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9.4. Der gruene Kakauu—Zukiug
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Wiener Kunst.
sucht er sein Schlafgemach auf. Und am nächsten Tage will er fort, fort auf eine kurze
Reise, um alles zu vergessen, was so herb und so häßlich in seine Seele gegriffen. So
wird das Tragische zur Halbsatire herabgedrückt, und das Stück klingt mehr in eine
Pointe aus, die der Dichtung das allgemein Tragische schmälert, und den speziellen Fall
in den Vordergrund stellt. So wird aus dem dichterischen Gedanken eine zufällige Idee,
und die stoffliche Komposition erhält die Oberhand über das Nächstliegende des Lebens.
Man muß aber ein Kunstwerk nehmen, wie es aus der Hand seines Schöpfers hervor¬
gegangen ist. Mit den Absichten und dem Wollen eines Dichters sollte man nicht
rechten, nur über die Grenzen seines Könnens. So muß denn betont werden, daß die
„Gefährtin“ von Anfang bis zum Schluß die Stimmung festzuhalten vermag,
und wenn man am Schluß mehr herbe Bitterkeit als erschütternde Tragik des
Lebens empfindet, mag dies wohl in der Absicht des Dichters gelegen haben. Die
Darstellung wurde auch hier dem Dichter vollauf gerecht. Sonnenthal bot als Pro¬
fessor Pilgram vielleicht die interessanteste seiner Neuschöpfungen aus letzter Zeit. So
tief einfach und dennoch groß, gesättigt von der schweren, müden Stimmung des Ganzen,
so voll innerer Macht und ohne viel schauspielerisches Zuthun war diese Gestalt vom
Künstler erfaßt und gezeichnet worden, daß diese Leistung uneingeschränkte Bewunderung
erregen mußte. Neben Sonnenthal behaupteten sich Fräulein Bleibtren und Herr
Zeska mit gutem Gelingen.
Noch ein zweiter Wiener Dichter bestand in dieser Saison am Burgtheater mit
Ehren: Hugo v. Hofmannsthal, den die Eingeweihten schon seit langem schätzten,
und der von einer Gruppe Jung=Wiener Litteraten schon vor Jahren auf den
Schild gehoben wurde. Die langsamer und zögernder mit künstlerischen Entwicklungen
Mitgehenden vermochten sich anfangs nur schwer zur Würdigung seines überaus eigen¬
artigen und allem Herkömmlichen abgewandten Talentes herbeizulassen. Seine Art, den
Dingen ein halbes, scheues Leben zu geben, die gemeine Deutlichkeit des Gedankens zu
umgehen, befremdete viele, ja, sogar Stimmen des Spottes wurden gegen den jungen
Pocten laut, der es wagen mochte, so vielfach anders zu sein, als die andern. Und selbst
jene, die den künstlerischen Formenkult seines Wesens zu lieben vermochten, sahen seinem
ersten entscheidenden Schritt auf die Bühne, die so vielmehr Realität der Anschauung
und des Ausdruckes verlangt als die Lyrik, mit zweifelndem Interesse entgegen.
Es war eine angenehme Üüberraschung, die der junge Poet seinen Verehrern bot.
Der Einakter „Der Abenteurer und die Sängerin“ kann wohl als eigentliche dra¬
matische Arbeit nicht gut besprochen werden. Die zahlreichen dichterischen Schönheiten
scheinen hier vielfach der unmittelbaren Frende am poetischen Gestalten entsprungen zu
sein, und so ist denn unter der Bildnerhand des Poeten vielleicht manch ein Zuviel an
Zier und Zierrat entstanden, das wohl einen üppigen Reichtum an poctischen Gedanken
und wertvollen Stimmungen erweist, die Handlung selbst aber häufig verschleppt. Jene
straffe Geschlossenheit, die dem Bühnenwerk sein eigentliches Leben sichert, mag darunter
ernstlich gelitten haben. Wie ein prächtiges Nebeneinander rollen sich die Szenen dieser
mehr rhapsodischen Dichtung auf, und wenn man auch durch die Schönheit der Sprache
und den seltsamen, oft fremdartigen Glanz der Bilder litterarisch auf seine Rechnung
kommt — die unmittelbar dramatische Wirkung stellt sich dennoch nicht ein, und so
scheint mir „Der Abenteurer und die Sängerin“ mehr als wertvolles Buchdrama, denn
für die Bühne geschaffen. Von den Darstellern ist Herr Hartmann als Abenteurer
zu nennen, der für diese Rolle seine ganze Liebenswürdigkeit und Eleganz, freilich auch
manches an Maniriertheit ins Treffen führte, im großen und ganzen aber eine ganz