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N 3/17100
Das Vermächknis.
(Freie Volksbühne.)
Die Halbwelt läßt die „Welt“ nicht ruhen. Immer wieder findet
sich ein Dichter, der die Frage aufwirft, ob nicht doch die Halbwelt
schtießlich anständiger ist, als die Welt, die den Anstand nicht nur
gepachtet, sondern in ihrem eigenen Interesse auch erfunden hat. Die
Halbwelt ist ein Gespenst der modernen bürgerlichen Gesellschaft, ein in
seiner Art sehr lustiges Gespenst, das aber sofort furchtbar wird,
wenn man ihm am hellen Tage begegnet. Die Gesellschaft hat
gegen das Gespenst nichts einzuwenden, wenn es in dem Dunkel
bleibt, das einem rechtschaffenen Gespenst zukommt. Die Sache wird
aber sofort unangenehm, wenn das Dunkel schwindet, und das Ge¬
spenst auf den abenteuerlichen Gedanken kommt, den korrekten
Gentleman X. auch Unter den Linden zu grüßen. Der aufrichtige
Mensch ist in unserer Zeit der schlimmste Verbrecher und wird
auch ganz logisch als Verbrecher behandelt. Es ist jedem gestatte
eine Geliebte zu haben; aber er wird zum Sünder, wenn
er seine Geliebte — liebt. Er darf ihr eine kostspielige Wohnung
mieten — Papa bezahlt's. Er darf ihr ein Konpee mit echten
Gäulen stiften — die Mittel reichen. Was er immer an gewöhn¬
licher Sinneslust zur Verfügung hat, er darf's befriedigen. Die
Gesellschaft segnet den Bund, und man braucht sich nur an den
nächsten Ortspfarrer zu wenden, um einen Mann zu haben, der
auch die Gesellschaft segnet. Der Handel wird keine dramatische
Die Gesellschaft
Handlung, so lange er unsittlich bleibt.
doch einen
hat, wenn auch keinen feinen Verstand, so
feinen Instinkt. Die Unsittlichkeit ninunt ihr nichts und
Es ist daher vollkommen logisch, daß sie
giebt ihr alles.
die Unsittlichkeit toleriert. Wenn sie sich bei dieser Freigeisterei
— wie üblich — auf Lessing beruft, begeht sie eine Frechheit, die
in
man um ihrer Seltenheit willen entschuldigen kann. Tragisch —
bürgerlichen Sinn — wirkt die Sache erst, wenn ein anständiger
Wenn so ein reiner Thor auf
Mensch dazwischen kommt.
seine Geliebte als sein Weib
den Gedanken kommt,
Ein Duft
zu behandeln, wird der Handel sofort unrein.
von Sittlichkeit steigt auf, der ein allgemeines Naserümpfen ver¬
#ursacht. Die Gesellschaft hat, um es noch einmal zu sagen, einen
feinen Instinkt. Es lebe die Unsittlichkeit, damit wir leben können!.
Aus Kreuz mit dem Schächer!
Schnitzler, der die eben geschilderte Tragilomödie behandelt hat,
konnte in der Freien Volksbühne auf ein dankbares Publikum rechnen
und hat auch ein daukbares Püblikum gefünden. Männer und
Frauen, die von der Korrektheit so weit entfernt sind, wie etwa ein
Geheimrat von der historischen Vernnnft, mußten seinem Stückur¬
sprüngliche Sympathien entgegen bringen. Der Beifall, den es
fand, kommt zum größten Teil auf Rechnung der Tendenz. Menschen,
die selbst gelitten haben, haben auch Mitleid und sie machen von
dieser Gabe keinen unwürdigen Gebrauch, wenn sie sie an ein
Wesen wenden, dessen Ehrbarkeit von der ehrbaren Gesellschaft be¬
stritten wird.
Schnitzler hat sich nun freilich die Sache leicht gemacht, zweimal
leicht sogär, wie wir gleich sehen werden. Er hat eine Dame zu¬
seiner Heldin gemacht, die schließlich auch nach bürgerlichen Begriffen“
ein durchaus auständiges Weib genannt werden muß. Seine Toni ist¬
nicht nur eine brave Geliebte, die um ihren Liebhaber in Sack und¬
Asche trauert, sie ist daneben auch Mutter, und zwar eine sehr treue
und aufopfernde Mutter. Daß aber ein solches Wesen unser Herz¬
gewinnt, ist, selbst vom bürgerlichen Standpunkt aus, selbstverständ¬
lich. Schnitzler hät eine Frage gestellt, die gar keine Frage ist.
Man wird ihm gerecht, aber man spricht ihm auch sein Urteil, wenn
man sein Stück ein Thesenstück nennt. Was er aber versicht ist keine.
These, sondern ein Gemeinplatz. Selbst die „Welt“ hat immer ge¬
wußt, daß es in der Halbwelt anständige Menschen giebt.
Wenn Schnitzler ein Dichter und nicht ein poelisches Talent ge¬
wesen wäre, hätte er die Frage anders gestellt. Dann hätte er uns
die brave Toni geschenkt und hätte uns eine geschminkte Toni ge¬
geben, die schon in ihrem Aeußern die Negation aller Jungfräulichkeit¬
gewesen wäre. Er hätte uns eine Toni gegeben, die wie ein Mensch.
trauert, nicht aber wie eine Heilige. Er hätte uns eine Toni ge¬
geben, die kein Kind hat und auch kein Kind wünscht. Kurz und
gut: Er hätte die Frage Halbwelt und Welt offen und ehrlich ge¬
stellt. So aber hat er nur gefragt, ob nicht eine anständige Dame
der Halbwelt mehr wert ist, als eine unanständige Bourgeoissippe.
Und das ist — ich bitte sehr um Verzeihung — im letzten Grund
überhaupt keine Frage. Wohl aber liegt hinter der ganzen
Affaire eine folgenschwere Frage. Ob die Damen anständiger sind,
die sich mit einer angemessenen Mitgift verheiraten, oder ob man
den Damen die Palme reichen muß, die ohne Hoffnung auf irgend
eine Mitgift das Leben nehmen, wie das Leben ihnen kommt —
das ist allerdings — ich bitte wiederum um Verzeihung — eine:
Frage. Eine Frage, die Schnitzler nicht beantworten konnte, weil er
nicht einmal das Talent hatte, sie zu stellen.
Schnitzler aber hat sich, wie wir bereits andenteten, auch in
anderer Weise die Sache leicht gemacht. Wenn man unbarmherzig
seinwill, handelt es sich in dem Stück gar nicht um die Halbwelt, sondern
nur um ein Vermächtnis. Schließlich erfüllt der sehr ehrenwerte Pro¬
fessor Losatti nur den Wunsch seines sterbenden Sohnes wenn
er die Toni in sein Haus aufnimmt. Der Konflikt zwischen Welt
und Halbwelt, der dem Stück seinen Sinn gegeben hatte, wird hier
wiedernm zu Gunsten eines anderen Konflikts ausgeschaltet. Zuerst
bar
raus.
ist das
es den
also ließ unser Dichter die Halbwelt fallen, und nun läßt er auch
die Welt fallen, insofern nämlich, als er eine Situation erfindet, in
der selbst die „Welt“ nicht wie die moralische Halbwelt handelt. Er
hat sich's damit leicht gemacht. Die Tugend Tonis ist in diesem Zu¬
sammenhang ebenso leicht zu schildern, wie die Heuchelei der Vourgeoisie.
Daß Schnitzler trotzdem Anleihen machen mußte, beweist viel gegen
sein Talent. Der Professor Losatti, indem er die konventionelle
Moral an den Pranger stellt, ist eine Kopie, um nicht zu sagen ein
Plagiat. In Ibsens „Wildente“ lebt derselbe Mensch als Photo¬
graph. Schnitzler hat ihn ins Oestreichische und Liberale übersetzt.
Aus dem allgemein menschlichen Typus, in dem schließlich jeder
Mensch sich bis zu einem gewissen Grade wiederfindet, ist ein Wiener
Philister geworden, der uns zwar zum Lachen, aber auch zu nichts
anderem bringt. Schnitzler hat den Typus, den Ibsen geschaffen
hat, lokalisiert und verkleinert. Am letzten Ende ist sein
Stück eine Frage der Halbwelt, die eigentlich gar keine
st, an die „Welt", die eigentlich gar keine
Halbwelt¬
Welt ist. Schnitzler hat, um mit Jean Paul zu reden, den Aether
mit Aether in den Aether hineingemalt.
In der Vorstellung fesselte vor allem Frau Pank=Steinert.
Ihr diskretes und doch zugleich ergreifendes Spiel ließ in uns nur
den Wunsch aufkommen, sie auch an andern Bühnen in bedeutenden
Rollen zu sehen. Herr Klein war als Professor Losatti sehr
komisch, womit er Herrn Schnitzler gerecht wurde. Die Rölle hätte
feiner gespielt werden können, aber schließlich kann Klein ja nichts
dafür, daß Schnitzler Ibsens Figuren vergröbert.
Erich Schlailjer.