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10. Das Vermaechtnis box 16/3
Melodik Tschaikowsky's eine unnatürliche Ehe ein mit der plötzlich hält der eine Wagen. Und sie tragen den Sohn
grauen Nüchternheit des Librettisten. Nur in wenigen
des Hauses sterbend hinauf.
Scenen empfindet man die Verbindung von Wort und
Damit ist der Stimmungsumschlag kraftvoll und
Weise als eine organische Einheit. Durchwegs aber reizt
zwingend gegeben. Niemand wird im Ernst daran zweifeln,
diese feingesponnene klangvolle Musik das Ohr. Prickelnoe
daß hier ein Theatermittel geschickt verwendet ist, nur ein
Rhytmen und eigenartige Klangmischungen aber bieten dem
Theatermittel; aber auf der Bühne bedarf es nun einmal
Musikgenüßling sonst ja so oft Ersatz für die dramatische
eines äußerlichen in Seene Setzens um innere Wirkungen
Wahrheit, daß man die Zurückhaltung des Publikums in
zu erzielen. Man mag das beklagen, ich thu' es selbst; aber
diesem einen Falle nicht recht begreifen und also auch nicht
man darf es dem Bühnendichter nicht zu Ungunst halten.
gut entschuldigen kann.
Und Schnitzler verwendet solche Mittel immerhin decent
Schlimmer als dies Versehen liegt für die Berliner
und vornehm. Wie denn überhaupt sein neues Schauspiel
Musikwelt der Fall Bruckner. Im Herbst 1896 starb in
Das Vermächtniß“ den klugen, einfallsreichen Bühnen¬
Wien Anton Bruckner, von dem seine Verehrer behaupten,
dichter in jeder Scene zeigt. Französische Schule könnte
er sei der größte Symphoniker der neueren Zeit und dem
man sagen. Aber das Französische in Schnitzler's Art, ja
auch seine Gegner nicht abstreiten können, daß er einer der
in seiner künstlerischen Persönlichkeit ist so wenig angelernt,
merkwürdigsten und eigenartigsten Tonkünstler unserer Tage
liegt so tief, daß man eher von Wesenssympathie als von
gewesen ist. Dieser Mann hat außer andern bedeutenden
Abhängigkeit sprechen möchte.
Werken acht Symphonien vom größten Zuschnitt hinter¬
Und nach diesem Stimmungsumschlag setzt der erste
lassen. Berlin kennt von diesen Schöpfungen, die in Wien,
Akt dichterisch überaus stark, seelenkündend ein. Die
München, Dresden und kleinern Städten die musikalischen
Herzen der Menschen liegen offen. Letzte Leidenschaft und
Geister aufs Lebhafteste erregten und bei Vielen höchstes
Alltäglichkeit des Empfindens zusammen und durcheinander,
Entzücken wachriefen, nur einen kleinen Theil, da die Konzert¬
und alles schmerzgeweiht und liebedurchleuchtet Sie haben
institute den Wagemuth und die Opferwilligkeit nicht besaßen,
den Sohn des Hauses sterbend da in sein Zimmer hinge¬
um der Gleichgültigk it des Publikums zum Trotz die Werke
bettet, und der Mutter spricht er von seiner letzten Bitte:
dieses hervorragenden, aber von einer Musikantenklique
nehmt meine Geliebte, nehmt mein Kind zu euch, in euer
verfehmten Tondichters aufzuführen. Es wäre deshalb
Haus. Und in die widerstreitenden Gefühle dieses unver¬
als eine wackere That zu begrüßen gewesen, als vor einigen
mutheten Geständnisses mischen sich die philiströsen Bedenken
Wochen vortreffliche Künstfreunde, an ihrer Spitze Paul
der gut bürgerlichen Familie, und die Angst kämpft mit der
Müller, der bekannte Vorkämpfer Hugo Wolfs, sechs
Hoffnung, und in all dem thun die Herzen sich auf. Und
Anton Bruckner=Abende ankündigten, in denen die sechs
in der Kraft des Schmerzes siegt die Liebe, und sie er¬
wichtigsten Symphonien des Meisters vorläufig wenigstens
füllen die Bitte des Sterbenden, und die Geliebte und das
in geschickter Klavierbearbeitung vorgeführt werden sollten.
Kind werden gerufen, und er stirbt.
Aber die Tagespresse, die doch so und so oft die Mühe nicht
Mit diesem Tode und diesem Vermächtniß schließt der
scheut, der Menschheit mitzutheilen, welche abgedroschene
erste Akt. Und damit bedurfte es einer zweiten Stimmungs¬
Opernarie die Mode=Primadonna im nächsten Konzert vor¬
wandlung. Es ist klar was die Familie zu thun hat, und
tragen wird, schenkte dem ernsten Unternehmen die nöthige
sie sind sich dessen auch alle bewußt; es ist nicht minder
Beachtung nicht und so spielte sich der erste der Bruckner¬
klar, daß sie der Aufgabe nicht gewachsen sein können, denn
Abende im Architektenhause so zu sagen im Geheimen
ihre Erziehungsgrundsätze und Lebensprinzipien zwingen sie
ab. Das ist um der guten und wichtigen Sache willen
zu verdammen, was sie seqnen sollen. Sie haben den guten
tief zu bedauern. Und warum diese auffällige Schweigsam¬
Willen und das schwache Vollbringen: das ist ein Komödien¬
keit der Presse? Böse Zungen deuten zwar ar, sie wäre
vorwurf. Alle Bedingungen zu einer tief ironischen Ko¬
durch zahlreiche Inseratenaufgaben zu beheben gewesen, ich
mödie sind hier gegeben: der Kontraft der Alltäglichkeits¬
aber vermag nicht zu glauben, daß unsere besseren Blätter
gewohnheit zu der Weihe des Schmerzes, die Versandung
ihre Unterstutzung in ernsthaften Kunstfragen vom Berichte
der Leidenschaften und die Ohnmacht des Wollens, das
des Annoncensammlers abhängig machen. Jedenfalls be¬
ganze Marionettenspiel des Lebens in seinem lustig=betrüb¬
weist der Vorfall, wie wünschenswerth es wäre, daß die
lichen Widerspiel von Sollen und Können. Und nach der
kleine musikalische Chronik der Tagesblätter nur unter Mit¬
Herzensoffenbarung des ersten Aktes die sorgsame Ver¬
wirkung der musikalischen Mitarbeiter zusammengestellt
kleidung wieder im wohlanständigen Kostüm des Alltags.
würde. Einer hübschen Anzahl fetter Enten und feister
Freilich zu dieser Stimmungswandlung genügte ein Theater¬
Böcke, die bisher Jahr aus Jahr ein die Spalten der kleinen
mittel nicht; dazu that dichterische Kraft Noth, wie Anzen¬
Zeitung bevölkerten, wäre dann das Todesurtheil gesprochen.
gruber etwa sie in den Kreuzelschreibern entfaltet hat.
Vor allem aber wären die Musikkritiker allein in der Lage,
Arthur Schnitzler aber bedurfte dieser Stimmungswandlung
die so nöthige reinliche Scheidung vorzunehmen zwischen den
überhaupt nicht; denn er ist seiner Komödie geflissentlich aus
Anforderungen des Kunstinteresses und den Zumuthungen der
dem Weg gegangen.
Reklame, und mit dieser Säuberungsarbeit wäre ein zweiter
Schnitzler hat den Konflikt tragisch gelöst, und das
wichtiger Schrüt zur Verbesserung unsrer Musikverhältnisse
war vom Uebel. Es stirbt im zweiten Akt das Kind; die
gethan.
Geliebte geht im dritten Aufzug in den Tod. Und Schnitzler
Heinrich Welti.
hat die beiden letzten Akte zu einem Thesenstück ausgebaut,
und das war noch mehr vom Uebel.
Die These? Es wird darum gestritten, ob und wie
weit es nothwendig sei, das Vermächtniß des Todten zu
Wasden
ehren, die Geliebte und das Kind als Familienglieder an¬
zuerkennen. Und Alles, was dafür und dawider gesagt
Theater.
wird, ist überflüssig, denn niemand zweifelt in diesem Falle
an der Berechtigung des Postulats; es zu verwirklichen,
(Deutiches Theater: „Das Vermächtniß.“ Schauspiel in 3 Akten von Artbur Schultler.)
da liegt die Schwierigkeit. Dennoch hat Schnitzler auch in
diesen Thesenakten ein künstlerisches Interesse gewahrt: die
Das Zimmer des ältesten Sohnes, behaglich und ge¬
Charakteristik. Da ist der Vater, ein Professor der Natio¬
schmackvoll eingerichtet. Am Fenster steht die Schwester
nalökonomie, man möchte sagen, ein Professor der Phrase,
und eine junge Verwandte, die beide Augen und ein Stück¬
der Typus des vulgären Bourgeois, von Reicher mit einem
chen Herz auf diesen Sohn des Hauses geworfen, und der
Ueberschuß künstlerischer Feinheit verkörpert; seine Frau,
jüngere Bruder. Dies Brüderlein ist ein altkluger junger
schwach und initiativenlos, aber mit einem Herz voll unter¬
Herr, und wie sie da eben stehn und plandern, schlägt er
drückter Liebe; die Tochter mit dem Gefühl für das wahr¬
eine Wette vor. Von zwei Wagen draußen auf der Straße —
welcher wird als erster ein bestimmtes Ziel erreichen? Und! haft Rechte, wie es Herzensreinheit gibt und
Jugend.