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10. Das Vernaechtnis
der Handlung bildet: als das Geschick der kleinen Schmierenkomödiantin, Familienordnung exekutiren soll. Nur Agnes' Mutter bleibt Tonials Emmy Winte
die moralisch intakt, gesellschaftlich vogelfrei i, die von der Leiche treu, die Majestät des Todes läßt die legitime Wittwe ihre Trauer
Dagegen paßte, ob
mit dem Schmerz der illegitimen solidarisch empfinden gegenüber
recht gut für den
des Verlobten, der für sie gestorben, fortgejag wird.
Das neueste Drama Schnitzlers setzt da ein, wo die beiden den Kleinlichkeiten der Sitte. Emmy Winter bricht mit ihren Ver= Einzelnen vortreffli
wandten und will Toni zu sich nehmen. Aber — und das ist
anderen aufhören; mutatis mutandis hätte es eine Fortsetzung der
Botz seine kleine 9#
wieder ein feiner Zug — ihre Tochter widersetzt sich, denn mit dem
„Liebele:“ abgeben können. Der Dr. jur. Hugo Losatti, Sohn
figur, aus der Frl.
Tode des Kindes ist in dem jungen Mädchen ein unbestimmtes
eines Professors der Nationalökonomie und Abgeordneten, hat eine
Frl. Jurberg bra
Gefühl von Eifersucht und Abscheu gegen Toni erwacht. Toni
heimliche Liebschaft mit dem süßen Mädel Toni Weber. Nach einer
(Agnes Winter) in
wird mit ihrem Elend in die Einsamkeit hinausgestoßen. Sie giebt
Ausdruck. Frl. 9
langen Exposition, in welcher Agnes Winter ihre Liebe zu Vetter
sich den Tod. Aber im Sterben feiert sie noch einen Sieg, denn
alle Scenen, in d
Hugo, zugleich ihr Talent zur Eifersucht verräth, und Franzi, Hugos
ihr Tod vollendet Franzis Umwandlung und läßt sie mit ihrem
nett und frisch
Schwester, diese Liebe ermuthigt, obgleich sie weiß, daß Hugo Toni
Verlobten brechen.
liebt und einen fünfjährigen Buben von ihr hat — nach einer um¬
(Hugo) rief
Die Situation, in der wir einen ganzen Theaterabend fest= Uneingeschränktes Lo
ständlichen, redseligen Exposition bricht wie ein Blitz aus heiterem
gehalten werden, wirkt trotz den Schrecken des Todes, die sie im
aus dem ersten Akt
Himmel der Tod in das harmlose Geplauder der jungen Leute.
ersten Akte mit großer realistischer Technik und Stimmungskunst vor¬
Das Stück erzi
Hugo, der mit dem Pferde gestürzt, wird sterbend in das Vaterhaus
gebracht. Seine Lippen stammeln ein letztes Bekenntniß, eine letzte bereiten, doch immer etwas gekünstelt oder wenigstens problemhaft, geringen äußeren
Bitte: er hat ein Kind, das bittet er die Eltern zu sich zu wie denn überhaupt das Drama mehr als „Liebelei“ und selbst wenn es auch in
nehmen und die Mutter von dem Kinde nicht zu trennen. Die mehr noch als „Freiwild“ etwas Problemhaftes hat. Viel tragen Künstlers verräth.
zu diesem Eindruck die langen Kannegießereien bei, die zum Unglück und Motive herbeit
gutmüthige, doch energielose und ruheliebende Frau Losatti schwört,
das „Vermächtniß“ zu erfüllen, der Vater, ein professoraler Pe=gerade an den Stellen sich breit machen, wo innere oder äußere demonstrirend, gesta
dant mit der Pose des Edelmuths und Freisinns, hört auf, zu dramatische Entwickelung vorwärts treiben sollte, namentlich gegen dem Niveau seiner
herabsinken will.
Ende des Werkes. Sie wirken um so fataler, als sie für Jeder¬
widersprechen, und Franzi hat das süße Mädel und ihr Kind schon aus
mann selbstverständlich sind und Jedermann den Lauf der Dinge von
der Ferne vom Sehen lieb gewonnen. Toni und der Kleine werden
Anfang an im Großen und Ganzen vorhersieht. Das Prohlem¬
geholt. Hugo stirbt; Mutter und Kind bleiben. Nun demonstrirt
hafte, das Surrogat, drängt das dürftige Künstlerische in den
uns Schnitzler in zwei weiteren Akten die von Anfang an Jedem
Hintergrund. Das Episodische, das für die beiden ersten
einleuchtende Unhaltbarkeit dieser Situation. In holder, rührender
Stücke gewann, fehlt hier beinahe gänzlich, aber nicht zum
Hilflosigkeit sitzt das „süße Mädel“ unter den noblen Leuten und
läßt sich dankbar von der Lüge ihres Edelmuthes zu Boden drücken. Vortheil der Gesammtwirkung. Die handelnden Personen
Der Professor thut lieb mit ihr und macht ihr seine Leutseligkeit bewegen sich und sprechen mit ziemlicher Lebendigkeit, aber sie sind
auch begreiflich. Seine Frau gewi## sie des Enkels wegen beinahe alle, selbst die beste, ich meine die des Professors, nur soweit aus¬
gern, Franzi sympathiesirt mit ihr n ihrer großen Hingebung willen; geführt, als ihr Motivchen reicht, das Uebrige ist leer gelassen, wies
ebenso Agnes' Mutter, die n., immer untröstlich den Tod ihres die Rückseite der Theaterkoulissen. Die Milieukunst Schnitzlers kam
Mannes beklagt; und Agnes, großherzig genug, schließt mit der Leidens= diesmal gar nicht zur Empfindung. Vielleicht lag das an der
genossin, nicht mehr Nebenbuhlerin, Freundschaft in der Liebe zu Hugos unvortheilhaften Besetzung zweier Hauptrollen, des Professors Losatti
Kinde. Nur einen gehässigen Gegner hat Toni: Dr. Schmidt, den und der Toni Weber, die beide technisch vorzüglich, aber wohl kaum
im Sinne des Autors gespielt wurden und darum vielleicht die richtige
Heusarzt, Franzis Bräutigam; denn der Streber und Parvenn haßt
Anschauung nicht aufkommen ließen.
und verachtet die Proletarierin, die sich selbst verschenkte, und er
Denn Frl. Illing, welche als Toni ganz Vortreffliches bot,
fürchtet ihren Einfluß auf Franzi, die ohne Neigung seinen Antrag
ganz ähnlich wie sie damals trotz ihrer kraftvoll herben Persönlich=
annahm und nun das Glück der Liebe zu ahnen beginnt.
Im Anfang geht Alles leidlich. Die Eltern gefallen sich inkeit die Käthe Vockerat verkörperte, sie stellte zwar ein gebrochenes,
mitleiderregendes Weib vor uns hin, aber nicht das süße Mädel,
ihrer Mission, aber bald wird diese ihnen recht lästig, da die gute
das in seiner Hilfslosigkeit mit jeder Bewegung, jedem Worte rührt.)
Gesellschaft sich empört von ihnen abwendet. Das Kind hätte man
Der Milieuwirkung fehlte so das Ausgangscentrum. Der Losatti
sich zur Noth gefallen lassen, aber die Mutter! Dr. Schmidt ge¬
des Herrn Lehrmann war in seiner Art wieder einmal eine ganz
lingt es, sie noch der Pietätlosigkeit gegen ihren alten bösartigen
außerordentlich tüchtige, klug und sicher angelegte Leistung, die nur
Vater zu verdächtigen, den sie Hugo zu Liebe verließ, und der
dann grollend einsam starb. Der Tod des kleinen Franz bringt hier und da vielleicht in der Edelmuthspose ein wenig zu starke
diese Verwickelungen schnell zum Ende. Der Professor und seine nnfreiwillige Komik entwickelte. Aber er war ein viel zu energischer,
scharf markirter Norddeutscher, nicht der weiche schwankende Wiener,
Frau wenden sich nun von Toni ab, Franzi wird schwankend.
Mit einer Geldabfindung wollen die Alten Toni abschütteln. Und der noch gemüthlich erscheint, wenn er taktlos poltert. Dem rohen
Pedanten des ersten Aktes, der überhaupt unwahrscheinlich wirkte,
es ist ein feiner Zug des Dichters, daß Schmidt, welcher der Familie
noch gar nicht angehört, ihr nur durch eine Konvenienzehe beizu=glaubte man nicht seine Gutmüthigkeit am Anfang des zweiten.
treten hofft, an dem unglücklichen Weibe den Spruch der legitimen Auch Fräulein Gabri, unsere meisterhafte Sprecherin, war