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10. Das Vernaechtnis box 16/5
B-r. Wiener Theater. Es bleibt bezeichnend für
e lebhafte, geschäftige Stagnation, die man
„Wiener Theaterleben nennt, daß die letzten Wo¬
chen keine einzige Ur=Aufführung eines erwähn¬
tadelnd gesagt sein soll, ein Genie der Assimilation.
nenswerten Stückes gebracht haben. Von den bei¬
Es fällt ihm nichts ein — aber der Einfall der
den Bühnen, die Joseph Jarno leitet, hat die
anderen wird zu seinem, verwandelt sich, wird keck,
eine
WVermächtnis“ vom
pointiert, kühl intellektuell sozusagen, — wird
Burgtheater überndmmten, und die ergreifende,
Oskar Straus. Er hat in Shaws Groteske die
melancholische Dichtung wieder zu einem schönen
richtige Ergänzung seines Wesens gesunden, und
Erfolg gebracht. Die andere Bühne hat sich an
man darf ruhig anerkennen daß die Librettisten
Rößlers Drama „Der reiche Jüngling“
ein lustiges, gar nicht süßliches und aufgepickt
mit einer eben noch kaum genügenden Darstellung
wienerisches burleskes Spiel geschrieben haben, das
versucht. Es ist ein respektables Eklektiker=Stück,
den Einlagen=Unfug nach Kräften mildert und vom
das nach Anfängerart zu viel will und daher
Genre der Operette nur die umumgänglichsten Ge¬
nichts ganz erreicht. Ein Christus=Drama, und
schmacklosigkeiten ausborgt. „Der tapfere Soldot“
es läßt sich über den Geschmack streiten, der reli¬
ist der erste, ganz gelungene Versuch zur Ver¬
giöse Schauer in theatralische Wirkungen umwech¬
edlung der Operette, und deshalb bedeutet sein
selt. Freilich, wenn einer uns zwingen kann,
starker Erfolg vielleicht eine erfreuliche Wendung
das zu vergessen, ist ihm auch dies erlaubt. Bei im modernen Theater.
Rößler bemerkt man es. Trotzdem ist er begabt,
aber nicht ungewöhnlich. Weltanschauungen,
Rassenkontrafte, werdendes Christentum, die
billige Großartigkeit solchen „Milieus“ täuscht
leicht über den wahren Wert eines Künstlers. Es
empfiehlt sich das Urteil über Rößler noch zu ver¬
tagen.
Je stiller es im Schauspiel zugeht, desto beweg¬
ter tummelt sich die Operette. Im Johann¬
Strauß=Theater hat sich ein neuer Mann
vorgestellt: Bruno Grasnichstädten. Sein
Erstling heißt: „Buboder Mädel?“ und den
Text haben ihm Felix Dörmann, Dichter a. D.,
und Adolf Altmann geliefert. Er ist von einer
bei Operetten kaum mehr bemerkenswerten Un¬
appetitlichkeit, Pornographie um ihrer selbst
willen. Ein Akt lebt von den in die Höhe gezoge¬
nen Röcken der komischen Alten. Bewunderungs¬
würdig, daß unseren schaffenden Librettisten doch
immer wieder solche Einfälle gelingen! Granich¬
städtens Musik ist talentiert, hat aber einen unan¬
genehmen Hang zur Prahlerei; will immer mehr
scheinen, als sie ist. Er liebt großsprecherische Ein¬
leitungen, und präsentiert das Geschenk kleiner
Melodien=Einfälle auf riesigen Opern=Schüsseln.
Eine besondere, persönliche Färbung ist an seinen
Weisen nicht zu erkennen. Eine Geschicklichkeit
mehr — das ist die Bilanz des Abends.
Umso angenehmer hat die neue Operette „Der
tapfere Soldat“ von Oskar Straus überrascht,
deren Buch — nach Shaws „Helden“
von
Leopold Jakobson und Rudolf Bernauer:
verfaßt wurde. Die falsche Sentimentalität des
„Walzertraum“ und seine spekulative Sinnlichkeit
ist in ihm einer parodistischen, frischen, geistreichen
Musik gewichen. Gewiß läßt sie sich überall an¬
regen sselbst von Gluck!) und man wird kaum einen
bekannten Komponisten finden, der nicht einen
Einfall der Partitur für sich in Anspruch nehmen
dürfte. Allein Straus ist, was durchaus nicht