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9.4. Der gruene Kakadu Zykius

Von Arthur Schnitzlers vielbesprochenem und übelberufenem
dreiteiligen Einakter=Cyklus ist auch unser Publikum, und dazu noch
an dem klassischen Montag, nicht verschont geblieben. Wir sagen
vielbesprochen, weil die Kritik in Wien und Berlin sich dafür ins
Zeug gelegt, und übelberufen, weil die Polizei den grünen
Kakadn erst beanstandete und er bei der Première nur eben noch so durch¬
schlüpfte. Diese Einakter, eigentlich Skizzen, Ausschnitte, mit denen die
moralische Bilanz dreier Jahrhunderte gezogen werden soll, wurden
an den verschiedenen Bühnen, je nachdem die Regie sich mehr oder—
minder Effekt davon versprach, in verschiedener Reihenfolge gegeben.
Der Anfang müßte eigentlich mit dem Versspiel Pamcelsus, das zu
Basel zu Beginn des 16. Jahrhunderts spielt, gemacht werden. Das
Stück beruht auf unmöglichen Voraussetzungen; nebenbei bemerkt kann
die Begebenheit nicht Ende des 16. Jahrhunderts vor sich gehen, da
Paracelsus schon am 23. September 1541 sein abenteuerliches Leben
beschloß. Feruer wußte man derzeit noch nichts von Hypnotis¬
mus und Suggerieren, Dinge, die Dr. med. Schnitzler doch sicher
nicht unbekannt sein konnten. Durch allerlei Mauipulationen
Suggerieren und Hypnotisieren — läßt Paracelsus in dem Stückchen
Justine, die Gattin seines ehemaligen Freundes Cyprian, allerlei
Geständnisse ausplandern, die diesem bis dahin so vertrauensseligen
Waffenschmied den Kopf heiß machen. Nachdenklich spricht er dann
am Schluß: Es war ein Spiel, doch fand ich seinen Sinn.“
Auf Paracelsus hätte dann die Groteske Der grüne Kakadu folgen
müssen, welche während des Sturmes auf die, Bastille 14. Juli 1789,
in einer Spekulationsspelunke, einem imitierten Verbrecherkeller, spielt.
Der Wirt (Neumann=Hoditz) ist ein ehemaliger Theaterdirektor, und
die angeblichen Verbrecher, die in seiner Kneipe verkehren und ein¬
studierte oder Stegreif=Spitzbubenkomödien zum Gandium vornehmer
Besucher dort zum besten geben, sind verbummekte Schauspieler und
Schauspielerinnen, die sich mit Kosenamen wie „Ihr Schweine!“ be¬
grüßen. Indes eines schönen Abends wird aus dem Spaß Ernst, indem
der renommistische Komödiant Heuri (Tom Farecht) den Herzog von
Cadignan (W. Rossath), den Galan seiner Gattin (Bertha Kleen), er¬
sticht. Als Schluß hätte das zu Anfang gespielte Schauspiel Die Ge¬
fährtin kommen müssen, das in einer Sommerfrische unweit Wien
an einem Herbstabende des letzten Jahres spielt. Am Schluß geht
der hintergangene Gatte aus dem Zimmer; an der Thüre bleibt er
stehen, betrachtet das Zimmer noch einmal, atmet tief auf, lächelt dann
7 wie befreit, geht ab; man hört ihn zusperren. Das dunkele Zimmer
bleibt eine Weile leer, dann fällt der Vorhang.
Man hätte wünschen mögen, nicht nur dieses Zimmer, sondern die
Bühne wäre den ganzen Abend über leer geblieben. Der Zuschauer
geht — wie der Professor — aus diesem Dreiakterabend wie von
einem Alp befreit fort; aber er schweigt nicht zu diesem groben Unfug,
sondern legt energisch Protest ein dagegen, daß die Bühne, die doch
eine Bildungsstätte sein soll, zu solchen Experimenten mißbraucht wird.
(Wir können uns diesem scharfen Urteike nur anschließen. Hr.
Direktor Hofmann scheint es auf den Beweis abgesehen zu haben,
daß er dem p. t. Publikum auch Wüsteneien bieten darf. Bei den
Stadtratsberatungen über die Errichtung eines neuen Opernhauses,
in dem nameutlich auch die Operette gepflegt werden soll, hat man
zu Gunsten eines weiteren Stadttheaters u. a. angeführt, es solle dem
Publikum den Besuch der zweifelhaften Specialitätentheater ab¬
gewöhnen. Als ob der Kunsttempel an der Glockengasse nicht schon
recht oft ein ganz unzweifelhaftes Specialitätentheater gewesen wäre!
Und was sagt dazu der Verwaltungsrat des Kölner Theateraktien¬
vereins? Ist denn kein einziger unter den Herren, der Hru. Hof¬
mann auf gut Deuisch den Standpunkt klar macht? Oder ist es
ohne Erfolg versucht worden?