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Reigen
ung begonnen. Die gesamte
erst funktionieren, bis die
abgeschlossen ist. Das dürfte
leton.
Zeugen oder
die
„Reigen“.
Großmann.
Berlin, Mitte November.
n zu so was a Zeit.
Ich
mpletrefrain summen, als
ich
gericht Moabit wirklich ein
die Direktoren des Kleinen
chnitzlerschen „Reigen“ auf
dnicht nur gegen die Direk¬
nRegisseur, nicht nur gegen
gegen die Schauspieler. Ja
r Prozeß auch gegen die
die Garderobefrauen geführt
ie Direktoren durch die An¬
brechen begangen haben und
Darstellung sich mitschuldig
ßien folgerichtig auch die
sere und der Souffleur an¬
Perbrechen Vorschub geleistet
e Sitzanweiser, ohne die das
andekommen können, weil sie
keit, nämlich die Zuschauer,
cht genug damit, eröffnet der
“ die Perspektive auf eine
her Schauspieler. Dasselbe
gten Schauspieler in Char¬
haben andre Schauspieler in
ipzig, München, Dresden
deutschen Darsteller, die in
pirkt haben, verfolgt und ver¬
es geschehen, daß in den
Drittel der deutschen Schau¬
iegel gesetzt werden.
er bei diesem Massenprozeß
ssen Verfolgung kein Mensch
Schnitzler, aus dessen Kopf
eigen“ entsprungen ist. Ich
deshalb fest, weil ich nach
VI,
box 18/2
ODPPPWIt
We gerugtet, losrh Larkber Se.
schwerde geführt wird, daß aus Anlaß der jüngsten
Komplikationen zwischen Ungarn und den Nachbarstaaten vom
Völkerbund die Vorkehrungen unterlassen worden seien, die
einem Verfahren gegen Schnitzler lechze, ganz im Gegen¬
teil, man lasse den Dichter so unbehelligt wie möglich.
Ich stelle es nur fest, um die Absurdität dieses Gerichts¬
verfahrens zu kennzeichnen.
Die Grundfrage: Soll man den „Reigen“ auf¬
führen? möchte ich jetzt nicht wieder aufrollen. In der
Frage ist das Problem der populären Massenwirkung
überhaupt enthalten. Gewiß eignet sich der „Reigen
besser zur Lektüre, und ich glaube, daß ein Leser,
der
abends in seinem Fauteuil das Buch durchblättert,
ich
die passendste Vorstellung machen kann, nämlich
eine
seinen Bedürfnissen nach Dezenz angemessene.
Die
Preisgabe eines Kunstwerkes an eine uneingeschränkte
Oeffentlichkeit ist immer ein Problem. Wie bitter war
es, ein paar Jahre lang die Schubertschen Lieder durch
Operettenpopularität zur Musik der Leierkasten und
Höfe herabgewürdigt zu sehen, und die Böcklinsche
Toteninsel ist durch allzuviele Reproduktionen schal
geworden. Der Gedanke, daß der Schnitzlersche „Reigen“
das Sonntagsvergnügen der Berliner Handelsgehilfen
würde, ist nicht erquickend.
Aber keine delikate Kunst, keine ästhetische Be¬
trachtung kann im Zusammenhang stehen mit der Ab¬
urdität dieser Gerichtsverhandlung. Ein Dutzend An¬
geklagte, ein Dutzend Sachverständige, eine Unzahl
Zeugen. Die Zeugen teilen sich in zweierlei Kategorien:
die einen Zeugen sind solche, die Anstoß genommen
haben, und die andern solche, die sittlich gehoben waren.
Ich selber wäre für diesen Prozeß als Zeuge unbrauch¬
bar gewesen, denn ich habe weder sittlich Anstoß ge¬
nommen, noch bin ich aus dem „Reigen“ sehr geläutert
herausgegangen. Wichtig wäre es, Zeugen zu ver¬
nehmen, die sich bei der ganzen Vorstellung wirklich
amüsiert haben. Ich halte den „Reigen“ für ein
melancholisches Werk und fürchte, daß solche Zeugen
schwer zu finden wären. In dem ersten Verhör mit dem
angeklagten Direktor Sladek fragte der Vorsitzende, ob
der „Reigen“ ein gutes Geschäft gewesen wäre, worauf
der angeklagte Direktor Sladek antwortete: „Ja, dank
der Reklame des Staatsanwaltes“. Und diese Er¬
widerung war keineswegs als Provokation empfunden
und ausgenommen, sondern sie traf wohl den richtigen
Tatbestand. Ohne die Empörung der Anstoßnehmer
llich der Melschheit nützen könne, zwei allgemeine Regeln
über die Abrüstung aufzustellen, die interessant erscheinen
weil sie unter den heutigen Umständen weniger der Menschheit,
als Frankreich zu nützen bestimmt sind. Erstens, wenn
hätte der „Reigen“ keine dreißig Aufführungen gehabt,
davon bin ich fest überzeugt, denn seine Melancholie ist
nicht für die Masse da, und seine Kühnheit ist voll
Trauer. Die groben Hände, die den „Reigen“ zerreißen
wollten, haben ihn erst zur Sensation gemacht. Der
Direktor hatte ganz recht: Er dankt dem Staatsanwalt
fast alles.
Die Zeugen, die Anstoß nahmen, waren rührende
Erscheinungen: Eine Abgeordnete, Präsidentin eines
Berliner Lehrerinnen=Vereines, weiter ein
Uni¬
versitätsprofessor, der über Willensfreiheit liest, die Vor¬
sitzende eines Vereines zur Bekämpfung des Alkoholis¬
mus und einige Mitglieder des Vereines für innere
Mission und ähnliche ethisch entschlossene, dem Theater¬
leben fernstehende Gemüter. Einen dieser Sachver¬
ständigen fragte ein Verteidiger: Wann waren Sie zum
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letztenmal im Theater:
Der Zeuge geriet sichtlich in
Verwirrung und stammelte: „Ich erinnere mich nicht.
Endlich, nach längerer Ueberlegung erwiderte er: „Bei
Lautensacks „Gelübde“.“ Lautensack gehört zu den
Autoren, bei denen man auch Anstoß genommen hat.
Der Zeuge, wie gesagt, ein Universitätsprofessor, geht
offenbar nur dann ins Theater, wenn er Aussicht hat,
Anstoß zu nehmen. Ein andrer Zeuge erhielt das Billet
von dem Sittlichkeitsreferenten des Berliner Polizei¬
präsidiums, Herrn Professor Brunner, einem sicher sehr
gut gesinnten Mann, der sich aber die leidige Aufgabe
aufgebürdet hat, den ganzen Tag von früh morgens bis
spät abends Anstoß zu nehmen. Er nimmt Anstoß im
Film, er nimmt Anstoß in der Literatur, er nimmt An¬
stoß im Theater. Er kann das alles natürlich nicht selber
bewältigen und hat sich zur Hilfe einen kleinen Ansto߬
trupp geschaffen. Diese gut präparierten Gemüter be¬
sichtigen die Zeichnungen von Corinth und Zille, durch¬
fliegen die Novellen von Matteo Bandello und den alten
Heinse, sie zensieren die Theater und denunzieren die
Feuilletons der Zeitungen. Ig es ist ihnen gelungen,
den Berliner Staatsanwalt dahin zu bringen, daß er
den Komponisten anklagte, der die Zwischenaktmusik
zum „Reigen“ verfaßt hat, den geistreichen Schriftsteller,
Musiker, Schauspieler Forster=Larrinaga, der beschuldigt
wurde, daß er in der Zwischenaktmusik einen Rhythmus
gefunden habe, der — wie soll ich das ausdrücken
— der
dem Rhythmus einer wichtigen menschlichen Tätigkeit
ontsprecho. Aa Horr Farstan=Larrinaag auf diese matt