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10. Das Vermaechtnis
fühlte. Hier galt es entweder so — oder so! Entweder
disputiren haben. Wenn wenigstens die süßt
engelhafte Vorstadtherrlichkeit, die, statt zu arbeiten, sich
aushalten läßt und die Frucht ihrer geschlechtlichen Liebe! hatte Toni Weber ein Recht, in der Familie Losa# als
herrlichkeit nur einige persönliche Züge aufweise
gleichwerthiges Glied behandelt zu werden, dann hatte
vielleicht gelänge es einem doch, für ihr Marty
mit dem Schandmal der Vaterlosigkeit in die Welt
die Familie die Pflicht, alle Rücksichten auf die Gesell¬
Bischen Theilnahme aufzubringen. Aber auch
setzt, in der man unehelichen Kindern noch immer
schaft über Bord zu werfen. Oder aber: es hatte die
farblos und unpersönlich, wie der Koöffizie
Dornen der Mißachtung und Zurücksetzung auf
Gesellschaft mit ihrer instinktiven Scheu vor der Halb¬
Rechenexempeis. Sie weint über den T##
den Weg zu streuen pflegt. Dafür aber werden die
welt Recht, dann war es ganz und gar überflüssig, uns
Geliebten, sie weint über den Tod ihres Kin
Alten abgekanzelt und Alle, die ihre Schwäche theilen,
noch einmal zu sagen, daß die Bourgoisie verlogen ist
weint, als man ihr Kost und Wohnung kündigt,
sich des öffentlichen Verkehrs mit einer Maitresse zu
und daß nur im Bezirke der Halbwelt die wahre Sitt¬
sie sich so voll Takt und Rücksicht in der Fam
schämen. Darin liegt die tendenziöse Einseitigkeit der
lichkeit wohnt.
Liebyabers benommen hat, und sie weint, bevoz
Schnitzler'schen Anklage. Ein ernster und gerechter
Man mag den Fall Toni Weber drehen und wenden,
Wasser geht. Ein einziges Mal bäumt sich die
Sittenschilderer wird offen bekennen, was ihm schwarz
wie man will; es spricht eine importirte Moral aus
Engelhoftigkeit in ihr auf: „Hab' ich ihn denn
oder weiß erscheint, da und dort. Schnitzler aber drückt
seiner Behandlung und Nutzanwendung zu uns. Schnitzler
geliebt, als ihn eine Andere geliebt hätte? Hab
sich an beiden feindlichen Gewalten verstohlen vorbei
gilt heute im Deutschen Reiche als der ernsteste Wiener
weniger glücklich gemacht, als eine Andere?“
und läßt in dem Augenblick, wo der Widerstreit der
Sittenschilderer, und deshalb muß man vor Allem fest¬
man ihr verbietet, sich mit der Tochter des
beiden Parteien nach einer endgiltigen Entscheidung
stellen, daß das moralische Gefühl, aus dem heraus er
vergleichen, jammert sie: „Ja, warum denn 9#
heischt, den Stein des Anstoßes in der schönen blauen
seine Probleme gestaltet, nicht de# inserige ist. Seine
vielleicht etwes Schlechteres als sie?“ Das
Donau verschwinden, um die Lebenden in's Unrecht zu
Quelle ist nicht in Wien, sondern in Paris zu suchen.
Aus dem Leben gegriffen ist nur eine einzige
setzen. Das ist ein erbärmlich unaufrichtiger Eskamoteur¬
Indeß Moral hin, Moral her. Kein künstlerisch fühlender
das Oberhaupt der Familie, ein liberaler Wo
kniff. Wer für die freie Liebe eintritt, muß auch den
Mensch wird von einem Kunstwerke eine unmittelbar
digkeitsheld voll Pose und Phrase. Aber auch
Muth haben, sie bis in ihre letzten Folgen hinein
moralisirende Wirkung verlangen. Im Gegentheile, es auf tendenziösem Boden, da er neben einem r#
energisch zu vertheidigen. Wer da beschönigt, wird zum
soll im Sinne Richard Wagner's nur „durch Veredlung
Bösewicht allein die bürgerliche Moral zu vertr
Fälscher und verräth damit nur, daß sie nicht zu ver¬
des Geschmackes auf die Hebung der Sitten wirken“. Je
So schrumpft die ganze Arbeit Schnitzler's zu e
theidigen ist. Was soll es heißen, wenn Schnitzler
mehr es dem Künstler gelingt, seine Ideen und
fruchtbaren Tendenzmacherei zusammen. Wenn
hinterher, nachdem er die gekränkte Vorstadtherrlichkeit
Empfindungen in Anschauung umzusetzen, desto tieser
Wahl zwischen Schnitzler und Dumas habe,
auf bequeme Weise aus dem Wege geräumt hat, der
wird auch die ethische Wirkung auf den Empfangenden
ich offen gestehen, daß ich nicht einen Augenbli
Tochter des Hauses Worte in den Mund legt, wie:
sein. Hat nun Schnitzler seine Ideen und Empfindungen
mich für Dumas zu entscheiden. Der täuscht in
„Was einen Menschen so glücklich macht, kann nicht die
in dramatische Anschaulichkeit umgesetzt? Mit Nichten.
stens keine Talmi=Wiener vor, d# weiß ich de
Sünde sein!“ Hier handelt es sich doch gar nicht mehr
Nicht einmal von einem gut gemachten Theaterstücke kann
ich habe es mit Franzosen zu thun und kann
um die Sünde oder das Glück. Wer weiß denn übrigens
man reden, geschweige denn von einem Drama. Dispute,
bekümmert um jeden tieferen poetischen Sinn,
ob der junge Losatti wirklich so glücklich war in seinem
nichts als Dispute füllen die drei Akte, und wenn der
Verhältniß zu Toni Weber. Er konnte eben so gut das
Fähigkeit, gefällig=anregende Konversation zu
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immerhin ein Bischen künstlerisch erfreuen.
Zufall nicht ein gar so pünktlicher Schnitter wäre,
Verhältniß nur deshalb fortgesponnen haben, weil er
sich durch die lebendige Folge dazu moralisch verpflichtet würden die Leute schon im zweiten Akte nichts mehr zu