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wesen ist, eine „Girfährtin“. Oder wird er eine solche
doch noch leibbaftig finden in der ganz verschwommen ge¬
zeichneten Frau Olga, der Gattin irgend eines anderen, der
ihr ebelich angetranter Mann, aber nicht ihr „Gefährte“ ist?
Der Dichter läßt das Verhältniß der Frau Olga Merholm zu
dem Professor Pilgram ganz im Unklaren, vielleicht mit Absicht:
es soll wohl so eine dunkle Ahnung hervorgerufen werden von
dem seltsamen Spiel des Lebens, das für einander geschaffene
„Gefährten“ auseinanderhält und an Geschöpfe kettet, die zu
manchem andren, aber nicht zu gemeinsamer „Fahrt“ durch ein
ganzes langes Leben geschaffen sind. Gefährtin und Geliebte
Für
zugleich, das wäre ein Ideal! Wo findet sich das Weib, jann
100
das solche Gegensätze in sich zu vereinigen wüßte! Frau #o.
200
(Justina in dem Versspiel „Paracelsus“ könnte es wohl bar
500 sein, wenn ihr stattlicher, biederer und wohlbabender Gemahl oraus
1000 der Waffenschmied Cyrrian nicht im Laufe der Jahre ein bischen #
zu sehr Gatte und ein bischen zu wenig Geliebter geworden st das
Tbonne wäre. Kann man es da einem warmen, blühenden, reifen Frauen= es den
Abonne herzen verdenken, wenn es sich nach Liebe, nach kräftiger, wärmender k.
Mannesliebe sehnt, wenn es träumt: ach möchte doch, dieser oder
“ jener .. . . Dech der Traum wird von dem keuschen Herzen gar
nicht zu Ende geträumt, der Gedanke gar nicht zu Ende gedacht.
Er kame Frau Justina wehl kaum zum Bewußtsein, wenn
nicht der kluge „Zauberer“ Paracelsus dieses Bewußtsein
weckte, er,
der in Wahrheit ein glänzender Kenner der
Menschenfeelen und besonders der Frauenherzen ist. Durch
das Mittel der Hypnosé zwingt er Frau Justina, nachdem er vor¬
her noch einen boshaften Scherz mit dem allzu lau gewordenen
Gatten getrieben hatte, die Wahrheit über ihr innerstes Fühlen,
ihre geheimsten Herzensregungen preiszugeben. Und nun enthüllt
sich in anmuthigen Versen — die Frl. Dumont ganz reizend
sprach — eine Frauenfeeke mit ihrem Wunsche, treu zu
bleiben, aber auch geliebt zu werden. Treue um Liebe!
So klar und hell führt Frau Justina ihr tiefgeheimstes
Fühlen aus Licht, daß selbst der Frauenkenner Parecelsus tiefern
Einblick in des Weibes Wesen gewinnt und seinen eigenen Zauber;
vor dem dem Weibe angeborenen Zauber der Liebesmacht und
Liebesbedürftigkeit erliegen sieht. Dem durch Gewohnheit allzu!
lau gewordenen Ehegemahl aber geht ein Lichtchen auf, das ihm
nicht nur die im Geheimen drohende Gefahr beleuchtet, sondern
ihn auch in neuer Liehe frisch erglühen läßt. So löst sich dieses
anmuthige und geistreiche Versspiel in Wohlgefallen auf. Zu
biutigem Schluß dagegen kommt der mit so sprühender Heiterkeit
einsetzende „Geüne Kakadn“. Es ist das der Name einer ganz
sonderbaren Kellerkneipe, in der Schmierenschauspieler niedrigster
Sorte vor hohen Adligen und reichen Lebemännern Komödie!
spielen. Und zwar ist der Gegenstand der Komödien immer
ein Verbrechen, daß der eine oder der andere Darsteller
begangen zu haben vorgiebt und wovon er ausführlich
erzählt. Es hat gar keinen Zweck, den Inhalt dieses
ganz außerordentlich geistreichen Werkchens näher anzugeben.
Denn der Reiz liegt nicht in dem Geschehniß, sondern in dem
meisterhaft durchgeführten Spiel der Gegensätze. Dekadente Lebe¬
männer verkehren in einer Spelunke. Sie lassen ihre Nerven
kitzeln durch die Erzählung von scheußlichsten Verbrechen. Sie
lassen sich
müde des vornehmen Gesellschaftstones — als
Schweine, Lumpen, Gesindel aureden. Sie geben ihren Degen
muntern Dirnchen zum Spiel. Sie führen ihre vornehmen Frauen
in dieses Lokal, und die finden die Vorgänge noch nicht einmal
kasterhaft genug. Hinter all dem Spiel aber lauert blutiger
Ernst Alles ist zweidentig. Was soll aus dem Staate werder,
wenn #ie zu seinem Schutze bestimmten Degen nur gerade gut!
genug zum Spielzeug in schmutzigen Dirnenhänden sind! Wenn
der Wirth Prospère vor seinen Gästen ausspuckt, ist es ihm
innerlich ernst damit. Denn das niedere Volk verabschent den laster¬
haften Adel. Wenn Mordthaten fingirt werden, von Brandstiftungen
eizählt wird, so lauern Mord und Brand bereits draußen,
das entartete Land zu vernichten. Wenn die Darstellung eines
Schauspielers, der „Gewissensbisse“ mimt, als „abgeschmackt“ be¬
funden wird, so deutet das den moratischen Sumpf an, in dem
die Gefellschaft dem Untergang entgegenwatet. Kurzum: Jedes
Wort, jede Bemerkung hat einen Doppelsinn und eine
versteckte Beziehung auf das drohende,
schon un¬
mittelbar vor der Thür stehende Ereigniß, die große,
furchtbare Revolution. Es ist ein gewagter, aber berechtigter Tric
Schnitzlers, das Ganze in die Zeit der französischen Revolu¬
tion zu legen, auf den Tag, an dem die Bastille gestürmt wird.
Das soll natürlich gar nicht bedeuten, daß der Dichter eine histo¬
rische Szeue schreiben wollte. Er hat denn auch mit seinem
„historischen Gewissen“ gar nichts abzumachen. Das Werkchen
ist durchaus nur psychologischen Charakters. Die Verlegung in
die Revolution ist ein berechtigtes Mittel, gewisse Gedanken= bezw.
Gefühlsassociationen anzuregen. Diese Groteske“ ist nicht nur
technisch meisterhaft gearbeitet, psychologisch, trotz der Uebertreibung,
von vieler Wahrheit; sie erweckt sogar in ihrer Gesammtheit ein
echt ethisches Pathos, eine „befreiende“ Wirkung, wie ein
Schauspiel allerbester Art. Man könnte eine ganze Reihe
ästhetischer Betrachtungen aus diesem seltsam interessanten
Einakter herleiten. Die Darstellung war in allen drei Stücken
nahezu vollkommen.
Fräul. Dumont hätte ich mir als
Séverine etwas leichter, selbstverständlicher in ihrer Lasterhaftig¬
keit gewünscht, etwa nach Art der „tollen Marquise“ in einem
Roman des Abel Hermant. Das Groteske liegt schon in der
Situation. Meisterhaft war Kainz als Schauspieler Heuri und!
noch meisterhafter vielleicht als Paracelsns. Hellen Jubel erregte
Rudolf Ritter als der Strolch Grain. Wenn ich die andeu
Darsteller nicht neune, so sollen sie damit nicht zurückgesetzt sein.
Ich will nur nicht den ganzen Theaterzettel abschreiben. M. 2