand zehn untereinander verschiedenste Abwandlungen.
Dieser Gegenstand ist die im Mittelpunkt jedes Zwiegespräches stehende körper¬
liche Vereinigung. Weiterhin befindet sich im vierten, fünften, achten, neunten zehn¬
ten Bild der weibliche Teil im Bett. Im zweiten, dritten, sechsten Bild ist ein mehr
oder weniger erhebliches Sträuben des weiblichen Teiles zu überwinden. Im ersten,
achten, neunten Bild dagegen drängt der weibliche Teil, und zwar im neunten Bilde
mit ngemein heftiger Leidenschaftlichkeit. Im vierten Bilde wird nach der ersten Ver¬
einigung das Ausbleiben der Geschlechtslust des Mannes ausgiebig erörtert. Dem
ehelichen Geschlechtsverkehr des fünften Bildes geht der Ehebruch des vierten Bildes
anscheinend nur um wenige Stunden vorauf. Dazu wird im fünften Bilde der
Ehebruch an sich ausführlich besprochen. Aus diesen Erwägungen erwekte das Buch
den Eindruck, daß seine Aufführung das sittliche Empfinden erheblich verletzen und
dadurch berechtigten Anstoß erregen müsse.
Zwei von dem Gerichte besichtigte Aufführungen erzielten folgenden Eindruck:
Alles was frech, schlüpfrig oder zotig wirken könnte, wird vermieden. Selbst die
Aeußerungen gewöhnlichster Geilheit im ersten Bilde wurden so abgetönt, daß von
einer Reizung der Sinnlichkeit des Zuschauers keine Rede sein kann. Gleiches
gilt von der starken sinnlichen Erregung, der Ausgelassenheit und der Verführnngs¬
kunst der Schauspielerin im neunten Bild. Die überaus schwierige Aufgabe, die