Faksimile

Text

10. Das Vernaechtnis box 16/5
Dr. Max Goldschmi
n Bureau für 2
Ze ungsausschnitte
Teiephen Ul. 102.,
rn.
eee une en chesen
Ansschnitt aus
B. Z. am Mittag, Berhil
110 10 11l
Schnitzier im Neuen Dolkstheater.
„Das Vermächtnis“, Arthur Schnitz¬
ilers feinsinwiges Drama von L#ebe und Egö¬
IoMls kam gestern — nach langjähriger Pause
im Neuen Volkstheater zur Aufführung.
Schnitzler ist ein treffsicherer Typenzeichner,
seine Menschen sind mit photographischer Treue:
dem Leben nachgebildet, so kommt es, daß auch
hei den tränenseligsten Szenen dieses Stückes
miemals eine fade Sentimentalität über das
Ganze herrscht. Immer wieder verknüpfen die
mmarkanten Gestalten der beiden Männerrollen,
i#er höchst korrekte und sehr egoistische Professor
Losatti und sein nicht minder korrekter Schwie¬
gersohn in spe Dr. Schmidt, die lyrisch=senti¬
mentalen Szenen mit dem Leben, darin es ja
keine Tragödie gibt, die nicht, anders beleuchtet,
der Komödie ähnelt. Schnitzlers Stück ist so:
Der junge Sohn des Professors Losatti wird
sterbend ins Elternhaus gebracht; auf einem
Spazierritt stürzte er vom Pferde. Vor dem
Tode gesteht er seinen Eltern, daß er eine Ge¬
liebte und Kind habe, die er beide seinen An¬
verwandten anvertraut. In den zwei folgenden
Akten wird nun dargestellt, wie die Bourgeois¬
familie langsam das arme Mädel, das dem
Toten mehr als Geliebte war, aus dem Hause
grault und in den Tod treibt. So entpuppt
es sich am Ende als ein Drama der Klassen¬
unterschiede. Die Aufführung war zu tränen¬
feucht. Unentwegt heulten Männlein und
Weiblein, und am Ende des ersten Aktes gab
es gar eine richtige Tränensinfonie, darin
sämtliche Darsteller des Stückes minutenlang
ohn' Aufhören schluchzten! — Robert Müller
und Maximilian Sladek, die beiden Träger
spielten die
der führenden Männerrollen,
Ihnen ist der
Egoisten mit großer Realistik.
Die unglück¬
Erfolg des Abends zu danken.
selige Geliebte wurde von Zella Wagner mit
Unter den
warmer Herzlichkeit dargestellt.
übrigen Mitwirkenden fielen mir Anneliese
Wagners und Martha Angersteins
K. E.
treffende Charakterisierung auf.
Dr. Max Goldschmidt
2 Bureau für 8
Leitungsausschnitte
Herin.
Telephon III. 302.

Lnsechnift aus
Berliner Mergenpes
1010 1010
Neue Freie Volksbühne.
Es ist im Grunde gar nicht verwunderlic daß
Atbur Schnitzlers Sonsviel „Das Vermich
2 Das die Neue Freik Benebühne gesterkn
Einer sehr tüchtigen Vorstellung herausbrachte,
Fahren bei seinem ersten Erscheinen in Berlin nicht
o recht Wurzel fassen konnte. Ein großer Vorzug,
den dieses Stück besitzt, hat ihm damals geschadet und
Kützt ihm heute. Schnitzler, der hier einmal mit
fmerkwürdig wenig „Literatur“ auskommt (er hat
sich ja anderweitig reichlich entschädigif, hat in diesem
bürgerlichen Schauspiel ein ideales, geradezu ein
Musterstück für ein Volkstheater besten Stiles ge¬
schrieben, für ein Unternehmen etwa, wie es die
Neue Freie Volksbühne sein will und ist.
Der von allen Mitgliedern seiner wohl¬
anständigen Professorsamilie, von den Eltern, den
Geschwistern und weiter auch von der Tante und der
Kusine verhätschelte Liebling der Seinen, ein junger
Doktor juris, ist vom Pferde gestürzt und wird
sterbend ins Wohnzimmer gebracht. Als grundbraver
Mensch, der er ist, quält ihn ein Gedanke und läßt
Ehn nicht ruhig sterben: Ein paar Häuser weiter wohnt
ein Mädchen, die Mutter seines kleinen Buben. Er
ill die beiden, bei denen er sein eigentliches Leben
nd seines Lebens Freude gefunden hat, noch einmal
kehen. Mehr noch, er will die beiden Kuckuckseier in
as wohlanständige Nest legen, und die Mutter muß
hm versprechen, nach seinem Tode die illegitime kleine
Familie im Hause zu behalten. Das geschieht auch,
eil man's ihm einmal zugesagt hat und weil der
Franzl ein süßer kleiner Kerl ist, den alle lieb haben.
Alls aber das zarte Kind stirbt, hält es auch seine
Mutter, der von dem Herrn des Hauses, einem selbst¬
gefälligen, herzenskalten Schönredner, und seinem Ge¬
sinnungsgenossen und künftigen Schwiegersohn das
Leben unerträglich gemacht wird, nicht mehr dert
aus. Sie geht fort — wahrscheinlich ins Wasser.
Es stehen sich in einer Reibe von Familienmit¬
gliedern des Hauses Losatti die Vertreter wahrer,
einfacher, selbstverständlicher Menschlichkeit und die
Wortführer einer verfälschten heuchlerischen Gutbür¬
gerlichkeit gegenüber. Obgleich diese zweite Partei
numerisch geringer ist, trägt sie den Sieg davon.
Professor Losatti, der Vater und Abgeordnete, der
mit liberaler Gesinnung prünkt und auch sonst ein
widerlicher Patron ist, wurde von Robe:t Müller
in einer Enrico=Ferri=Maske sehr glaubhaft ver¬
körpert, je gaubbaft, daß er einem Mchstäblich auf
die Nerren ging, was in diesem Falle ein
schwerwiegendes Lob darstellt. Hedwig von
Lorée warecht und vornehm in ihrem Mutter¬
schmerz, Johannes Riemann, der als der ver¬
unglückte Sohn schon im ersten Akt zu sterben hatte,
tat dies in annehmbarer Form. Es wäre noch die
knospenhaft=herbe Agnes der Annaliese Wag¬
ner zu erwähnen und Maximilian Sladek, der
trocken zu schleichen wußte. Jella Wagner als
Toni Weber, die verwitwete Geliebte, machte einen
allzu schnell getrösteten Eindruck. Acht Tage nach
dem Tode des Geliebten an der Trauerbluse einens
Soiree=Nackenausschnitt zu tragen, kann nicht als
faktvoll bezeichnet werden. Die Familie Losatti siehl
hicht aus, als ob sie diesen Verstoß gegen den gutes
Eest
Ton so leicht übersehen würde.