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Schutzes
esen zu
Bämnlche Angellagten
reigesprochen.
Im „Reigen“=Prozeß wurde heute
vormittag das Urteil verkündet. Sämt¬
liche Angeklagten — die Direktion des
Kleinen Schauspielhauses, Frau Gertrud
Cysoldt und Maximilian Sladek, und die
achtzehn mitangeklagten Schauspieler
und Schauspielerinnen — wurden frei¬
gesprochen, die Kosten des Prozesses
der Staatskasse auferlegt.
ing.
Die Urteilst
Zur Begründung des Urteils führte der Vor¬
sitzende alls:
Den Angeklagten wird zur Last gelegt, als
Schauspieler in dem Stücke „Der Reigen“ durch
unzüchtige Handlungen Aergernis gegeben zu
haben, dem Angeklagten Barnay überdies, die
Schauspieler dazu angestiftet zu haben. Der an¬
geklagte Regisseur Reusch scheidet für die Be¬
gehung einer strafbaren Handlung aus, da fest¬
gestellt ist, daß er nach dem 23. Juni an den
Aufführungen nicht mehr teilgenommen hat.
Es fragt sich nun, ob eine Theatervor¬
stellung als Ganzes als unzüchtige Handlung
betrachtet werden kann. Insoweit es sich um
unzüchtige Schriften handelt, bestehen keine
Zweifel darüber. Anders könnte es bei einer
Aufführung sein. Das Gesetz kennt an sich den
Begriff einer unzüchtigen Theateraufführung
nicht. Es müssen daher den Mitwirkenden solche
Handlungen nachgewiesen werden können, die
geeignet wären, das Schamgefühl eines nor¬
malen Menschen zu verletzen. Es war auch denk¬
bar, daß bei einer solchen Aufführung unter
Umständen der einzelne und nicht alle Mit¬
wirkenden zur Strafe gezogen werden konnten,
oder daß einzelne bei gewissen Bildern aus¬
scheiden, die nicht unzüchtig sind. Das Gericht
hatte also zu prüfen, ob den Angeklagten im
einzelnen etwas nachgewiesen werden konnte
worin sie eine Unzüchtigkeit begangen haben
sollten.
Die Musik scheidet bei dieser Be¬
urteilung aus. An der Musik und ihrer
Ausführung und Wirkung sind die Darsteller ale
solche überhaupt nicht beteiligt.
Das Stück selbst verfolgt, wie das
Gericht feststellen konnte,
einen sittlichen Gedanken.
Der Dichter will darauf hinweisen, wie schal
und falsch das Liebesleben sich abspielt. Er hat
nach der Ueberzeugung des Gerichts nicht die
Absicht gehabt, Lüsternheit zu er¬
wecken. Er hat das Werk aus einem geistigen
Gefühl, aus der Seele geschrieben. Der Inhalt
ist ein ethischer. Der Dichter wollte durch
sein Werk bessernd wirken. Diese Idee tritt auch
dem moralisch empfindenden Menschen so deutlich
entgegen, daß alles Beiwerk, das als unsittlich
angesehen werden könnte, zurückgebrängt wird.
Gegenüber dem Wortlaut des Buches wäre noch
zu sagen, was seitens der Darstellung geschehen
ist, um den Wortlaut allenfalls zu mildern. Wag
die Aufführung betrifft, so ist alles, was in
der Handlung obscön und abstoßend hätte
wirken können, wie die Beweisaufnahme ergeben
hat, von der Bühnenaufführung ge¬
sirichen worden. (Der Vorsitzende führt da
hauptsächlich die Szene von dem jungen Mann
und der jungen Frau an, in der die Verände¬
rungen der Regie gegenüber dem Wortlaut des
Theaterstückes besonders ins Gewicht fallen.)
Das Gericht hat ferner hinsichtlich der Auffüh¬
rung erwogen, daß für diese nicht die Illusions¬
bühne, sondern die stilisierte Bühne ge¬
wählt worden war. Dadurch erhält die Bühne
etwas Schematisches, und es wird
das Geistige des Stücke in den Vorver¬
grund gebracht.
Die Darsteller selbst haben in ihren Gesten und
Gebärden, wie sich das Gericht überzeugt hat
sich der höchsten Dezenz befleißigt.
So einfach die Rollen auf den ersten Blick er¬
scheinen, so stellen sie doch hohe Anforderungen
an die Kunst der Spielenden.
Bei dem heiklen Stoff liegt ja die Gefahr,
durch irgend welche Gebärden und Uebertreibun
gen tatsächlich Anstoß zu erregen, sehr nahe. Daß
dies nicht geschehen ist, wird besonders hervor¬
gehoben.
Für das Gericht schieden alle Fragen der Po¬
litik, des Idealismus, Kapitalismus und Anti¬
semitismus. von vornherein aus. Es handelte
sich darum, wie dieses Stück gespielt wurde, denn
es konnte auf die verschiedenste Weise gespielt
werden. Wurde es so gespielt, wie es hier der
Fall war, dann war die Aufführung nach Ansicht
des Gerichts nicht geeignet, das allge¬
meine normale Scham= und Sitt¬
lichkeitsgefühl, wie es in dem Bewußtsein
des Volkes nach positiver Entwicklung aufgefaßt
wird, zu verletzen.
In objektiver Richtung lag also keine straf¬
bare Handlung voc und auch in subjektiver war
eine solche nicht anzunehmen. Ist dies aber nicht
der Fall, dann waren die Angeklagten freizu¬
sprechen.
Auf Kosten
der Steuerzahler.
Der Freispruch, mit dem der durch zwei
Wochen geführte Kampf um Schnitzlers „Reigen“
beendigt wurde, bedeutet eine Verurteilung der
Veranstalter dieses Prozesses. Noch nach Schluß
der Beweisaufnahme, nach den fast übereinstim¬
nenden Gutachten der Sachverständigen, die sich
gegen die Anschuldigung der Unzüchtigkeit der
„Reigen“=Aufführung gewandt hatten, wagte es
der Staatsanwalt, gegen eine Künstlerin wie
Frau Eysoldt eine Gefängnisstrafe von vier Mo¬
naten zu beantragen. Nun ist auch diesem
Bilderstürmer, wie den Organisatoren des
„öffentlichen Aergernisses“ vom Richtertische eine
deutliche Antwort erteilt worden.
Für die Oeffentlichkeit aber bleibt die Frage:
wozu war dieser ganze Prozeß notwendig? Man
hat an sechs Tagen eine Unzahl von Zeugen ver¬
nommen, man hat die Zeit von Sachverständigen
und Künstlern in Anspruch genommen, es mußte
der Apparat einer Theateraufführung aufgeboten
werden, — und das alles, weil Herr Prof.
Brunner und Genossen „Anstoß“ nahmen. Das
Drama „Reigen“ selbst wurde längst nicht mehr
in Berlin aufgeführt, ein Schöffengericht hat be¬
reits einmal die gleiche Anklage zurückgewiesen.
Mußten unsere überlasteten Gerichte abermals
mit dieser res judicata beschäftigt werden. Die

Kosten des Verfahrens — besagt das Urteil
werden der Staatskasse auferlegt. Die Staats¬
kasse, das sind wir, die Steuerzahler, die be¬
kanntlich derzeit noch viel zu wenig belastet
sind.
Herr Prof. Brunnex hat gestern in einer
„Erklärung“ gesagt, vor Gericht hätten sich „ent¬
gegengesetzte Westanschauungen“ gegenübergestan¬
den. In Wahrheit handelt es sich hier weniger
um eine Sittlichkeits= alsum eine Schicklichkeits¬
frage, die nur von der gesellschaftlichen Konven¬
tion selber geregelt, aber nicht vor ein Gericht
geschleppt werden kann. Wenn die Schicklichkeits¬