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Zwischenräume und freie Ränder mit Bemerkungen und Veränderungen
zu treiben wußte, die unsere theuere Nataly von Eschstruth so füß zu
ausgefüllt werden. Die zweite Reinschrift erlebt dasselbe Schicksal,
beschreiben weiß, Gänseliesel steigt plötzlich zum Range einer Hof¬
ebenso die dritte. Einige Abschnitte seiner Werke schreibt Leo Tolstoi
dame auf. Sie behält indeß ihre frohmüthigen Gewohnheiten und das
selbst oft zehnmal ab. Dabei ist er durchaus nicht bemüht, schöne
Herz auf dem rechten Flecke, vereint ein schmachtend Paar, das nicht
Redewendungen zu suchen, im Gegentheil. Bei besonders schwierigen
zu einander kommen kann, und muß zum Danke dafür schmählichen
Stellen unterbricht er plötzlich seine Arbeit und greift zu den Karten,
Verdacht auf sich nehmen. Gottlob tritt, als die Noth am höchsten
um in einer „patienco“ Erholung zu finden. Nur selten gelingt ihm
und Papa am wüthendsten ist, Durchlaucht selbst für das schelmische
eine Szene beim erstenmal unter besonders lebhaften Eindrücken —
Kind ein, das ihm die geliebte Braut verschafft hat, und Gänseliesel
so beispielsweise das Rennen in „Anna Karenin“ unter der an¬
bekommt den bewußten Lieutenant aufgebaut, der von Anfang an
ziehenden Schilderung des Fürsten Obolenski. Um den Eindruck seiner
bezaubert war von dem frischzufahrenden, kecken, kreuzbraven Geschöpfe.
Arbeit zu prüsen, liest der Graf dieselbe stets seiner nächsten Um¬
Das Stück ist nach den ältesten Rezepten gebraut, scheinbar absichtlich
gebung vor, dabei häufig deren Urtheil und Bemerkungen benutzend,
auf die ältesten Wirkungen gestellt und hatte deshalb einen Erfolg,
diese und jene Veränderung vollziehend, ehe das Werk in den Druck
wie keines von den allerneuesten.
wandert. Sein strengster Kritiker ist gewöhnlich seine Gattin Sofie
Wie man weiß, nimmt auch Herr Intendant Prasch für seine
Andrejewna, die ihm stets ihr ungeschminktes Urtheil sagt. Leo Tolstoi
Bühne in der Charlottenstraße den Ruhmestitel eines Familientheaters
fügt sich bisweilen ihrer Ansicht, bisweilen beharrt er bei seiner Auf¬
in Anspruch, seit jedoch dies Kunstunternehmen in eine Gesellschaft mit
fassung. Die Korrektur beansprucht seine ganze Aufmerksamkeit.
beschränkter Haftpflicht verwandelt worden ist, denkt der Intendaut freier
Während man sein Werk druckt, haben sich bei ihm wiederum eine
als bisher über Familienschauspiele. „Zaza“ von Pierre Berton
solche Menge neuer Eindrücke, neuer Auffassungen angesammelt, daß
und Charles Simon, womit er die neue Aera inaugurirt, bietet in
er nicht umhin kann, abermals an dem fertigen Werke zu feilen und
ihrer Art schon alles Mögliche und beißt ziemlich scharf auf der Zunge.
zu verbessern. Jedes freie Plätzchen wird wiederum mit Randglossen
Aber das Tingeltangeldrama gefiel, und was gefällt, ist erlaubt. Zaza
versehen. Man kann ohne Uebertreibung behaupten, gäbe es 99 Korrek¬
kiebt einen ernsthaften Herrn, der bereits glücklicher Besitzer einer mehr¬
turen, so würde er 99mal daran herumfeilen. Die Selbstkritik ist bei
köpfigen Familie ist. Als die temperamentvolle Artistin dies erfährt,
Leo Tolstoi ungemein stark entwickelt.
leistet sie sich das Wahrwort: „Seine Frau betrügen, ja, das darf
der Mann — doch seine Geliebte betrügen — pfui Teufel!“ Und da
(Frauenberufe in Amerika.) Einen interessanten Ueber¬
behauptet man, die moderne Bühne sei keine moralische Anstalt! Zaza
blick über die von amerikanischen Frauen ergriffenen Berufe gibt eine
stürmt wuthentbrannt ins Haus ihres Geliebten. Da stößt sie auf sein
Statistik, die kürzlich von der „Association of Collegiate Alumnae“,
hübsches Töchterlein, und das Geplauder dieses merkwürdig altklugen
einem Verein ehemaliger Besucherinnen der amerikanischen Frauenhoch¬
Kindes bringt sie von ihren wilden Rachegedanken ab. Und so weiter.
schulen, über die Berufsverhältnisse seiner Mitglieder veröffentlicht
Die Kunst der Verfasser, das Gegensätzliche herauszuarbeiten, die Luft
wurde. Der Verein zählt nominell zweitausend Mitglieder; von diesen
des Variétés in schneidenden und effektvollen Kontrast zu der Art und
antworteten auf die behufs der statistischen Erhebungen an sie gerichteten
Weise einer gutbürgerlichen Haushaltung zu bringen, ist groß, und die
Anfragen 451, so daß man also annehmen kann, daß ein großer
Schilderung sdes Artistenmilieus mit seiner bunten Zigennerei, seiner
Theil der übrigen Frauen nach Absolvirung der Schule es doch vor¬
sorglosen, wildschönen Leichtfertigkeit packt nicht minder, als die kühne
gezogen hat, auf Selbstständigkeit zu verzichten und einem Manne die
Silhonette des leidenschaftlichen Liebeslebens der Sängerin. Dabei steckt
Hand zu reichen. Unter den erwähnten 451 — eine immerhin noch
gerade genug oberflächliche Mache und Sentimentalität in dem Schau¬
überraschend große Zahl — Frauen, die einen selbstständigen Beruf
spiel, um auch nach dieser Richtung hin verwöhnte Ansprüche zu
ergriffen hatten, befanden' sich 169 Lehrerinnen, 47 waren
befriedigen.
in Bibliotheken beschäftigt, 28 waren Stenographinnen,
22 Krankenwärterinnen, 19 hatten sich dem Jour¬
Seinen Oktobererfolg, der fünfzig bis achtzig Aufführungen be¬
nalismus gewidmet. Von den übrigen hatte sich eine der Astro¬
deutet, hat das Residenztheater heuer mit dem Hennequin'schen
nomie zugewandt, eine andere war Annoncen= und eine dritte Ver¬
Schwanke „Der Herr Sekretär“ eingeheimst. Da Sie das
sicherungsagentin geworden; der Rest vertheilte sich auf Telegra¬
Wunderwerk ja wohl sehr bald an der geheiligten Kunststätte sehen
phistinnen, Korrekturleserinnen in Buchdruckereien und eine Anzahl
werden, wo jetzt Seraphin's Trick die Gemüther erschüttert, harf ich
Frauen, die eine der verschiedenen Künste ausübten. Daß die ver¬
mir eine genaue Beschreibung all der sinnvollen Verwechslungsspäße
schiedenen in den Vereinigten Staaten“ praktizirenden weiblichen
erjparen. Sollten Sie trotzdem darauf bestehen, so müßte ich beschämt
Aerzte in obiger Statistik nicht aufgeführt sind, liegt wohl daran, daß
zugeben, daß es mir einfach unmöglich ist. Ein Lebemännlein zweiter
sie nicht Mitglieder der „Association“ sind und ihre Ausbildung an
Gärnitur gibt sich für den Deputirten aus, dem er als Sekretär dient.
anderen Stellen erhalten haben. Was den Verdienst anbeialigt,
Er versügt über eine Braut und das Brautelternpaar, eine Geliebte,
den amerikanische Frauen in ihrem Beruf erzielen, so ist derselbe im
eine ältere Dame, die ihn abgöttisch verehrt und von denen keins das
Durchschnitt ein guter. Ungefähr ein Drittel der erwähnten 451 Frauen
Andere kennt — mit Ausnahme des Brautelternpaares und der Braut
verdient im Monat zwei= bis dreihundert Kronen, ein Sechstel hundert
natürlich! Aber wenn Die gleichfalls erklärten, sich nicht zu kennen, und
bis zweihundert, ein zweites Sechstel drei= bis vierhundert, und das
wenn es für das Gelingen des Stückes erforderlich wäre, würde man
letzte Drittel vier= bis achthundert Kronen. Zwei der Damen brachten
auch das dem Verfasser glauben. Der Wirbel höllischen Unsiuns, in
es sogar auf 1200 Kronen im Monat. Daß die vielseitigen ameri¬
den er Einen hineinreißt, betäubt das Hirn, und im anhaltenden Lachen
kanischen Frauen übrigens auch viele Erfinder unter sich zählen,
geht jede Urtheilsfähigkeit unter. Daß die paprizirten Dialogschlager
zeigt, wie die „Romanwelt“ mittheilt, die amerikanische Patentliste,
sämmtlich „Journal Amusant“=fähig sind, versteht sich am Rande
in der nicht weniger als 3468 von Frauen herrührende Erfindungen
von selbst.
eingetragen sind.
„Cyrano von Bergerac“ dem urechten Urpariser, der uns
eben deshalb im Grunde unverständlich oder doch langweilig ist, und
(Ein Unverbesserlicher.) Man schreibt aus Paris: Monsieur
der Mlle. Paméla hat man in Wien bereits das Urtheil gesprochen.
Charles Leblois, Mitinhaber einer der größten Marseiller Strohhut¬
Von einigem Interesse scheint mir der Hinweis darauf, daß die hiesige
fabriken, war vor den Richter zitirt worden, weil er die Frau seines
Kritik erst etwa acht Tage nach der Aufführung von Rostand's heroischer
Kompagnons, mit dem er sich seit einiger Zeit nicht recht vertrug,
Komödie zu der Erkenntniß ihrer Minderwerthigkeit gelangte. Dafür
Madame Villeroy, öffentlich ein „Kameel“ genannt hatte. Madame
läßt man jetzt aber auch kein gutes Haar mehr an ihr, die vorher
wollte diese Etikette begreiflicherweise nicht auf sich sitzen lassen und
mit verschwenderischem Ausand von Reklame als neue Sonne begrüßt
hatte die Beleidigungsklage gegen Leblois angestrengt. Der Richter
und gefeiert wurde. Tarlätio delectat, auch im Kunstgeschmack.
machte diesem wegen seines Mangels an Galanterie die ernstesten
Richard Nordhausen.]
Vorhaltungen und verlieh ihnen Nachdruck durch die Verurtheilung
des Mr. Leblois zu einer Geldstrafe von 25 Francs. Madame
Villeroy, die, ihres Sieges gewiß, mit mehreren Freundinnen im
Allerlei.
Zeugenraum Platz genommen hatte, triumphirte. „Es ist also nicht
(Wie arbeitet Leo Tolstoi?) Die Technik der Arbeit des
erlaubt, eine Dame, die Einen kujonirt, ein Kameel zu nennen?“ fragte
Grafen Leo Tolstoi erinnert an die der Maler. Sobald er den Plan
der Verurtheilte den Richter mit erkünstelter Naivetät. „Meine Ant¬
seiner Arbeit fertig hat und genügendes Material gesammelt, entwirft
wort liegt bereits in meinem Urtheil,“ antwortete dieser. „Man darf
er zuerst gleichsam eine Kreidezeichnung in großen Umrissen, die
doch aber ein Kameel Madame nennen?“ replizirte Leblois.
Details dabei ganz bei Seite lassend. Diesen Grundriß gibt er
„Nun denn“
„Gewiß, wenn es Ihnen Vergnügen macht.“
größtentheils seiner Gattin oder einer seiner Töchter, bisweilen auch
empfahl sich Leblois mit tiefer Verbeugung vor Frau Villeroy — „ich
einem guten Freunde zur Abschrift. Gewöhnlich schreibt Tolstoi auf
habe die Ehre, Madame.“
Quartbogen schlechtester Sorte. Seine Schrift ist außergewöhnlich
(Selbstbewußt.) Lehrer: „Wer hat die Welt erschaffen?“
groß und füllt am Tage bis 26 Seiten, mehr als einen halben Druck¬
Fritzchen: „Der liebe Gott.“ — Lehrer: „Und Dich?“
bogen. Seine Arbeitszeit beginnt um neun Uhr Morgens und schließt
Fritzchen: „Auch der liehe Gott, aber (zeigt) nur so klein, das
drei Uhr Nachmittags. Sobald die Abschrift seiner Entwürfe vollendet
ist, beginnt er mit der Um= oder Ausarbeitung, wobei sämmtliche] Andere hab' ich Alles selbst zugewachsen.“