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10. Das Vermaechtnis
Telefon 12801.
Untern ehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
M 105
Nr. 80
„OBSERVER
Telefon 12801.
I. österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachrichten
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, IX/, Türkenstrasse 17.
Aussd
— Filiale in Budapest: „Figyelö“, VIII. Josefsring 31 a.—
Nr.
M105 „OBSERVER“
I. österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachriol
Wien, IX/1 Türkenstrasse 17.
Ausschnitt aus: Nationalzeitung, Berlin
— Filiale In Budapest: „Figyelö“, VIII. Josefering 31a. —
vom 77.72. 2#.
110
Deutsches Theater.
Ausschnitt aus:
Schnitzlers Drama „Das Vermächtniß“ ist inhaltlich
schnell zu skizziren. Ein junger Lebemann Hugo Losatti=#nd
Neues Wiener Journal
gesehener bürgerlicher Familie, hat seit Jahren ein Verhäktniß mit
70. 98
Toni Weber, der Tochter eines kleinen Beamten, unterhalten, dem
m
ein Knabe entsprossen ist. Durch einen Sturz mit dem Pferde
verunglückt Hugo tödlich, wird als Sterbender ins Elternhaus ge¬
Berliner Theaterbrief.
tragen und legt hier, als sein Vermächtniß, die Geliebte und das
Kind den Seinen aus Herz. Er stirbt, nachdem die Mutter ihn
(Von unserem Special=Correspondenten.)
versprochen, daß Beide in die Familie ausgenommen werden sollent.
Berlin, 9. October.
Dies geschicht, und die Liebe zu dem hübschen Kindchen bringt bal
Das jüngste Werk Schnitzler's heißt „Das Ver¬
die Familie Losatti und seine Mutter auch innerlich nahe; da stirbt!
mächtniß". Darunter ist das illegitime Kind zu verstehen, das
plötzlich das Kind und mit ihm ist das Band zerstört, das jene
verknüpft hat. Es tritt sofort eine merkliche Abkühlung
ein junger Mann seiner Familie aufzwingt. Der junge
des Interesses der Losatti“ an Toni Weber ein; man
Dr. jur. Lusatti hat vier Jahre lang in intimen
empfindet jetzt nur noch die Last, die man sich mit der gesell¬
Bezie
ungen zu einem armen Mädchen gestanden, und die
schaftlich unmöglichen Person aufgeladen hat. Das Ende vom
es Verhältnisses ist ein Knabe. Davon aber wissen
Lied ist, daß, Dank der energischen Einwirkung des kalt-egoistischen
Dr. Schmidt, des präsumtiven Schwiegersohns der Familie, Toni
rigen des jungen Mannes nichts, bis diesem ein
Weber kurzer Hand aus dem Haus geschafft wird, worauf sie frei¬
fall widerfährt. Er stürzt vom Pferde und wird zu
willig in den Tod geht. Dieses, unter den obwaltenden Umständen
undet ins Haus der Eltern gebracht. Bevor er seinen
empörende Vergehen der Losattis erfährt jedoch im Gefühl des Zu¬
er aushaucht, gesteht er den um die Bahre Ver¬
schauers einen gewissen Ausgleich. Die Haustochter Franziska,
die zwar auch, nach anfänglich überschwänglichen Liebeserklärungen an
sein Geheimniß und beschwört sie, die Geliebte und
Toni Weber, von der allgemeinen Gefühlserkaltung mit ergriffen
das
dauernd ins Haus aufzunehmen. Der Vater, ein
worden ist, spielt sich nun plötzlich wieder als der Anwalt der ge¬
flachköpfiger, phrasendreschender Professor, ist sehr dagegen, doch
marterten Unschuld auf; sie hält ihrer Familie und ihrem Bräutigam
die Mutter weiß ihn zu bestimmen. Der Sohn kann also
eine donnernde Philippika, zeiht sich selbst der großen Sünde der
Fihig sterben.
Lieblosigkeit und weist, zum wirksamen Schlußeffekt des Ganzen
wie zur Entlastung ihrer reuebeladenen Seele, ihrem angenehmen
Die Geliebte ist nun mit ihrem Kinde im Hause des Pro¬
Herrn Bräutigam die Thür, was man nur schon längst von ihr hälte
fessors. Der Kleine wird zum Mittelpunkt der Familie; er wird
erwarten sollen.
Ner
verhätschelt als theures Vermächtniß, und um seinetwillen tragen
Was nun den inneren Werth dieser dramatischen Darstellung
10 augebt, so erfährt er eine Herabminderung durch die ihr anhaftende
sie es Alle geduldig, daß sich die philiströsen Freurbe von ihnen
20 Tendenz, welche die natürliche Entwickelung der Dinge beeinflußt
zurückziehen. Plötzlich stirbt auch der Knabe. Hinter der Scene
50 und gleich mit dem ersten Akt künstlich konstruirte Sitnationen 48
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spielt sich das ab und wird mit ein paar Worten motivirt. Nun
schafft, welche dem Verfasser zum Beweise seiner Thesen dienen sollen.
steht die arme Toni in dieser Umgebung, eine Fremde unter
Noch schwerer wiegen aber die Fehler in der feelischen Schilderung, das
Abonn
die namentlich an den beiden, für die Entwickelung des Stückes den
Fremden. Was soll sie noch hier? So fragt sie auch die
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Abonn
wichtigsten Personen, auffallen. Da ist zunächst Hugo Losatti, ein
Professorsfamilie, die nur das Kind des Sohnes als Ver=rto.
vornehmer Müßiggänger und junger Lebemann, der sein
mächtniß betrachtet hat, nicht auch die Geliebte. Ein wider=)##
Zimmer im Elternhause, das der Lieblingsaufenthalt seiner
wärtiger Vertreter der Spießermoral, der Hausarzt, der mit dem
Familie ist, mit den zahlreichen Bildnissen seiner eigenen Ge¬
liebten und denen seiner Freuude dekorirt. Man kann
jungen Fräulein Lusatti verlobt ist, plaidirt sehr energisch auf ist des
es diesem Flaneur, von dessen etwaigem tieferen Gemüthsleben und
Entfernung der überflüssigen Geliebten. Man gibt auch schließlich es den
sittlichem Ernst Einem nichts bekannt wird, einfach nicht glasben,
nach und der wackere Arzt sagt nun dem Mädchen gerade heraus,
daß, wie er sterbend erklärt, seine Geliebte ihm wirklich soviel wie
daß für sie kein Platz mehr in diesem Hause ist. Toni versteht;
z eine Frau, ja mehr als eine Frau gewesen sei und daß er sie
selbst die materiellen Versprechungen, die ihr geboten werden,
habe demnächst beiratben wellen. Warum geschah dies nicht schon
früher; warum versuchte er nicht schon, ehe er die Geliebte ent¬
können sie nicht darin irre machen, daß man sie lieblos verstößt.
ehrte, von seinen Eltern die Einwilligung zur Ehe mit dieser
Sie verläßt, zerfallen mit sich, das Haus, und ein zurückgelassener
zu erhalten und nöthigenfalls aus eigener Kraft die Ehe zu
Zettel läßt darauf schließen, daß sie schnurstracks in die Donau
ermöglichen? Und wenn Toni Weber die Idealgestalt eines
ging. Damit ist das Stück aus. Nur Eines ist noch zu bemerken:
weiblichen Wesens wäre, wofür Schnitzler sie uns ausspielen will,
warum besaß sie nicht wenigstens die sittliche Kraft und Selbst¬
Die Verlobung des Hausarztes geht in die Brüche. Seine Braut
schätzung, daß sie von ihrem Verehrer eine legitime Gestaltung“
ist die Einzige, die das Vermächtniß des Bruders ganz aufrecht¬
Tihrer Beziehungen von vornherein verlangte? Rein, Toni Weber
halten wollte, und in ihre sittlichen Empörung läßt sie eden
Tist mit nichten eine Idealgestalt, sie ist eines jener Mädchen aus¬
erbärmlichen Patron laufen. In diesem Milieu von Engherzigkeit
dem Volke mit lauer Opportunitätsmoral, die
ihrer
Micung den gnimüthiger Leichtiebigkeit, Unbedenklichfeit“ und 7
und Schlechtigkeit verhilft sie allein der Herzensmoral zum Siean
geider Gefuhlswärme Herrn Schnitzler und seinen literatischen
sinnungsgenessen als aubetungswerthe Heilige erscheinen, sowie sich
zu all' dem noch die gelegentlichen Thräuen des Schmerzes gesellen.
Man sehe sich diese Temi Weber auf puch näber an, und sie ver¬
schernt schtnoner Merehnder die Chmpatatt, die man thessonft
wohl trotz Akleientgegenbringen könnte. Da tritt nicht ein zag¬
haftes, zarifühlendes, stumm um Vergebung und Liebe bitten¬
des Geschöpf in das Haus der Eitern ihres Geliebten, über
die sie doch gemeinsam mit diesem schweisten Kummer gebracht hat;
da ist kein Funken von Empfindung dafür, daß sie mit ihrem Ein¬
tritt in die Familie eine furchtbare Last auf diese häuft, daß sie ihr
die schwersten Opfer zumuthet und zur gesellschaftlichen Aechlung
trachtet
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