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Theaterabende unterwegs.
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Von
Erich Köhrer.
VI. Die Hamburger Kammerspiele.
Die Hamburger Theaterverhältnisse haben immer nach
zwei Richtungen ihre Eigenart gehabt: das Publikum
der Alsterstadt ist außerordentlich konservativ und
frönt einem geradezu wienerischen Personenkultus im
Theater, wie ja das Hamburger Schauspielhaus sich gern
die „nordische Burg nennen hört. Trotzdem aber ist
Hamburg auch eine Uraufführungsstadt par
excellence, und ich glaube, daß in den wenigen Ham¬
burger Theatern fast ebensoviel Uraufführungen im Jahre
stattfinden wie in der Masse der Berliner Bühnen zu¬
sammen. Freilich, auf die Wahl dieser Uraufführungen
übte die ersterwähnte Eigenart stets ihren maßgebenden
Einfluß aus: stürmisch bewegte Experimente durften nicht
dabei sein! Man hob und hebt in Hamburg gern ein
liebenswürdiges Lustspiel, schließlich auch ein würdiges
Schauspiel aus der Taufe, aber man hält sich von neuen,
unbekannten, vielleicht nicht glatt gebahnten Wegen durch¬
aus fern. Man schätzt und liebt sogar das Theater als
eine Pflegestätte angenehmer Zerstreuung und Unter¬
haltung, aber man hat am Tage viel zu viel an der Börse
oder im Schifffahrtskontor sich anzustrengen, als daß man
dem Theater das Recht einräumen könnte, nun auch noch
einerseits eine gespannte Aufmerksamkeit, ein tieferes
Nachdenken zu verlangen.
Wenn man dazu bedenkt, daß der Hamburger sehr
viel auf das Aeußere gibt (wieviel wohltuend gut an¬
gezogene Männer habe ich jetzt wieder in Hamburg“ ge¬
sehen!), und daß beim Neubau des Thaliatheaters die
Logenfrage wichtiger wur als die Akustik, begreift man erst
richtig, wolches ungeheure Wagnis Erich Ziegel unter¬
nommen hhat, als er vor ein paar Jahren, noch während
der letzten Kriegsmonate, die „Hamburger Kammer¬
spiele eröffnete. Das Lokal, das den neuen Musen¬
tempel bilsete, war ein viereckiger Saal auf einem Hofe,
zu dem man aus dem Vordereingang eine hohe Treppe
hinabsteigen muß. Hier haben früher schon einmal
Bauer und Heltai vergeblich versucht, ein ernsthaftes
Theater zu machen, hier war man dann auf die „Königin
der Luft“, den „Seligen Balduin“ und Hamburger Lokal¬
schwänke hinuntergekommen. Das gute Publikum war
dem Siall enifremdet — wenn es ihn überhaupt je gekannt
hatte! — und man mußte sich auch vergeblich fragen, wie
es möglich sein konnte, in diesem Raum, in diesem schmal
in die Tiefe gestreckten Tanzsaal die Stimmung auf¬
zubringen, die für den Spielplan nun einmal nötig ist,
auf den der Namen „Kammerspiele“ unzweideutig hinwies
Wie Ziegel sich in diesem Hause hat durchsetzen und
halten können, ist mir wirklich ein Rätsel. Gewiß, er hat
inzwischen das nebenan gelegene Varieté „Hammonia“ hin¬
zugenommen, es in Komodie nhaus umbenannt und
spielt dort Schwänke und ähnliches Publikumsfutter. Aber
auf der anderen Seite hat er das Repertoir der Kammer¬
spiele wirklich im ganzen auf einer schönen Höhe gehalten
und auch in der Gestaltung der Aufführungen den Mut
zur Bekundung künstlerischen Willens gefunden. Es unter¬
liegt gar keinem Zweifel, daß die Hamburger Kammer¬
spiele heute das lebendigste, künstlerisch am stärksten kon¬
zentrierte Theater der Stadt sind. Ob die Aufführung der
„Räuber“ in moderner Kleidung, die ich leider nicht
gesehen habe, ein verfehltes Experiment war, ob mancher
andere Ansatz nicht zur Vollendung reift — die Tat¬
sache allein,
daß in Hamburg auf
einer
Bühne experimentiert wird, und zwar unter
künstlerischen
Gesichtspunkten,
freudige Anerkennung und
sollte die Hamburger in
Scharen ins Haus ziehen. Aber ich habe nicht den Ein
druck gewonnen, daß Ziegels ehrliche Arbeit und sein
Leistungen vom Hamburger Publikum so unterstützt wer
den, wie er es verdient. Ich habe ihn leider nicht g
sprochen und daher keinen Einblick in seinen Etat gs
wonnen. Ich weiß aber, daß er ein ziemlich großes Per¬
sonal hat, und daß die Einnahmefähigkeit seiner Bühne
räumlich beschränkt ist. Die Kammerspiele fassen nur etwa
750 Personen, und da der teuerste Platz am Wochentag
55 Mark kostet, dürften wohl nur ausverkaufte Häuser den
Betrieb erhalten. Schnitzlers „Reigen, gegen dessen
Aufführung ich mich durchauls bekenne, hat auch hier d?
gute Wirkung ausgeübt, Ziegel das Haus lange Zeit
#
füllen und ihn wirtschaftlich zu stärken. Denn der Ham¬
burger hat immer eine s—tille Liebe für ans—tößige
Sachen gehabt.
Allerdings zeigt sich die Besonderheit des Hamburger
Publikums selbst in diesem Hause, dessen Besucher doch
sicherlich in einem gewissen Grade literarisch interessiert
Hande ana
sind. Nach meinen Beobachtungen scheint das Verständnis
für das Schaffen unserer Zeit nicht gerade sehr groß zu sein,
und selbst ein Stück wie Speyers „Rugby“ ruft schon
lebhaftes Kopfschütteln und sogar Pfiffe der Entrüstung
hervor. Wenn's nicht was Erotisches ist, dann zieht man
schon die Klassiker vor.
Deren Pflege wird freilich durch äußere und innere
Hemmungen stark erschwert. Durch äußere: die Bühne ist
sehr bescheiden, räumlich stark beschränkt und technisch kaum
auf der Höhe. Durch innere: ein Privattheater ist nun
einmal gezwungen, sich zu entscheiden, ob es sein Personal
ür klassischen oder modernen Spielplan zusammenstellen
soll.
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Die schauspielerischen Differenzierungen sind all¬
mählich viel zu sehr vorgeschritten, als daß man mit einem
Personal für diese beiden grundverschiedenen. Aufgaben
reichen könnte. Ziegel hat ja nun wohl ein ungewöhnlich
großes Personal verpflichtet und damit seinen Etat schwer
belastet. Trotzde gelingt es auch ihm nicht — und konnte
ihm nicht gelingen! — für beide Aufgabenkreise geeignetes
Material an Kräften zu finden und festzuhalten. Es soll
nicht vergessen werden, daß eine Reihe Bühnenmitglieder,
die jetzt in Berlin an ersten Stellen stehen, vorher bei
Ziegel waren. Aber er wird nicht leicht in der Lage sein,
ich solche Kräfte für längere Zeit zu sichern.
Unter diesen Umständen erscheint mir das Nibeau
seiner Aufführungen bemerkenswert hoch.
Eine Auf¬
führung des „Sommernachtstraum", die Ziegel
selbst inszeniert hat, gab mir ein Bild davon, wie er mit
dem Raumproblem fertig wird und zugleich eine Probe
davon, wie er neue Wege zu gehen sucht. Man spielt die
Komödie in zeitlosen (von Eise Kündiger mit gutem
Farbensinn entworfenen) Kostümen, die ein wenig dem
Biedermeier angenähert sind. Daß man keinen Augenblick
einen Gegensatz zwischen dem Kostüm und der Erwähnung
Athens und seiner Götter empfand, beweist das Gelingen.
Die Raumfrage ist rein dekorativ annehmbar gelöst. Der
Wald sogar, durch eine mächtige Eiche im Mittelgrund an¬
gedeutet, din sich nach dem Hintergrund zu im Gestrüpp ver¬
liert, entbehrt nicht des szenischen Reizes. Aber der be¬
sondere Stimmungszauber, der sich aus dem Ineinander¬
weben von Monsch und Wald und Elf und Troll ergibt,
bleibt aus, weil eine Entfaltung unmöglich ist. Zu diesem
Eindruck trägt auch bei, daß hier die neue Musik versagt,
die Ernst Roters geschrieben hat, und die für die Rüpel¬
zenen witzige und charakteristische Ausdrücke findet, aber
der Märchenstimmung mit einem ziemlich banalen Walzer
nicht nahekommt. Die allzu reichliche Musik bedeutet auch
quantitativ eine störende Belastung des Werkes, sie unter¬
bricht seinen Fortgang, ohne die Unterbrechung durch be¬
strickende Stimmung unmerklich zu machen. Ebenso ver¬
fehlt ist die allzu ausgedehnte Tanzerei im Wald, be¬
sonders, wenn sie so peinlich dürftig und uninteressant aus¬
geführt wird wie durch die paar eckigen Schwimmerinnen
ien Hamburg, die als „Münchener Tanzgruppe“ gastieren.
Mit den Nöten des Raumes fertig zu werden, scheint an
dieser Stelle nicht anders möglich, als indem der Spiel¬
keiter sich in allen Dingen mit Andeutungen begnügt, wie
es szenisch auch für den Wald hübsch gelungen ist.
Speyers „Rugby wurde unter der Regie des Dr.
Bobrik in einem geschmackvollen und kultivierten Rahmen
gespielt, im Tempo nicht immer leicht genug, aber sicher
ointiert. Nur das Bett im Zimmer des dritten Aktes war
böse Provinz. Ich lernte als Karola eine Schauspielerin
kennen, die Marcella Halicz heißt und so hübsch,
von innen heraus voll Liebe und Frische bei der Sache ist,
daß ich ihr wirklich raten möchte, die deutsche Sprache zu
ernen. Ich glaube, es würde sich für sie lohnen — und
auch für die deutsche Bühne. Die ganze Vorstellung stand,
mit Ausnahme des Ehepaares Buttler, auf einer erfreu¬
lichen künstlerischen Höhe. Den Eindruck besonderer Bega¬
bung, den Herr Sodinger als Conny durch die liebens¬
würdig=kecke Konversationsführung erweckte, verstärkte er
als Lysander. Die Hippolyta des Frl. Kündiger machte
mit einer trefflichen Sprecherin bekannt, die Hermia des
Frl. von Mahr mit einer lieblichen Künstlerin voll Laune
und Zärtlichkeit. Im Ganzen kamen in der „Sommer
nachtstraum"=Aufführung, der Ziegel, soweit Musik und
Tanz es zuließen, ein wirbelndes Tempo gegeben hat, die
Rüpelszenen zu überlegenerer Wirkung als die Märchen¬
teile. Die einzelnen Typen waren scharf gesehen und mit
individualistischer Charakteristik humorvoll gestaltet. Gerade
auch in ihren Szenen wurde erkennbar, wie die Kammer¬
spiele mit Eifer und Gelingen bemüht sind, ihre besondere
Stellung im Hamburger Theaterleben sich täglich neu zu
verdienen.