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Der
Fruene Kakadu
box 15/4
9.3. Dei rachenKakuun
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I Oben schreitet die Revolution durch die Straßen,
— wer denkt nicht an unsere Zeit? —
ihen will, weil Blut allein das Pathos zu einer
macht als Gerichtsschreiberlein in aller Bescheiden= während sich ein in seinem Machtglauben nicht zu
Justifikation nach seinem Sinn liefert; wo Blut
erschütternder und in seiner Genußsucht kaum zu
heit den wütenden Halsabschneider auf seine Rechts¬
fehlt, ist die Justifikation bloßes Surrogat; wer
Zyklus,
befriedigender Adel vom Schein des Spiels in den
irrtümer aufmerksam. Wie wenig benötigte dieser
Blut nicht sehen kann, hat kein Recht ein Todes¬
nd „Der
furchtbaren Sturz, in das Sein der Revolution ge¬
Rechtsbrecher, um auf den Boden des Rechtes zu
urteil zu fällen... und dieser Richter möchte wie¬
rissen wird.
wandeln; ein Räuchlein aus der Zigarre des Rich¬
der einmal Blut sehen, wie damals, als er 72
ngswort
Stunden lang nach Paris fuhr, um einer öffentli¬
ters macht ihn glücklich... Glücklicher aber noch
Während das mehr an das menschliche Gefühl
er die
chen Köpfung beizuwohnen und daran Wonne zu
das Bewußtsein, daß ein Mensch ihn in seiner
appellierende Gerichtsstück von Wiedgans zu ei¬
Besuch
empfinden. Das ist seine These: Es gibt ein Böses
Verzweiflung versteht, der seinen Schwur glaubt.
nem ungemein starken, anhaltenden Beifall hinriß,
der ma¬
und vor einer höheren Gerechtigkeit freigespro¬
an sich, das nicht durch eine noch so lange Strafe
konnte man an dem spärlicher ausfallenden Ap¬
nd Pre¬
ausgetilgt ist.
chen wird, auch wenn die irdische versagt. Schein
plaus am Abschluß der Revolutionskomödie mer¬
und Sein offenbaren sich hier dem Publikum klar;
ken, wie sehr dieses Spiel um Sein oder Schein,
Dieser Geist des „Keine Milde=Kanzlers“ ist in
Auffüh¬
wie sehr dieses politische Fragespiel und dieses
Wildgans will anklagen.Und seine Anklage über¬
Oesterreich wieder Regierungsprinzip geworden.
ans, dem
impressionistische historische Gemälde dem Bürger,
zeugt. Haben wir diese Verurteilungsfanatiker in
Allerdings unter dem Schein eines anderen, christ¬
Ihne und
dem Besitzbürger vor allem zu denken gab. Sind
milderer Form nicht ein wenig überall? Jene
lichen Seins. Wildgans mag ein Gerichtsstück ge¬
Schnitzler
wir wieder dort? Sitzen auch wir auf einem sol¬
Menschen, die auf den „dunklen Punkt“, auf In¬
schrieben haben, das zeitlos ist, es zündet doch als
Oesterrei¬
chen Vulkan? Was ist an unserer Zeit beruhigen¬
dizien und auf das schöbige Gwändli abstellen?
mächtige Anklage in unsere Zeit hinein. Idee und
sondern
der Schein und was schon revolutionäres Sein?
Und dem Schein rechtgeben? Das bessere Sein er¬
Zeitumstände machen die Aufführung des „In
ms: Je¬
Es wurde manchem heiß und bang. Diese und jene
würgen?
Ewigkeit Amen“ zu einem ganz großen Erleben,
en Spra¬
hat sich daran gestoßen, daß Schnitzler, der so ge¬
— so
das uns in allerstärkster künstlerischer Form -
Schein und Sein, Spiel und Wirklichkeit, läßt
Kultur¬
müt- und geistvolle österreichische Milieuschilderer
stark und so wahr wie das Leben sich gibt — an
sich denn das im Leben und im Spiel so sicher un¬
derart entgleisen kann, ein solches Revolutionsstück
uns herantritt. Was da Wildgans an Aeberzeu¬
terscheiden, fragt einer der Adeligen, die in Schnitz¬
umt sich
zu schreiben, das so viele unheimliche Denkaufgaben
gungskraft, an Spannung, an Ethik, in einen Ein¬
lers „Der grüne Kakadu“ in dieser Künstlerkneipe
ris tätig
stellt. Item: Der Mann der besonnenen Ordnung,
akter hineinpreßt ist erstaunlich. Und was Her¬
segenießen, was sich da vor ihnen abspielt. Schnitz¬
r Bühne
des Bürger der seinen Besitz in Ruhe genießen
mann Brand aus dem ausgemergelten, gedemü¬
ler hat hier Schein und Sein so überaus geschickt
nach dem
will, war degoutiert.
tigten, aber innerlich immer noch wahren und auf¬
gemischt, daß der Zuschauer so wenig unterscheiden
ers) eine
Amso eher sollten nun all die, die vor der Wahr¬
rechten Zuchthäusler macht, erschüttert jeden Be¬
kann, wie die Personen dieses eigenartigen Revo¬
nd nicht
heit, vor einem zeitgemäßen Menetekel keine Angst
sucher im Innersten. Die verblaßte Stimme des
lutionsstückes was Spiel ist und was Begeben¬
. Ein sa¬
haben, den Entschluß fassen, diese beiden Kurzstücke
Angeklagten und die ausgehungerte Gestalt spielen
heit. In dieser Schmiere kommen Bürger
e Dirne
bei ihrer Wiederholung zu besuchen.
bei der Schilderung jenes entscheidenden Momen¬
von Paris zusammen, die als Schauspieler
Feklagten,
tes, da die untreue Frau des barmherzigen Gast¬
oder aus verbrecherischen Instinkten zu den Revo¬
terroristi¬
Die Regie hatte beidemal Herr Mamelok; er
gebers die Katze zwingen will, die Milch zu lap¬
lutionären halten und sich hier als Verbrecher ge¬
egen al¬
verdient ein besonderes Lob für die sorgfältige Lei¬
pen, die sie dem ausgehungerten Sträfling vor¬
ben, um dem Nervenkitzel eines adeligen Publi¬
llem na¬
tung, wie auch als Darsteller des Henri. Die üb¬
enthält, so gewaltig, daß man von Stein sein müß.
kums zu dienen. Sind sie Revolutionäre oder Ver¬
in seiner
rigen Mitspieler haben durchwegs ausgezeichnete
brecher? Sind sie Verbrecher oder Schauspieler?
erlassene
te, um nicht bis ins Tiefinnerste erschüttert zu sein.
Leistungen vollbracht, aus denen der Grain des
Was am adeligen Publikum ist Mensch und was
h wieder
Brand spielt hier nicht: Er wächst zur Personifi¬
Paul Schill, Marietta Weber als sadistische Ge¬
licher¬
leicht gekleidetes adeliges Lumpenpack? Das mischt
kation des gemarterten Menschen. Man muß schon
nießerin, Rothe=Carey als Bramarbaseur Scaevola
nun Schnitzler in dieser historischen Groteske über¬
an die größten Bühnen Europas gehen, um ähnli¬
und Brand als am Revolutionsgedanken berausch¬
aus geschickt, daß die Spannung unglaublich steigt,
Mangt da¬
che schauspielerische Leistungen zu sehen. Hier
ter Philosoph besonders hervorstachen. Schimkat
das Publikum selber immer wieder getäuscht
suchungs¬
kämpfen Schein und Sein: Der Schein des Rech¬
hat hier als Pintenwirt und Theaterdirektor wie
wird, bis das freiheitsdürstende Volk kein Theater
k Gerech=tes gegen das Sein des moralischen Rechtes. Ein
besonders im ersten Stück als Untersuchungsrichter
Blut se= Jüdlein, von P. Schill sehr feinfühlig gespielt, mehr zu spielen braucht, um Wahrheiten zu sagen. zwei starke Leistungen hervorgebracht.
—nz.