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sehit ihm die Frische der Anschanung, sehlt ihm der dramatische Zug.
In der ungewöhnlich breiten und ungefügen Exposition verschießt der
Feuilleton.
Autor sein Pulver; die beiden letzten Akte muthen wie dürftige Rechen¬
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exempel an, und es hilft nichts, daß Schnitzler den unergiebigen Stoff
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Berliner Theaterbrief.
durch allerhand Flitterwerk, Einschiebsel und Wiederholungen zu beleben
Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler.
„Das Vermächtniß
sucht. Als Beweis dichterischen Vermögens kann in der Arbeit nur die
(Deutsches Theater.) — „Großmama.“ Schwank in vier Allfzügen von Max
Figur des Professors Colatti gelten, eines prächtigen Schönredners
Dreyer. (Lessing=Theater.) — „Auf der Sonnenseite.“ Lustspiel in drei
und Komödianten, dessen Leben vom Morgen bis zum Abend Pose ist
Aufzügen von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg. (Königliches
Schauspielhaus.) — Jörg Trugenhoffen.“ Ein deutsches Schauspiel in
und der immer den Taschenspiegel offen trägt, um sich an der Schön¬
„Hof¬
fünf Aufzügen von Rudoli Stratz. (Königliches Schauspielhaus.) —
heit jedes seiner Worte, jeder seiner Handlungen selbstgefällig lächelnd
gunst.“ Lustspiel in vier Aufzügen von Thilo v. Trotha. (Neues Theater.) —
laben zu können.
„Zaza.“ Schauspiel in fünf Aufzügen von Pierre Berton und Charles
Während Schnitzler in seinem neuen Nichts=als=Theaterstücke
Simon. (Berliner Theater.) — „Der Herr Sekretär.“ Schwank in drei
„Cyrano von
Akten von Maurice Hennequin. (Residenz=Theater.)
wenigstens den realistischen Schein zu wahren suchte, hat Max
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Bergerac.“ Romantische Komödie in fünf Aufzügen von Edmond Rostand.
Dreyer, den wir als verflossenen „strengen Wirklichkeitsschilderer“.
„Paméla.“ Schauspiel in
Deutsch von Ludwig Fulda. (Deutsches Theater.)
an dieser Stelle schon wiederholt erwähnten, auch diesen Plunder
fünf Akten von Victorien Sardou. (Lessing=Theater.)
couragirt über Bord geworfen und einen gar nicht literarischen, dafür
Den Wiener Jungen hat Arthur Schnitzler Eingang in
aber recht lustigen Schwank geschrieben. Der Spaß heißt „Gro߬
Berlin verschafft. Es gehört nicht nur in Norddeutschland zum guten
mama“ und handelt von der Eroberung des bekannten Weiber¬
erächtlich oder gar mitleidig von der Wiener Kunst zu sprechen,
feindes, der nur noch vor seinem Magen auf den Knien liegt — eine
mer Theater, das bei Licht besehen, eitel Götzendienst vor den
etwas schwierige, dafür aber genußreiche Freiübung. Seine alte Liebe,
Altären beliebter Schauspieler, skandalumwitterter Schauspielerinnen sei.
die inzwischen zur jugendlichen Großmama aufgerückt ist, schneit ihm
Solchen schiefen Ansichten, die ohne viel Bedenken verallgemeinern und
unvermittelt ins Haus und bekehrt ihn nach allerlei derbhumoristischem
das ernsthafte Streben des literarischen Nachwuchses in der Donaustadt
Hin und Her und nach Gesprächen von echt niederdeutscher, behaglicher
ganz ignoriren, begegnet man auch außerhalb der schwarzweißen Grenz¬
Saftigkeit. Man hätte von Max Dreyer freilich etwas Anderes als
pfähle. Schnitzler darf sich das Verdienst zusprechen, hier eine
diese bedenkenlose, untiefe Schnurre erwartet, die schnurstracks auf
gründliche Wandlung angebahnt zu haben. Unter den Fittigen seines
Benedix zurückführt, aber man ist in diesen Tagen der weit unter
Talents ist es einer ganzen Reihe von Wiener Küchlein geglückt, auf
Benedix stehenden, blos kalauernden Blumenthalia schon mit einer gut
die Berliner Bretter zu kommen, während man sie ohne ihn kaum
erzählten Anekdote zufrieden.
beachtet oder in Bausch und Bogen als Backhendl bezeichnet hätte —
Herr Oskar Blumenthal fängt an — und das dünkt mich
„schmecken ganz gut, aber das ist auch Alles.“ Schnitzler war dem
der Schrecken schrecklichster — sich selbst abzuschreiben. Daß in „seinem“
Berliner Realismus hoch willkommen als sein österreichischer Vorposten,
Uid Kadelburg's neuen Lustspiel „Auf der Sonnenseite“
und die hiesige Gemeinde, die grundsätzlich jeden ihrer Apostel mit
h die Anlehnung an andere Schriftsteller nicht fehlt, bedarf der
Lorbeer überschüttet, verhätschelte den Anatolpoeten noch ganz besonders,
Erwähnung nicht. Die Oede des Stückes wird diesmal durch einen
briet ihm eine Extrawurst. So fand denn auch sein neuestes Schauspiel
chgewordenen Töpfermeister, seinen Diener und zwei verarmte
„Das Vermächtniß“ beim Premièrenpublikum die übliche
##belige bestritten. Wir vernehmen die originellen Lehren, daß der
jubelnde Aufnahme, und es ist bezeichnend, daß gerade der schwächste
Schuster bei seinem Leisten bleiben solle und daß nur die Arbeit
Akt des Stückes, der letzte, zu der größten Zahl von Hervorrufen
glücklich macht, außerdem feiern wir ein frohes Wiedersehen mit zahl¬
führte. Fast erstaunt blickte der Dichter zu der in Delirien des Ent¬
reichen jener lustigen Personen, die es nur in Blumenthal's Lustspiel¬
zückens rasenden Galerie empor, die an seinem Ehrentage ein Uebriges
phantasie gibt und deren Humor darin besteht, daß sie ein körperliches
thun zu müssen glaubte und durch ihren trommelfellzerstörenden Be¬
Gebrechen oder einen Sparren haben. Von den beiden Baronen, die das Werk
geisterungslärm jedenfalls dafür den Beweis erbrachte, daß das Gerede
schmücken, wird der Eine als edler und anständiger Charakter gekenn¬
von den schwachen Nerven unserer Zeit auf irrigen Annahmen beruht.
zeichnet. Schon dieser Umstand hätte ihn davon abhalten sollen, ganz
Herr Schnitzler schien gerührt. Er wußte ja nicht, daß die jungen
dreist bejahrte Scherze für sein geistiges Eigenthum auszugeben und
Leute dort oben auch bei Premièren um 50 Perzent ermäßigte Preise
sich damit protzenhaft zu brüsten, wie es die Herren Verfasser thum.
genießen und daß sie sich offenbar für verpflichtet halten, die ersparten
Im königlichen Schauspielhause, das ein Altersversorgungsinstitut
50 Perzent in reinem Kunstenthusiasmus und Handarbeit nachträglich
für ramponirte Musen werden zu wollen scheint, war vor dem mora¬
abzuliefern.
lischen Lustspiel Blumenthal's das deutsche Schauspiel „Jörg
Herr Schnitzler ist seines Zeichens Sozialkritiker, und unerbittlich
Trugenhoffen“ von Rudolf Stratz in Szene gegangen. Herrn
schwingt er die scharfe Waffe der Satire. Diesmal wendet er sich gegen
Stratz! Romane und Offiziersstücke haben seinen Namen einigermaßen
den albernen Zopf, daß unsere heuchlerische Gesellschaft nette junge
bekannt gemacht, obgleich sie außerhalb der Kritikerkreise kaum Jemand
Damen deshalb ächtet, weil sie aufgeklärt genug sind, außer auf die
zu lesen oder zu hören bekommt. Der Jörg Trugenhoffen wird nach
kirchliche auch auf die Ziviltrauung zu verzichten. Der Held der Tragödie
menschlichem Ermessen nicht dazu beitragen, seinem Dichter größere
bricht sich gelegentlich das Genick; vorher aber hat er noch gerade
Volksthümlichkeit zu verschaffen. Wie Hauptmann und Andere mehr,
Zeit, seinen Eltern das Versprechen abzupressen, seine liebe Nicht¬
hat auch Herrn Stratz die Zeit des deutschen Bauernkrieges mächtig
Ehefrau und ihr vierjähriges Knäblein ins Haus zu holen und so zu
angezogen. Aus dem richtigen Empfinden heraus, daß man das wilde
behandeln, als seien die Beiden hochgradig legitim. Trotzdem die alten
Jahr nicht in seiner Totalität, sondern nur in einer Episode dramatisch
Herrschaften eigentlich Rücksicht auf eine unverheiratete Tochter nehmen
wirksam darzustellen vermag, erfand er sich eine Handlung, die den
müssen und trotzdem sich ihre liebsten Freunde chockirt von ihnen ab¬
Ritter Jörg in Gegensatz zu seinen Standesgenossen sowohl wie zu
wenden, lösen sie ihr Wort redlich ein, bis das Bebé stirbt. Seine
den Bauern bringt. Aber die arg romantische Liebesgeschichte
Mama, ein dralles Ding, das sich wahrhaftig nicht von wildfremden
könnte zu jeder beliebig anderen Zeit auch passirt oder nicht passirt
Menschen ernähren zu lassen brauchte, möchte indeß die angenehme
sein; mit der wirthschafts= und sozialrevolutionären Bauernbewegung
Gastfreundschaft noch weiter genießen, obgleich ihr nicht entgehen kann,
hat sie wenig zu thun. Jörg macht dem Kanzler des mächtigen Pfalz¬
daß sie den Wirthen allmälig eine Last geworden ist. Aber die Geduld
grafen die junge Braut abspenstig, um sich dafür zu rächen, daß man
der guten Leute ist nun erschöpft und sie lassen Fräulein Toni durch
ihm die geliebte Gattin ermordet hat. Nebenbei ist Jörg der Busen¬
den Mund eines unangenehmen Herrn, der das böse Prinzip ver¬
freund des Bauernführers Pfaff Eisenhut und im innern Herzen
körpert, Wohnung und Kost kündigen. Eine Rente dagegen, die solle
überzeugt von der göttlichen Wahrheit des neuen Evangeliums. Weil
sie auch in Zukunft erhalten. Toni nimmt sich die Aussage, die sie
doppelt besser hält, benutzt Stratz beide Umstände, um seinen geplagten
mitten in ihrer tiefen Trauer um Kind und Vater traf, ungemein zu
Helden in tragische Konflikte zu stürzen. Aber die Fäden verwirren
daß jeder von den drei
Herzen und geht ins Wasser, so
sich in seiner Hand, er läßt sie schließlich fallen und begnügt sich mit
Akten einen Todten liefert. Ihr trauriges Geschick gibt dem
nicht fehr talentvoll nachgeahmten Opern= und Wildenbruch=Effekten.
Dichter Anlaß zu einer sulminanten Anklagerede gegen die Hart¬
Stratz galt bisher für eine kleine Hoffnung unseres Theaters; nach
herzigkeit der in konventioneller Lüge erstarrten Kulturmenschheit.
seinem roh zusammengepinselten Jörg, der sich nur durch die be¬
Befremdenderweise hat Herr Schnitzler es aber unterlassen den
ängstigende Bühnenunsicherheit des nach Bühnenwirkungen haschenden
eigentlich Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, den Genußbengel,
Autors auszeichnet, wird man gut thun, diese Hoffnung fallen
der das junge Weib vier Jahre lang an sich gekettet hat,
zu lassen.
ohne ein einzigesmal seiner Pflichten zu gedenken. Gewiß, es mag feige
Da hat's Thilo von Trotha, des alten Moser's langjähriger
sein, daß die Eltern schließlich aus Furcht vor dem Urtheile der Welt
Geschäftstheilhaber, mit seinem Lustspiel „Hofgunst“ besser getroffen.
die Geliebte ihres Sohnes von sich stoßen. Doch was bedeutet diese
Abend für Abend drängt sich das „feine Familienpublikum“ in Frau
immerhin sehr entschuldbare Schwäche — handelt es sich doch für sie
Nuscha Butzes' Neues Theater, um die dramatisirte Gänseliesel
um eine fremde Person! — gegenüber der niederträchtigen Feigheit
zu schauen und die große Donnerwetterrede zu hören, womit das
des „Helden“, der das Mädchen seiner Liebe nicht zu seinem ehelichen
ungebändigte Prachtmädel am Schluß des vorletzten Aktes allem
Weib zu machen wagte, ebenfalls aus Furcht vor dem Urtheile der
Intriguanten= und Kriechervolk gehörig die Meinung sagt. Gänseliesel,
Welt? — Herrn Schnitzler's These ist schief und halb. Doch das ginge
hin, wenn das darum geschriebene Schauspiel ein Ganzes wäre. Leider! die auf Vaters Gut nichts als jene entzückenden, burschikosen Dummheiten