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11. Reigen
Aber es war mohr als das. Man sah nicht nur 14 bis 15 Schau¬
spieler, von denen jeder, auch der unscheinbarste Diener noch, eine
einprägsame Gestalt schuf, die ebenso komisch, wie menschlich war,
iner Theaterleben, so
man bewunderte vor allem den innigen Zusammenschluß dieser
er erste Gang herum¬
Charaktere zu einem Ganzen, zu einem Stück Welt, mochte es auch
mit seinem gefüllten
noch so veraltet und kulturfremd sein. Ja, diese Künstler ge¬
irektoren vor einer
hörten unverkennbar zusammen, sie wurden durcheinander be¬
Fremden und Aus¬
dingt, einer durch den andern erklärt, die restlose Hingabe jedes
uch die abgespieltesten
einzelnen Darstellers, das völlige Aufgehen auch in der be¬
uaufführungen nicht
scheidensten Rolle schufen etwas, was man im hastigen Tagesbetrieb
erereignis der bis¬
der Berliner Bühnen gar nicht mehr zu sehen bekommt. Die
fder Szene, sondern
Ganzheit eines Künstlers, an dem jedes Strichelchen sitzt.
prageß. über ihn
Freilich, diese Künstler hatten nicht den Film im Kopf, sie waren
ngen, aber ein grund¬
nicht bunt zusammengewürfelt für einen Premierenabend, nicht
n Zeilen doch noch
durch den ewigen Wechsel der Spielleitungen, des Stils, der Auf¬
ritiker in der über¬
gaben verdorben, sie sind keine Geschäftsleute geworden, die dem
hiet gegen Sittlich¬
Meistbietenden gehören und lieber einem Rotter folgen als einem
Aber es war eine
Reinhardt, wenn er nur mehr zahlt . .. Diese Russen haben nur
rständige nur aus
eins: ihre Kunst, die sie kameradschaftlich zusammenschließt, die
utter, die ahnungs¬
sie zu gemeinsamen Siegen führt.
eine solche Vor¬
So sind sie nicht heimatlos. In ihrer Kunst haben diese Ver¬
von der Sache, um
triebenen ihre Heimat, die ihnen innerlich treu bleibt, wie sie ihr;
galles dreht und von
in ihrer Kunst steigt ihnen auch das alte Rußland wieder herauf,
hr versteht als jeder
das aus der Welt verschwunden ist, aber in seinen Dichtern fort¬
ortung trägt. Oder
lebt und von diesen Spielern ewig neu gestaltet wird. . .. Es war
Serie von hundert
ein genußreicher Abend, umsomehr für uns Nichtrussen, die nur
ländigen!“ Und diese
den Vorzug hatten, kein Wort von Ostrowskys Dialog zu ver¬
zu gehören — und
stehen ... übrigens hatte Berlin noch nicht Gelegenheit, die Gäste
scheln, wenn sie be¬
zu begrüßen, da der Zuschauerraum von deren Landsleuten so
kstwerk“. Ins Ohr
im Massenandrang ausgekauft wird, wie unsere Läden von den
twerdende Schnitzler
edlen Vertretern des Völkerbundes.
steht zu Diensten.
Von Neuheiten ist im übrigen so gut wie nichts zu ver¬
melden. Molnars „Schwan“ darf wohl kaum Anspruch auf
esmal nicht viel zu
diese Bezeichnung machen, auch entpuppte er sich im Theater am
für den, der seinen
Kurfürstendamm als eine Gans, von der man am besten nicht
bar, namentlich bei
spricht. Wertvoller war der „Schwierige“ von Hugo von
*
Wie groß aber
Hofmannsthal, der in den Kammerspielen des Deutschen
Flertheaters noch die
Theaters ausgezeichnel dargestellt wird. In die Welt des öster¬
ührung des Ostrows¬
reichischen Hochadels werden wir von einem Dichter geführt, der
aken“ gewahr. Das
an erschöpfter überkultur und lebensfremder Romantik selber ein
um noch erträgliche
wenig leidet, wenn auch im anderen Sinne als sein unheldischer
bürgergestalten und
„Held“, Erlaucht, Graf Brühl, dieser Schwierige, der keine andere
sen in sich vollendet
Lebensaufgabe kennt, als einsuch da zu sein und Konversation zu
ier und da stark
machen. Die hübsche, wenn auch nicht ganz neue Lustspielidee (wo
erschätzen zu wollen
gäbe es übrigens eine neue?) ist nun die daß dieser Schwierige
rsteller) muß ich doch
vor zwei Aufgaben gleichzeitig gestellt wird. Er soll zwei Damen
welches eine solche
durch ein dringliches Zureden in Herzensangelegenheiten um¬
akteristisch heraus¬
stimmen. Natürlich kommt er vor lauter Konversation nicht
weisen könnte. Es
dazu, sich auszusprechen und gelangt infolge seiner weichen Nach¬
e auf diese Typen
giebigkeit und seines gesellschaftlichen Entgegenkommens ganz wo
rer alten Komödie,
anders hin, als er beabsichtigt, ja schließlich ist er selber mit der
Dame verlobt, die er seinem Neffen Stani gewinnen sollte.
Hofmannsthal hat diese Gesellschaftstypen mit erstaunlicher Be¬
obachtungsgabe geschaut und halb Busheit, halb Mitgefühl im
Herzen, ihre Eigenart auf blankem Lustspielspiegel aufgefangen.
Wir haben so wirklich einmal wieder etwas wie ein, wenn auch
teilweise flaues Gesellschaftslustspiel, ein Konversationsstück, eine
beinahe ausgestorbene Gattung. Leider sind auch die Schauspieler
dafür ausgestorben, ein Wunder noch, daß die Kammersp':. das
mitunter etwas langweilige Geplausche so gut herausbrachten:
Dank vor allem dem Geschwisterpaar Helene und Hermann
Thimig. Hofmannsthal aber hat wieder einmal gezeigt, daß er
nicht bei „Elektra“ und „Oedivus“ sondern bei den Trägern einer
müden überkultur zuhause ist.
Pet=r.